Simone Wiechern

Fliegende Teppiche


Скачать книгу

der Tasche gelassen. Je näher wir dem Dorf kamen, desto mehr vermischte sich der Kies mit Ziegenkot. Auch die Anzahl der Fliegen nahm mit jedem Meter zu. Sie setzten sich bevorzugt in meine Mundwinkel, was mich ziemlich ekelte, da meine Vorstellung mir Bilder schickte, wo diese Biester eventuell vorher gesessen hatten. Die Kleine ließ mich plötzlich los und kletterte flink auf einen Stein, der neben einem aus alten Brettern zusammengezimmerten Holztor stand und entriegelte die von innen verschlossene Tür. Der mit groben Blocksteinen eingefasste Hof, auf den sie mich führte, war wohl ein beliebter Treffpunkt. Um ein Feuer, in dem ein großes Stück eines Baumstammes glühte, saßen und lagen fünf Männer unterschiedlichen Alters. Sie alle trugen lange, weiße Gewänder. Als Kopfbedeckung dienten die typischen weißen oder rot-weiß karierten Tücher, die von einem schwarzen Doppelring gehalten wurden. Drei Frauen und ein paar Mädchen saßen ein paar Schritte entfernt. Als ich eintrat, standen die Frauen auf und gaben mir freundlich lächelnd die Hand. Die Männer bemühten sich nicht, erhoben nur eine Hand zum Gruß und warfen mir arabische Worte entgegen, die ich als Begrüßungsfloskeln interpretierte. Ein Teppich wurde ausgebreitet und man lud mich ein, bei den Frauen Platz zu nehmen. Kaum saß ich auf dem Boden, hatte ich ein Glas Tee in der Hand und verbrühte mir die Lippen.

      ›Haben sie den Tee in den Zucker geschüttet?‹, fragte mich mein Geschmack.

      Dass arabischer Tee sehr süß getrunken wird, wusste ich ja nun schon, aber dieser hier war pures Zuckerwasser mit Teearoma.

      ›Ich sehe die Karies förmlich wachsen‹, gab auch die Vernunft ihren Senf dazu.

      Einer der Männer lachte gerade mit weit offenem Mund und entblößte eine Reihe sehr brauner Zähne.

      Die Ironie riet mir: ›Vielleicht solltest du nächstes Mal statt Bonbons und Kugelschreiber auch Zahnbürsten mitnehmen.‹

      Verschiedene Versuche der Frauen, sich mit mir zu verständigen, blieben ohne Erfolg und ich nahm mir an diesem ersten Tag bei den Beduinen fest vor, arabisch zu lernen. Der Klang der beduinischen Sprache war sehr melodisch, erschallte wie Musik in meinen Ohren und ich wollte zu gern wissen, was mir die Menschen hier erzählen konnten. Es war sehr eindrucksvoll für mich, einen so unverfälschten Einblick in das Leben der Beduinen zu bekommen, aber dass ich nicht in der Lage war, mich mit ihnen zu unterhalten, bereitete mir Unbehagen. So beobachtete ich für eine Weile die mir präsentierten Alltagsszenen. Hinter den Frauen spielten zwei kleine Jungen ohne Hosen im Kies und steckten alles in den Mund, was sie mit ihren Patschehändchen ergreifen konnten. Ihre Gesichter waren verschmiert und um den Mund herum klebten kleine Kiesel. Bei jeder ihrer Bewegungen flogen zahlreiche Fliegen auf, nur um sich Sekunden später wieder in ihre kleinen süßen Gesichter zu setzen. Die Jungen schienen sich daran gewöhnt zu haben und beachteten sie nicht. Die Mütter zeigten denselben Gleichmut. Zwei Männer erhoben sich und verschwanden grußlos. Das Mädchen, das mich hergeführt hatte, bat ihre Mutter um etwas. Die Mutter beachtete sie nicht. Das Mädchen wurde lauter und fordernder, doch die Mutter unterhielt sich weiter mit einer anderen Frau, ohne das Mädchen auch nur im Geringsten wahrzunehmen. Es begann an der Kleidung ihre Mutter zu zerren und bettelte nun regelrecht. Auf einmal herrschte die Mutter ihre Tochter in lautem Ton an und schubste sie ziemlich barsch auf den Kiesboden. Jetzt fing die Kleine an zu heulen und versuchte, ihren Willen mit verweinten, Mitleid erzeugenden Blicken durchzusetzen und fragte abermals. Während die Mutter weiter mit der anderen Frau redete, zog sie ein Portemonnaie aus dem Dekolleté und gab ihrer Tochter einen Geldschein. Diese wischte sich schnell mit ihrem Hemdärmel den Rotz aus dem Gesicht, lachte und rannte nach draußen. Einige Minuten später kam sie mit einer Packung Keksen zurück. Jetzt wunderte mich die Eindringlichkeit des Mädchens nicht mehr. Ihre Beharrlichkeit hatte sich in diesem Fall gelohnt. Ohne Aufforderung gab sie mir und den Jungen etwas ab - den Fliegen sah man die Partystimmung an.

      Mit Zeichensprache versuchte ich, den Frauen nach dem dritten Glas Tee klarzumachen, dass ich nun zurück musste, und ebenso gestikulierend entgegneten sie, dass ich wiederkommen sollte. Es schien für diese Familie ganz und gar normal zu sein, mich als völlig Fremde in ihr Haus einzuladen, und ich fragte mich, ob mir so etwas jemals in Deutschland passieren könnte - höchst unwahrscheinlich.

      Wieder im Camp trieb uns mittags der Hunger in ein kleines Restaurant am Strand. Dort setzten wir uns an einen der drei niedrigen Tische, die auf Teppichen standen. Unter den bunten Flickenteppichen befanden sich Matratzen und Palmstämme, die als Rückenlehne dienten. Die großzügig verteilten, farbenfrohen Kissen luden zur Gemütlichkeit ein. Am Nachbartisch schlief ein Beduine mit einem über sein Gesicht ausgebreiteten Kopftuch. Ich machte es mir zwischen den vielen Kissen auf dem Boden bequem. Ein Sudanese begrüßte uns ausgesprochen freundlich und empfahl ein beduinisches Gericht mit Huhn. Das Huhn wurde mit Kartoffeln, Tomaten, Zwiebeln Zucchini und einigen Gewürzen in Aluminium im Feuer bereitet und schmeckte hervorragend. Besser hätte ich in Berlin in einem der teuersten Restaurants nicht essen können. Nach dem opulenten Mittagstisch rauchten wir gemeinsam mit dem Sudanesen eine Shisha, eine arabische Wasserpfeife, und genossen die bequeme Art, sich auf dem Boden zu lümmeln.

      »Welcome, welcome!«, tönte es plötzlich neben uns. Ein hochgewachsener Beduine, in strahlend weißem Gewand, mit einer dick gefütterten Weste, sprang leichtfüßig über die Kissen und setzte sich ohne Aufforderung zu uns.

      ›Wie kann dieser Mensch bei 45 Grad im Schatten eine mit Fell gefütterte Weste tragen?‹, fragte sich mein Verständnis.

      ›Frag ihn doch!‹, konterte der Wissensdrang, aber der gut gelaunte Beduine gab mir keine Gelegenheit dazu.

      »Woher kommt ihr?«, fragte er frei heraus.

      »Aus Deutschland.«

      »Ahhh, deutsche Leute mag ich sehr gerne«, sagte er auf Englisch. Und mit »Guten Tag, wie geht es Ihnen? Alles Scheiße heute und dem Lied, Alle Vögel sind schon da ...«, präsentierte er uns seine Deutschkünste in einer bemerkenswerten Schnelligkeit und Auswahl. Er selbst lachte am lautesten über sein Repertoire.

      »Wenn ihr wollt, kommt später zu der großen Hütte dort drüben«, fuhr er fort und zeigte auf einen verfallenen Wellblechschuppen.

      »Da treffe ich mich am Abend mit meinen anderen Freunden. Die sind wirklich nett. Ich heiße übrigens Soliman, und Ihr?«

      Während er wieder aufstand, stellten wir uns alle vor. Theatralisch schüttelte er jedem mit einer überschwänglichen Verbeugung die Hand. Daraufhin ging er, ebenso plötzlich wie er aufgetaucht war, drehte sich im Gehen noch einmal kurz um und rief, bevor er zwischen den Palmen verschwand: »Ich erwarte euch!«

      Da wir keine anderen Pläne hatten, schlenderten wir nach Sonnenuntergang an den beschriebenen Platz. Wir klopften und wurden eingelassen. Schon an der Tür schlug mir ein süßlicher Geruch in die Nase. Mich umschauend ahnte ich, woher der Duft kam. Um einen alten Eisentisch herum saßen ein paar Beduinen und einige israelische Touristen, die ein riesiges Schillum, eine indische Haschischpfeife, rauchten. Wir waren junge, experimentierfreudige Studenten und so nahmen auch wir, nachdem wir zwischen den anderen Platz genommen hatten, die Pfeife entgegen und ich inhalierte den Rauch wohl etwas zu reichhaltig. Ein heftiger Hustenanfall war das Resultat, während sich für kurze Zeit alles um mich herum drehte. Als mein Gleichgewichtssinn sich wieder eingependelt hatte, erreichte ich nach kurzer Zeit einen Zustand absoluter Freude und Gelassenheit. Ein breites Grinsen setzte sich in meinem Gesicht fest und verblieb dort den Rest des Abends. Unser Gastgeber nahm ein Leinensäckchen aus seiner Innentasche und ich traute meinen Augen nicht. Zum Vorschein kam ein riesiges Stück Haschisch, von der Größe und Form einer Tafel Schokolade, nur doppelt so dick. Es hatte einen in Rot aufgedruckten libanesischen Stempel mit dem Symbol der Zeder. Er brach es in vier Teile. Nachdem er etwa drei Viertel wieder in seiner Westentasche verstaut hatte, nahm er das abgebrochene Viertel zwischen seine Handballen, zerdrückte das Stück und ließ es auf den Tisch rieseln. Das zu Bröseln zerfallene Haschisch schüttete er in eine große Tasse und fügte den Tabak einer ganzen Schachtel Zigaretten hinzu. Dann stopfte er wieder und wieder die Pfeife und drehte einen Joint nach dem anderen. Kleine, dicke, dünne, sogar einen, der wie eine Mistgabel aussah und drei Tüten auf einmal beinhaltete. Das Drehen von Joints schien sein liebstes Hobby zu sein, er war geradezu ein Perfektionist auf diesem Gebiet. Wir rauchten wörtlich bis zum Umfallen. Denn