Helga Henschel

Tödlicher Glitzer


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Georg sich gar nicht gut bei der langwierigen Angelegenheit. Ein Schlussstrich wäre ihm lieber gewesen. Er wollte unbelastet in sein neues verheißungsvolles Leben gehen und sich nicht länger mit der lästigen Vergangenheit abgeben.

      Als er die Haustür aufschloss, schnupperte er den Duft von Essen. Amelie hatte etwas aus den Vorräten gezaubert. Er ging in die Küche, wo sie noch am Herd stand und in den Töpfen rührte.

      „Hallo Amelie, schick sehen Sie mit der Schürze aus. Wo haben Sie die gefunden, habe ich noch nie gesehen“, begrüßte er sie.

      „Hallo Georg. Das Essen ist gleich fertig. Es gibt Kartoffeln mit Gemüse und hart gekochte Eier. Mehr war nicht aufzutreiben.“

      „Geht schon, Hauptsache etwas Warmes“, wunderte er sich kurz über die vertrauliche Anrede. Aber ja, Elvira hatte die weniger förmliche Anrede mit Vornamen, aber mit Siezen, eingeführt, erinnerte er sich.

      „Der Tisch ist schon gedeckt, Sie können sich setzen. Schenken Sie etwas zu trinken ein?“, fragte Amelie.

      Beiden kam ihre lockere Konversation mit Vornamen und Sie komisch vor. Aber ganz per Du traute sich Amelie nicht und Georg wollte es nicht zu vertraulich werden lassen. Kurz dachte er an ihr peinliches Erlebnis zurück. Er wollte Amelie keinen Platz in seinem Leben einräumen, nur als Raumpflegerin.

      Amelie legte die Schürze beiseite, schnappte die vollen Schüsseln und setzte sich an den Küchentisch. Beide aßen mit Appetit und Georg fühlte sich rundum wohl. So konnte das Leben weiter gehen.

      „Amelie, können Sie die Einkäufe übernehmen. Sie wissen sicher, was man so braucht. Ich bin da überfordert. Und vielleicht für Samstag und Sonntag vorkochen? In der Woche esse ich bei meinem Büro eine Kleinigkeit“, fragte Georg.

      „Ja klar, kein Problem. Ich kann auch Ihre Wäsche waschen.“

      „Das wäre prima. Eine große Hilfe.“

      „Gut, dann bleibe ich drei Stunden länger pro Woche. Ist Ihnen das recht?“

      „Ja, ist mir recht“, stimmte Georg ihrem Vorschlag zu.

      Nach dem Essen werkelte Amelie noch in der Küche, räumte ihr Arbeitszeug beiseite und ging zur Haustür. Während sie ihren Mantel anzog, rief sie ins Wohnzimmer:

      „Tschüss, bis nächste Woche.“

      „Tschüss und danke für alles.“

      Georg saß im Wohnzimmer, dass allmählich den Krankengeruch verloren hatte. Er fühlte sich wieder wohler. Elviras Tod ließ ihn über sein bisheriges Leben nachdenken. Er war fünfundvierzig Jahre alt, also in der Mitte seines Lebens. Er war nicht mehr jung, unverbraucht und so dynamisch wie noch vor zwanzig Jahren. Aber er spielte gerne Golf. Er liebte frische Luft, das Grün der Natur und die anregenden Gespräche mit seinen Golfpartnern. Oft schob er seinen Golftrolley ohne Mitspieler über den gepflegten Platz. Beim Golfen ließ es sich gut nachdenken und Entscheidungen treffen. Nicht zuletzt bedeutete der Trendsport Golf für einen selbstständig agierenden Unternehmer eine unbezahlbare Kontaktbörse. Aber er genoss den Sport auch ohne diesen geschäftlichen Hintergedanken. Die oft hellblond-gefärbten Golferinnen im Club tuschelten über Georg und warfen ihm interessierte Blicke zu. Er war ein attraktiver Mann. Groß, schlank, gutaussehend, mit einer Immobilienfirma und mehreren Mietshäusern und einem großen repräsentativen Wohnhaus. Das stellten anziehende Attribute eines erfolgreichen Mannes dar. Besonders die geschiedenen Golferinnen wären einer Runde Golfen mit anschließendem Ausklang an der Bar nicht abgeneigt gewesen. Georg bemerkte die Blicke der Damenwelt durchaus, doch sein Fokus richtete sich auf eine andere Frau.

      Dienstagnachmittag 7. April

      Besonders auf dem Rückweg vom Bestatter hatte er wieder oft an Tilda denken müssen. Tilda Viererbe war seine Ex-Freundin, die ihm auch seine Tochter Ellie geboren hatte. Tilda verdiente ihren Lebensunterhalt als Grundschullehrerin in den Fächern Englisch und Kunst. Sie war eine selbstbewusste Frau, die ihr Dasein als alleinerziehende Mutter managte. Groß, schlank und mit roten langen Haaren zog sie die Blicke der Männer auf sich. Das war Georg damals nicht entgangen. Er bewunderte Tilda, sie gab sich so ganz anders als seine verstorbene Frau Elvira. Mit Tilda hatte er anregende Gespräche bei einem Glas Rotwein geführt. Oft genug auch hitzige Streitgespräche über Ereignisse des Weltgeschehens. Elvira dagegen gab sich mit wenig zufrieden. Ihm schien, dass seiner Frau ihre Bequemlichkeit wichtiger gewesen waren. Noch immer war sich Georg nicht im Klaren darüber, warum er ausgerechnet mit Elvira zum Traualtar gegangen war und nicht mit Tilda. Sie hatten schließlich ein gemeinsames Kind, eine Heirat wäre da logisch gewesen. Mit Elvira dagegen hatte er keine Kinder. Warum eigentlich? Aber Elvira war hübscher gewesen als Tilda, das war wohl der Grund für seine Heirat. Und Tilda war ein halbes Jahr in England zum Sprachenlernen gewesen. Und ausgerechnet in der Zeit kreuzte Elvira seinen Weg. Plötzlich fühlte er sich oberflächlich und musste zugeben, dass er das auch war. Aber jetzt?

      Ihre gemeinsame Tochter Ellie war inzwischen neun Jahre alt und ein lebhaftes Mädchen mit dunklen Haaren. In ihrem feinen Gesicht leuchteten große braune Augen. Es bereitete ihm Freude, sie zu betrachten. Die vereinbarten Besuchstage erlaubten Georg, sie alle vierzehn Tage am Wochenende abzuholen. An diesen außergewöhnlichen Wochenenden unternahmen Vater und Tochter gemeinsam etwas Schönes. Er genoss diese Zeit und sie hatten stets Spaß miteinander. Georg liebte seine Ellie abgöttisch. Tilda hatte ihm erst spät von ihrer gemeinsamen Tochter erzählt. Zu spät, denn da hatte er Elvira schon geheiratet. Vermutlich hielt seine Ehefrau nicht viel von eigenen Kindern, denn das war nie ein Thema zwischen ihnen gewesen. Sie liebte das unbeschwerte, sorglose Leben und machte die Buchhaltung in seiner Firma. Kinder, die Pflege und Fürsorge beanspruchten, hätten ihr bei diesem selbstsüchtigen Lebensentwurf nur im Wege gestanden und ihm auch, musste er zugeben. Erst durch Ellie sah er das Thema Kinder weniger egoistisch. Er war stolz auf seine Tochter.

      Der Tee dampfte aus der Tasse. Er saß am Wohnzimmertisch, schaute den emporsteigenden Dampfschleiern zu und hing wieder mal seinen Gedanken nach.

      „Ich muss mir jemand für meine Buchhaltung suchen“, murmelte Georg.

      Ihm war plötzlich aufgefallen, dass er Ersatz für Elvira einstellen musste.

      „Das darf ich nicht vergessen.“

      Um seinen Gedankenblitz gleich in die Tat umzusetzen, griff er zum Telefon auf seinem Wohnzimmertisch. Er wählte die Nummer seines Büros und wartete, bis sich die gute Frau Hempel meldete:

      „Immobilien Pielhop, Hempel, guten Tag.“

      „Hallo Frau Hempel, Pielhop hier. Mir ist gerade etwas Wichtiges eingefallen. Meine Frau machte doch die Buchhaltung. Wir brauchen jemanden als Ersatz.“

      „Herr Pielhop, wie geht es Ihnen? Wissen Sie schon Näheres?“, fragte Frau Hempel spontan.

      Wohl oder übel musste er Auskunft geben. Sie würde sonst nicht lockerlassen.

      „Mir geht es inzwischen leidlich. Morgen komme ich ins Büro. Ich muss wieder arbeiten, sonst werde ich verrückt. Ich habe noch keine weiteren Informationen. Ich warte auf die Freigabe des Leichnams. Der Bestatter ist ungeduldig.“

      „Kann sachte angehen, meiner Meinung nach. Ihre Kunden, mit denen ich telefonierte, zeigten sich wegen des Todesfalls sehr verständnisvoll“, antwortete Frau Hempel.

      „In Ordnung, dass kommt mir sehr entgegen. Setzen Sie bitte eine kleine Anzeige auf und geben Sie die in die Tageszeitung für das kommenden Wochenende?“, kam er wieder zum eigentlichen Anliegen zurück.

      „Oh ja, das nehme ich gleich in Angriff“, erwiderte Frau Hempel geflissentlich.

      „Vielen Dank und auf Wiedersehen, bis morgen“, beendete Georg das Gespräch.

      „Auf Wiedersehen Herr Pielhop, alles Weitere können wir Morgen besprechen“, verabschiedete sich Frau Hempel und Georg drückte das Gespräch weg.

      Erschöpft rekelte er sich im Sessel und schaltete gelangweilt den Fernseher ein, indem gerade ein Kommissar eindringlich telefonierte.