Jules Verne

Zehn Jahre später


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Sie ganz gemächlich heimkehren.« – »Majestät, ich bin bereit.« – »Den Anfang machen Sie damit, daß Sie sich morgen beim Oberintendanten melden und sich das erste Viertel Ihres Gehalts auszahlen lassen. Er wird Ihnen die Zahlung verweigern, und eben darauf kommt es mir zuvörderst an. Wenn man Ihnen das Geld nicht geben will, holen Sie es sich bei Colbert. Dann brechen Sie in der Nacht auf, denn niemand darf Sie sehen. Es kann sein, Sie werden gefangengenommen –«

      »Das ist nicht anzunehmen.« – »Es kann sogar sein, Sie kommen ums Leben –« – »Das ist noch weniger wahrscheinlich.« – »Im erstern Falle bewahren Sie mein Geheimnis, im letztern sorgen Sie dafür, daß man keine Papiere bei Ihnen findet, die mich verraten könnten. Und nun adieu, Chevalier.« – D'Artagnan steckte die Anweisung auf ein Viertel seines Gehalts in die Tasche und kehrte nach Hause zurück.

      4. Kapitel. Fouquet

      Um dieselbe Zeit, da diese Unterredung im Louvre stattfand, ereignete sich ein anderes Gespräch zwischen Personen, die dem Gegenstande jener Unterredung sehr nahestanden: nämlich zwischen dem Oberintendanten und einem seiner Vertrauten. Der Finanzminister hatte schon erfahren, daß man gegen zwei seiner Freunde gerichtlich vorgegangen war, und schwebte in größter Besorgnis, als Gourville, sein Sekretär, in sein Arbeitszimmer hereinstürzte mit dem Rufe: »Gnädigster Herr, eine furchtbare Neuigkeit!« – »Was gibt es denn? Ich will ungestört sein –« – »Euer Gnaden, es besteht eine geheime Justizkammer.« – »Das weiß ich – auf dem Papier.« – »Nein, sie ist schon zusammengetreten, ja sie hat schon zwei Urteile gefällt, und zwar zwei Todesurteile.« – Der Minister schnellte von seinem Sitze auf. »Gegen wen?« rief er erbleichend. – »Gegen Lyodot und d'Eymeris.« – »Sie irren sich, das ist unmöglich!«

      »Hier ist die Abschrift – der König soll heute unterzeichnen.«

      Fouquet nahm das Papier, las es und gab es zurück. »Aber er wird nicht unterzeichnen,« sagte er. – Gourville schüttelte den Kopf. »Euer Gnaden, Colbert ist ein gefährlicher Ratgeber –« – »Schon wieder Colbert!« rief Fouquet außer sich. »Warum muß ich fortwährend diesen Namen hören? Das ist zuviel des Lärms von einer so unbedeutenden Person. Ich werde dem Mann gegenübertreten und ihn zermalmen.« – »Gnädigster Herr, Colbert hat bereits zwei Galgen bestellt, und ich werde erfahren, ob diese aufgestellt werden. Denn das wäre der Beweis –« – »Daß der König unterzeichnet hat –« beendete Fouquet. »So weit wird es nicht kommen! Ihr irrt euch alle. Vorgestern erst war Lyodot bei mir, und vor drei Tagen noch erhielt ich von dem armen d'Eymeris eine Sendung Wein.« – »Sie sind inzwischen verhaftet worden, und es wird jetzt eben in den Straßen von Paris öffentlich ausgerufen.« – »Dann muß ich zum König!« rief Fouquet. »Aber ehe ich in den Louvre gehe, will ich aufs Rathaus – ist das Urteil unterzeichnet, dann werden wir sehen –«

      Er war im Begriff, fortzueilen, als Gourville ihn aufhielt mit den Worten: »Euer Gnaden, Abbé Fouquet ist da.« – »Mein Bruder?« rief der Minister ärgerlich. »Dann steht es schlecht mit mir. Mein Bruder kommt immer nur, wenn es gilt, mir eine unangenehme Mitteilung zu machen.« – »Sie tun ihm Unrecht,« antwortete Gourville. »Er will nur Geld.« – »Schon seit zwei Jahren zahle ich ihm alle Monate 100 000 Taler. Wo soll das hinführen? Fort mit ihm, ich habe keinen Sou mehr.« – »Gnädiger Herr, es hat selbst der schlechteste Mensch seine nützliche Seite.« – »Was? Haben etwa auch die Banditen, die der Abbé besoldet, ihre nützliche Seite?« – »Es können Umstände eintreten, wo man froh sein wird, sie bei der Hand zu haben. Ich rate Ihnen, sich nicht mit 120 Strauchdieben zu überwerfen, die im Notfalle eine Schar von 3000 Soldaten zu ersetzen imstande sind.« – Fouquet sah seinen Vertrauten mit einem vielsagenden Blick an. »Gut,« antwortete er. »Laß den Abbé herein.«

      Mit tiefen Bücklingen erschien ein etwa 45 Jahre alter Mann, halb Pfaff, halb Kriegsmann, ein auf den Abbé gepfropfter Raufbold. Er trug kein Schwert – aber man konnte unschwer erkennen, daß er Pistolen bei sich führte. – »Was wünschen Sie, Herr Abbé?« rief der Minister. – »So spricht ein Bruder zum Bruder?« antwortete der Abbé. – »Ich habe es eilig.« – »Ich muß heute abend eine Spielschuld von 300 Pistolen bezahlen,« fuhr der Abbé fort, »tausend Pistolen an einen Fleischer, der nicht mehr borgen will, 1200 an den Schneider, der für meine Leute keine Livree mehr liefern will.« »Soviel an einen Schneider?« rief der Minister. »Dafür kann man eine Masse Kleider machen.« – »Ich unterhalte auch 100 Mann. Das ist keine Kleinigkeit.«

      »Wozu 100 Mann?« rief der Oberintendant. »Bist du etwa Richelieu? Wozu 100 Mann?« – »Höre ich recht?« versetzte der andere. »So kannst du fragen, Bruder? Ich für mich allein brauche keinen Menschen, aber du hast ja so viele Feinde, da genügen kaum 100 Mann, dich zu verteidigen. 10 000 müßte ich haben. Die Leute sorgen dafür, daß an öffentlichen Stellen niemand gegen dich zu sprechen wagt.« – »Ich wußte gar nicht, daß ich an dir einen solchen Beschützer habe,« sagte Fouquet. – »Es wird dir jetzt mehr nottun als je, solche Helfershelfer zu haben,« rief der Abbé. »Denn jetzt tritt ein Colbert gegen dich auf, da heißt es seinen Mann stehen. Erst gestern kam es auf der Straße zu einem Handgemenge, weil die Menge Colbert hochleben ließ. Da hat einer meiner Leute, ein gewisser Menneville – er ist erst seit kurzem in meiner Schar, bewährt sich aber sehr gut – einen der Schreier niedergestochen. Das hat einen Höllenlärm gegeben, aber zuletzt blieb doch Fouquet Sieger über Colbert. So verwende ich das Geld, das du mir gibst, und auf diese Weise verteidige ich die Familienehre.« – »Gut,« sagte Fouquet, »laß dir von Gourville deine Rechnung bezahlen und bleib heute abend zum Souper bei mir. Gourville,« sagte er dann in leisem Tone, »laß anspannen, ich fahre zum Rathaus.«

      Eine Schar von Gästen – Aristokraten, Künstler, Dichter, Gelehrte und Schmarotzer – versammelte sich im Palais des Ministers, während der Hausherr in den Wagen stieg und mit Gourville nach Paris jagte. Allein als sie in die Nähe des Grèveplatzes kamen, begegnete ihnen ein Lastfuhrwerk, auf dem zwei mit Ketten aneinander befestigte Galgen standen. Eine Bande von Vagabunden und jugendlichen Schreiern gab dem Wagen das Geleit. – »Sie sehen,« sagte Gourville, »es ist entschieden.« – »Zum Louvre!« rief Fouquet. – »Fahren Sie nicht hin, gnädigster Herr,« antwortete Gourville. – »Ich soll meine Freunde verlassen?« entgegnete der Minister. »Ich bin imstande zu kämpfen und soll die Waffen strecken?« – »Sind Sie imstande, das Ministerium in diesem Augenblick niederzulegen?« wandte sein Vertrauter ein. – »Aber meine Freunde dürfen nicht sterben.«

      »Wenn Sie einmal im Louvre sind, müssen Sie entweder Ihre Freunde verteidigen, das heißt sich mit ihnen gleichstellen, oder sie einfach fallen lassen. Eine andere Wahl wird Ihnen der König nicht lasten. Deshalb muß fürs erste jeder Zusammenstoß mit Ludwig XIV. vermieden werden. Für Ihre Person brauchen Sie nichts zu fürchten. Sie haben 150 Millionen und sind damit mehr als der König. Kehren Sie nach Saint-Mandé zurück.« – »Zurück nach Saint-Mandé!« rief Fouquet.

      Die Ankunft des Ministers wurde von den versammelten Gästen mit Freude begrüßt; aber diejenigen, die ihn genau kannten, merkten, daß er in unruhiger Stimmung war. Vergebens zwang er sich zur Heiterkeit; das Bewußtsein, daß mit jeder Stunde die Entscheidung näherrückte, daß ein Entschluß gefaßt, eine Tat vollbracht werden müsse, drückte ihn nieder. Das Tischgespräch drehte sich um das Testament Mazarins und um die Ernennung Colberts zum Kontrolleur der Finanzen, und da an dieser Tafel nur Leute anwesend waren, die zu Fouquets Partei gehörten und von seinem Gelde lebten, so ließ man an Colbert kein gutes Haar. Dennoch bewahrten Fouquet und seine intimeren Freunde in ihren Aeußerungen eine große Vorsichtigkeit, und selbst der Abbé Fouquet, der kein Blatt vor den Mund zu nehmen pflegte, verhielt sich abwartend.

      Nach dem Diner gab es ein Feuerwerk, das die Mehrzahl der Gäste in den Garten lockte. Fouquet benutzte die Gelegenheit, um mit seinen vertrautesten Freunden zu sprechen. Sein Bruder trat ans offene Fenster und beobachtete die draußen sich vergnügende Schar, um aufzupassen, daß kein weniger Berufener hereinkäme und etwa ein paar Brocken des Gesprächs aufschnappe. – »Meine Herren,« begann der Minister, »vermissen Sie nicht heute zwei unserer besten Freunde?«

      »Ganz recht,« bemerkte Pelisson, der in alle