um in einem Augenblicke gelesen werden zu können, aber jedenfalls einen günstigen Bescheid enthielt; denn Mr. Mountjoy ergriff eiligst seinen Hut und ließ sich den Weg nach Mr. Vimpanys Hause zeigen.
Dreizehntes Kapitel.
Das Wohnhaus des Doktors war in einer stillen Nebenstraße gelegen und gewährte eine Aussicht, die nicht gerade ermutigend auf einen Mann wirken mußte, der sich dem ärztlichen Beruf gewidmet hatte. Die Aussicht ging nämlich auf den Kirchhof. Die Thür wurde von einem Dienstmädchen geöffnet, welches den Fremden argwöhnisch betrachtete. Ohne auf eine Frage zu warten, sagte sie, der Herr Doktor sei nicht zu Hause.
Mountjoy nannte seinen Namen und fragte nach Miß Henley.
Das Benehmen des Mädchens änderte sich sofort zum Besseren; sie bat ihn, in ein kleines Empfangszimmer einzutreten, welches unschön und dürftig ausgestattet war. Einige Bilder in armseligen Rahmen zierten die Wände; es waren – vielleicht nicht ganz am Platz in dem Hause eines Arztes – Porträts von berühmten Bühnenkünstlerinnen, die einst in früheren Jahrzehnten unseres Jahrhunderts die weltbedeutenden Bretter als Königinnen beherrscht hatten. Auch die wenigen Bücher, die auf einem kleinen Büchergestell über dem Kamin ihren Platz hatten, gehörten der dramatischen Literatur an.
»Wer liest diese Sachen?« fragte sich Mountjoy im stillen. »Und wie fand Iris ihren Weg in dieses Haus?«
Während er so an sie dachte, trat Miß Henley selbst in das Zimmer.
Ihr Aussehen war bleich und sorgenvoll; Thränen schimmerten in ihren Augen, als Hugh Mountjoy auf sie zutrat. In seiner Gegenwart empfand Iris das Entsetzliche, welches der durch feigen Meuchelmord herbeigeführte Tod seines Bruders Arthur hatte, tiefer, als sie bis jetzt davon berührt worden war. Einer plötzlichen Eingebung folgend, bog sie seinen Kopf zu sich herab mit der zärtlichen Vertraulichkeit einer Schwester und küßte ihn auf die Stirn.
»O Hugh,« sagte sie schmerzlich bewegt, »ich weiß, wie Sie und Arthur einander liebten! Meine Worte können nicht ausdrücken, was ich für Sie fühle!«
»Es bedarf keiner Worte, liebe Iris,« erwiderte er zärtlich. »Ihre Teilnahme spricht für sich selbst.«
Er führte sie zum Sofa und ließ sich neben ihr nieder.
»Ihr Vater hat mir gezeigt, was Sie ihm geschrieben haben,« begann er, »Ihren Brief aus Dublin und Ihren zweiten Brief von hier. Ich weiß, was Sie Hochherziges in Arthurs Interesse gewagt und erduldet haben. Es würde mir eine gewisse Genugthuung gewähren, wenn ich Ihnen einen Gegendienst – und wenn es auch nur ein sehr bescheidener Gegendienst wäre, Iris – für alles das erweisen könnte, was Arthurs Bruder der besten Freundin, die jemals ein Mensch gehabt hat, schuldig ist. Ach, lassen Sie doch,« fuhr er fort, in herzlicher Weise den Ausdruck ihrer Dankbarkeit unterbrechend. »Ihr Vater hat mich nicht hierher geschickt, aber er weiß, daß ich London mit der bestimmten Absicht verlassen habe, Sie aufzusuchen, und er weiß auch, warum. Sie haben ehrerbietig und liebevoll an ihn geschrieben; Sie haben um Verzeihung und Versöhnung gebeten, wo er doch der schuldige Teil ist. Darf ich Ihnen sagen, was er mir zur Antwort gab, als ich ihn fragte, ob ihm denn gar kein Glaube mehr an sein eigenes Kind geblieben wäre? ›Hugh,‹ sagte er, ›Sie verschwenden Ihre Worte an einen Mann, der mit dieser Sache abgeschlossen hat. Ich will meiner Tochter wieder Vertrauen schenken, wenn jener irische Lord im Grabe liegt – eher nicht.‹ Das ist ein Unrecht gegen Sie, Iris, das ich nicht zugeben kann, selbst wenn es Ihr Vater thut. Er ist hart, er ist unversöhnlich, aber er muß und wird sich ändern. Ich hoffe, daß ich ihn noch dazu bringen werde, Ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Dies vorzubereiten, bin ich hierher gekommen. Darf ich mit Ihnen über Lord Harry sprechen?«
»Wie können Sie daran zweifeln?«
»Liebe Iris, es ist für mich sehr peinlich, davon mit Ihnen zu sprechen.«
»Und für mich sehr beschämend,« stieß Iris bitter hervor. »Hugh, Sie sind ein Engel im Vergleich zu diesem Mann! Wie heruntergekommen muß ich sein, daß ich ihn liebe, wie unwürdig Ihrer guten Meinung! Fragen Sie, was Sie wollen, schonen Sie mich nicht!« schrie sie in unverhohlener Selbstanklage. »Warum mißhandeln Sie mich nicht, wie ich es verdiene?«
Mountjoy kannte die Frauennatur gut genug, um stillschweigend über diesen leidenschaftlichen Ausbruch hinwegzugehen, anstatt die Aufregung in ihr noch dadurch zu steigern, daß er ihr widersprach.
»Ihr Vater wird auf Gefühlsäußerungen nichts geben,« fuhr er fort, »aber es ist möglich, ihn durch Thaten dahin zu bringen, daß er Ihnen gerecht wird. Geben Sie mir die Gelegenheit, mit ihm ausführlicher über Lord Harry sprechen zu können, als Sie es in Ihren Briefen im stande sind. Ich muß wissen, was sich von der Zeit an ereignet hat, wo gewisse Vorfälle Sie nach Ardoon brachten und dort wieder mit dem irischen Lord zusammenführten, bis zu der Zeit, wo Sie ihn in Irland nach dem Tode meines Bruders wieder verließen. Wenn es den Anschein hat, daß ich Ihnen zu viel zumute, Iris, so denken Sie, bitte, daß es nur in Ihrem Interesse geschieht.«
In diesen Worten lag ganz die edle Denkungsweise Hugh Mountjoys. Iris zeigte sich ihrer würdig.
Ihr Bericht begann, um es kurz zu sagen, mit dem geheimnisvollen anonymen Briefe, welcher an Sir Giles gerichtet war.
Lord Harry hatte Iris in dankbarer Bereitwilligkeit darüber die erforderlichen Erklärungen gegeben, aber doch mit einer gewissen Zurückhaltung, nachdem sie ihm vorher gesagt hatte, wer der Fremde an dem Meilenstein in Wirklichkeit gewesen war.
»Hätte Sir Giles nur den zehnten Teil Ihres Mutes besessen,« hatte er gesagt, »so könnte Arthur jetzt noch am Leben und in England in Sicherheit sein. Ich kann nichts weiter sagen, ich darf nichts weiter sagen; es macht mich verrückt, wenn ich daran denke!«
Seine Verbindung mit den Unüberwindlichen – wie er selbst zugab, eine nicht zu entschuldigende, leichtsinnige und unbesonnene That – hatte es ihm, wie er weiter ausführte, möglich gemacht, in die mörderischen Pläne der Bruderschaft einzudringen und sie wenigstens für einige Zeit im geheimen zu vereiteln. Sein Erscheinen zuerst auf Arthurs Besitzung und dann später bei der Ruine im Wald stand im Zusammenhang mit den Plänen der Mordgesellen, die zu seiner Kenntnis gekommen waren. Als Iris mit ihm zusammengetroffen war, befand er sich auf der Lauer, in dem Glauben, sein Freund würde den kurzen Weg durch den Wald nehmen. Er war sich vollkommen bewußt, daß, wenn es ihm gelingen würde, Arthur zu warnen, er wahrscheinlich mit seinem eigenen Leben dafür büßen müßte. Nach der schrecklichen Entdeckung des Mordes, der auf der Landstraße begangen worden war, und nach der Flucht des Bösewichts, der der Unthat schuldig war, hatten sich Lord Harry und Miß Henley getrennt. Sie hatte ihn verlassen, um nach England zurückzukehren, und sich entschieden geweigert, die Einwilligung zu späteren Zusammenkünften zu geben, um die er sie bat.
An dieser Stelle ihrer Erzählung fühlte Mountjoy sich veranlaßt zu einigen direkteren Fragen, als er sie bisher an Iris gestellt hatte. Vielleicht war es möglich, daß er mit Hilfe der Eindrücke, die Lord Harry auf sie gemacht hatte, Iris von dem übel angebrachten Vertrauen der in Selbsttäuschung befangenen Frau heilen konnte.
»Fügte er sich willig Ihrer Abreise?« fragte er.
»Anfangs nicht,« antwortete sie.
»Hat er Sie von dem Versprechen, das Sie ihm in unüberlegter Weise vor einigen Jahren gegeben haben und durch das Sie sich verpflichteten,