Simone Wiechern

Fliegende Teppiche


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mich schnell und ungezwungen in ein Gespräch und wir hatten keinen Moment einer peinlichen Situation des gegenseitigen Anschweigens. Je nachdem, wie es einfacher war, sich auszudrücken, redeten wir Arabisch und Englisch durcheinander. Die älteste Tochter des Hauses, Solima, sprach gut Englisch und übersetzte für die älteren Frauen, die keine Schule besucht hatten. Wenn ich Arabisch sprach, amüsierten sich die Beduininnen köstlich über meine Aussprache, denn ich schaffte es nie, das »r« zu rollen, was sich für sie wohl sehr spaßig anhörte. Mein Professor auf der Universität hatte sich redlich bemüht, es mir beizubringen, doch nach zehn vollen Minuten gab er entnervt auf und behauptete, ich wolle es vielleicht einfach nicht lernen. Das war natürlich Unsinn, aber wenn ich versuchte, meine Zunge vibrieren zu lassen, kam da immer nur ein »zsss« oder »drrr« heraus.

      Sahis Mutter war eine schon damals sehr alt wirkende Frau, mit markanten Falten, die sich vertieften, wenn unsere Blicke sich trafen, da sie mir bei jedem Blickkontakt ein herzliches Lächeln schenkte. Die Gesichter der älteren, verheirateten Frauen waren bis über die Nase mit einem Tuch bedeckt, und ich sah nur ihre Augen, die durch die schwarze Verschleierung, die wie ein Rahmen wirkte, eine erhöhte Ausdruckskraft bekamen. Beim Zuhören ließ ich den Ort auf mich wirken. Das einfach gemauerte und verputzte Haus von Sahis großer Schwester, Aida, bestand aus zwei aneinander gebauten Zimmern. Die Farbe an der Fassade war schon lange nicht erneuert worden. Kinderhände und der ewige Staub hatten dunkle Spuren hinterlassen und an einigen Ecken war der Putz abgebröckelt. Die Türen waren aus einfachem Holz und weder passten die Rahmen in das Mauerwerk noch die Türen exakt in den Rahmen.

      ›Auf deutsche Wertarbeit scheint hier niemand Gewicht zu legen‹, flüsterte mir die Ästhetik zu.

      Ein Bretterverschlag, der etwas abseits stand und nur mit Palmwedeln abgedeckt war, diente als Küche.

      Am schönsten war der Vorhof, in dem wir saßen; sehr geräumig und von einigen riesigen Dattelpalmen dominiert, die gerade herrlichen Schatten spendeten. In einer Ecke war neben den Palmen ein wackeliger Zaun gezogen, hinter dem ein kleiner Garten angelegt war. Es war ein bescheidener Wohnort, der jedoch sehr gut durchdacht zu sein schien. Solima, Sahis Nichte, führte mich zwischendurch herum und erläuterte mir dessen Vorzüge. Es gab einen abgegrenzten Platz um die Ecke, an dem die Männer saßen. So konnten sich die Frauen, wenn sie sich trafen, unbeobachtet fühlen. Direkt nebenan, nur durch eine kleine, leicht zu übersteigende Mauer und die zwei Zimmer getrennt, war das Grundstück der anderen Schwester, das in etwa dieselbe Anordnung hatte, nur dass ihre Küche gemauert war. Nach der Besichtigungstour saß ich mit den Frauen und Mädchen auf kleinen Teppichen, die sie schon bei meiner Ankunft ausgebreitet hatten, um eine große, runde Feuerstelle herum, und noch bevor ich mein Teeglas ausgetrunken hatte, bekam ich von einem der Mädchen nachgeschenkt.

      Mir fiel auf, dass es immer mehr Kinder wurden, die sich zu uns setzten. Es hatte sich scheinbar herumgesprochen, dass eine Ausländerin zu Besuch war und neugierig wurde ich von ihren fast schwarzen Augen begutachtet. Sie tuschelten und kicherten und zogen wieder ab. Neue kamen. Oder waren die vorher schon mal da gewesen? Ich verlor den Überblick. Es gab sehr viele Kinder hier, stellte ich verzückt fest. Jedes Mal, wenn sie die Hoftür öffneten, versuchten die Ziegen der Familie, sich mit Vehemenz mit durch die Tür zu quetschen. Beim Hinauslaufen ließen die Kinder die Tür oftmals offen und so war eines der größeren Mädchen gezwungen, alle paar Minuten aufzustehen, um die Tiere wieder nach draußen zu scheuchen. Das war offensichtlich gar nicht so einfach, denn die Ziegen wussten sehr wohl, wo es sich besser leben ließ und das Futter zu finden war. Sie versuchten überall hin zu entkommen, nur nicht zur Tür hinaus. Manchmal mussten ein oder zwei andere Mädchen helfen, um sie endlich doch noch nach draußen zu treiben. Die Situation schien für die Bewohner vollkommen normal zu sein. Keiner schimpfte mit den Kindern oder regte sich über die Ziegen auf.

      Gerade kam Sabiha, die ich vom Strand her kannte. Sie hatte mich dort schon des Öfteren beim Backgammon besiegt und damit einige Flaschen Limonade gewonnen. Ihr stets geforderter Gewinn, bevor sie mit Feuereifer zu würfeln begann. Verlor sie, so bekam ich ein Armband, das sie vor meinen Augen mit schnellen, flinken und geübten Handbewegungen aus buntem Stickgarn fertigte. Ich hatte mittlerweile schon eine beachtliche Sammlung dieser Bänder. Ich kaufte den Mädchen gerne hin und wieder welche ab, da ich wusste, dass sie mit dieser Arbeit ihre Mütter unterstützten. Sabiha war fast täglich am Strand und verkaufte diese Bänder, daher sprach sie recht gut englisch und war mir oft eine wertvolle Dolmetscherin.

      Kurz vor Sonnenuntergang bereitete Solima Brotteig aus Weizenschrotmehl, Salz und Wasser, während ihre Mutter ein großes Feuer errichtete und entzündete. Der fertige Teig wurde in etwa zehn gleichgroße Fladen geteilt und dann mit einem Rundholz ausgebreitet. Sehr gekonnt warf Solima diese dann von einer Hand in die andere, bis sie sich auf einen Durchmesser von etwa einem halben Meter auseinandergezogen hatten und hauchdünn waren. Die Mutter hatte inzwischen ein gewölbtes Eisenblech über das Feuer gelegt, auf dem die Fladen nun gebacken wurden. Das erste, schön geröstete und noch heiße Stück bekam ich und ergötzte mich sowohl am Geruch als auch am Geschmack des herrlich frischen Brotes. Dazu wurde eine große Schüssel Datteln, die sehr süß und saftig waren, vor mich gestellt, dass mein Gaumen sich mehr als geschmeichelt fühlte.

      Früher hatte ich mir, wohl von Vorurteilen geprägt, die muslimischen Frauen grau und unscheinbar vorgestellt. Dieser Nachmittag belehrte mich eines Besseren. Die Beduininnen waren unter ihren schwarzen Umhängen kunterbunt gekleidet und fröhlicher, als ich je eine Runde Frauen erlebt hatte. Sie lachten, redeten und scherzten ununterbrochen und ihre hübschen dunklen Augen versprühten Freude und Lebendigkeit. Als wir auf die Familienzugehörigkeit zu sprechen kamen, stellte sich heraus, dass viele der Mädchen, die sich inzwischen eingefunden hatten, verwandt miteinander waren.

      Diese zufriedene Großfamilie beschäftigte meine Gedanken und weckte Sehnsüchte in mir, die tief verborgen trügerisch geruht hatten: Ich erinnerte mich an die Zusammenkünfte bei meiner Großmutter, bei denen alle meine Tanten mit ihren Kindern kamen. Ich hatte mich immer schon Wochen vorher auf diese Tage gefreut. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung, gab gutes Essen, nachmittags Kuchen und wir Kinder hatten eine aufregende, zufriedene Zeit. Nachdem ich von Zuhause weggegangen war, wurden die Treffen weniger, meine Großmutter erkrankte und der Familienzusammenhalt löste sich allmählich auf. Mir wurde an diesem Tag bei der Familie bewusst, wie sehr ich im Inneren solch ein fröhliches Beisammensein vermisste. Familie war für mich sehr wichtig. Dies war letztendlich auch der entscheidende Grund, warum ich mit Klaus nicht wirklich glücklich werden konnte. In allen anderen Belangen war er fantastisch. Wir hatten sehr gehaltvolle Gespräche, nie Streit und unsere Beziehung war durchweg positiv geprägt. Uns beiden war es wichtig, den anderen aufzubauen, zu stärken und glücklich zu machen. Aber ich suchte mehr. Ich wollte meine eigene Familie gründen, in der die natürliche Geborgenheit, die man dort erfahren kann, ganz groß geschrieben stehen würde. Deutschland entwickelte sich immer mehr weg vom typischen Familiensystem. Der Individualismus war hoch im Kurs und die Menschen hatten mehr und mehr Lebensabschnittsgefährten als einen Partner, lieber etwas Unverbindliches. Verantwortung schreckte ab und immer mehr Kindern wurde durch die Trennung ihrer Eltern das Urvertrauen geschmälert. Ich sehnte mich nach der konventionellen Art von Beziehungen, wo man, vor allem wenn Kinder vorhanden waren, durch gute und auch schlechte Zeiten gehen und gemeinsam alle Hürden überwinden würde. Nachdem was ich in all den Jahren zuvor gesehen und selbst erlebt hatte, empfand ich mich manchmal als sehr romantisch - aber es war nun einmal mein Traum. Das Resultat aus einer Kindheit, die mit einem Stiefvater geprägt war, den ich verabscheute und der mir immer zu verstehen gab, dass ich eigentlich nur störte. Er war ein Mann, der uns hart arbeiten ließ und brutal schlug, wenn wir seine Befehle und Aufträge nicht sofort erledigten.

      Ich wollte gerne Kinder, aber musste dazu erst einmal einen Mann finden, der das Herz am rechten Fleck hatte, vor allem verantwortungsbewusst war, selber Kinder wollte und mich liebte. Viele Ansprüche? Vielleicht. Meine Hoffnung war noch wohl auf und pfiff bei diesem herrlichen Anblick einer, wie mir schien intakten Familie, fröhliche Melodien.

      Bei Sonnenuntergang tauchte Sahi so plötzlich, wie er verschwunden war, wieder auf und wir gingen zurück ins Camp.

      Nach einer Woche in Dahab hatte ich genug vom Strandleben. Mittlerweile kannten mich zu viele Ägypter vom Sehen her und ich konnte