Jules Verne

Zehn Jahre später


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»Na, warte, du sollst es gewahr werden, was ein Mann vermag, der dem Kardinal, und zwar dem wahren Kardinal, dem Richelieu, das Hugenottenlied ins Gesicht gepfiffen hat.« – In diesem Augenblick wandte der König sich um. »Sind Sie da, Chevalier?« – »Zu Befehl, Majestät.« – »Warten Sie – ich habe nur noch ein paar Zahlen zu addieren.« – D'Artagnan verneigte sich. »Immer noch ziemlich höflich,« dachte er. – Ludwig tat ein paar Federzüge, warf dann das Schreibzeug weg und stand auf, einen zugleich gebieterischen und wohlwollenden Blick auf den früheren Leutnant heftend.

      »Der Kardinal ist tot, Chevalier, das wissen Sie wohl schon,« begann er. »Ich bin also jetzt mein eigner Herr.« – »Das ist nicht erst seit dem Tode des Kardinals der Fall,« antwortete d'Artagnan ruhig. »Man ist immer sein eigner Herr, wenn man nur will.« – »Aber nach Ihrer Meinung war ich es nicht. Wenigstens sagten Sie mir das in Blois ziemlich deutlich,« sprach der König. – »Aha!« dachte d'Artagnan, »jetzt geht's los. Ich habe doch eben eine ganz feine Nase.« – »Erinnern Sie sich dessen nicht mehr?« fragte Ludwig. – »O, doch wohl,« versetzte der Leutnant außer Dienst. »Aber es ist schon so lange her.« – »Ich habe es genau behalten,« sprach der junge König. »Fast Wort für Wort, Herr Chevalier.« – D'Artagnan strich mit der Hand über die Hutfeder und dann über den Schnurrbart und schwieg. –»Ja, Sie sagten mir die Wahrheit,« fuhr der Monarch fort, »und dann nahmen Sie den Abschied. Sie verurteilten zugleich den König und den Menschen. Doch genug! reden wir nicht mehr davon. Es würde Ihnen Reue und mir Schmerz verursachen. Was haben Sie gemacht, seit Sie verabschiedet sind?« – »Seit ich nicht mehr in Ihren Diensten bin, Majestät,« erwiderte d'Artagnan, »habe ich endlich mein Glück gemacht.« – »Ein hartes Wort, Mann! Sie haben eine glänzende Tat verrichtet – drüben in England – ich weiß. Tut mir nur leid, daß Sie Ihr Versprechen nicht hielten. Nun ja! Sie gaben mir doch Ihr Wort, keinem andern König zu dienen.« – »Das da drüben tat ich auch nur auf eigne Faust, halten zu Gnaden, Sire.« – »Und es ist Ihnen geglückt?« – »Es hat mir 100 000 Taler eingebracht.« – »Ganz nett und damit ist nun Ihr Ehrgeiz ein für alle Mal befriedigt? Wollen Sie untätig leben? Ihr Schwert endgültig an den Nagel hängen?« – »Das ist geschehen, Majestät.« – »Unmöglich, Mann! Ich sage Ihnen, ich dulde es nicht!« rief der König mit Entschiedenheit.

      D'Artagnan sah fast verblüfft auf. Die Wendung die das Gespräch genommen hatte, entsprach nicht seinen Befürchtungen. Er harrte mit Spannung, was der König ihm wohl zu sagen hätte. – »Chevalier,« fuhr Ludwig fort, »es ist jetzt alles anders geworden.« – »Das ist es,« war die Antwort des ehemaligen Musketiers, »und ich wünsche Eurer Majestät Glück dazu. Aber ich bin kein Staatsmann. Ich sehe nur eins: Mazarins Regierung ist vorbei, nun wird die der Finanzkünstler angehen. Die haben das Geld in Händen. Eure Majestät wird keins zu sehen bekommen.«

      Es klopfte an die Tür und Colbert trat mit einem Aktenbündel herein. – »Entschuldigen Sie mich auf einen Augenblick, Chevalier,« sprach der König. »Ich habe mit dem Herrn hier zu reden. Sie kennen sich doch beide, wie?« – Die beiden Männer sahen sich an: d'Artagnan mit offnem, funkelndem Auge; Colbert mit zusammengekniffenen Lidern. – »Aha, das ist der Herr, der das schöne Wagstück in England vollführt hat,« sagte der Staatsmann. – »Und das ist Herr Colbert,« sagte der Gaskogner, »der den Schweizern die Silbertressen entzogen hat. Eine lobenswerte Sparsamkeit!«

      »Nun, Colbert,« fragte der König, »ist die Untersuchung beendet? Wie ist das Resultat?« – »Es ist auf Einziehung der Güter und auf Todesstrafe erkannt worden,« antwortete Colbert. – »So!« sagte Ludwig, sehr befriedigt. »Es handelt sich um gewissenlose Finanzpächter, Chevalier,« wendete er sich mit Hoheit und scharfer Betonung an d'Artagnan, »die mich jahrelang betrogen haben und die ich nun vor Gericht stellen ließ.« – Der Chevalier machte kein Hehl aus seiner Verblüffung. Im selben Moment aber sagte Colbert: »Majestät, die Sache hat ihre Schwierigkeiten, und vielleicht ist die Strafvollziehung ganz unmöglich. Die beiden Verurteilten sind gute Freunde einer sehr hochstehenden Person, und ein Angriff gegen die Finanzpächter ist zugleich ein Angriff gegen das Finanz-Ministerium.« – Ludwig errötete; er sah d'Artagnan an und glaubte in dessen Gesicht ein leises Lächeln der Ironie zu erkennen. Sofort ergriff er die Feder und unterschrieb die beiden Urteile.

      »Herr Colbert,« sagte er streng, »wenn Sie künftig von Geschäften mit mir reden, so streichen Sie das Wort Schwierigkeit aus Ihren Vorschlägen. Das Wort Unmöglichkeit will ich überhaupt nicht mehr hören. Auf welchen Betrag belaufen sich die Konfiskationen?« – »Auf fünf Millionen, Majestät.« – »Folglich sind jetzt in meiner Privatschatulle?« – »Insgesamt 18 Millionen,« antwortete Colbert. – »Alle Wetter!« dachte d'Artagnan, »das ist 'ne hübsche Summe.« – »Haben Sie an Seine Majestät den König von England schon gemeldet, daß ich in die Vermählung seiner Schwester Henriette mit meinem Bruder willige?« – Dies war längst geschehen, und der König fragte nur, um unter der Hand d'Artagnan davon in Kenntnis zu setzen. Colbert verneigte sich stumm, und der König entließ ihn.

      »Nun wieder zu unserer Sache!« fuhr der König fort, als wenn nichts vorgefallen wäre. »Sie haben gesehen, es ist manches anders geworden. Sie sagten in Blois, Sie seien nicht reich.« – »Jetzt bin ich es, Majestät.« – »Ja, doch das kümmert mich nicht. Sie leben von Ihrem Gelde, nicht von meinem. Und kurz und gut, wären Sie mit einem Jahressolde von 20 000 Livres zufrieden –?« – D'Artagnan machte große Augen. – »Wozu noch vier Pferde geliefert und außerordentliche Zuschüsse je nach Bedürfnis gewährt werden sollen?« fragte Ludwig weiter, »oder würden Sie es vorziehen, gegen einen höheren Gehalt alle Kosten auf sich selbst zu nehmen? In diesem Falle würden wir sagen, 40 000 Livres jährlich?« – »Majestät!« – »Sie sind erstaunt – das habe ich erwartet. Ihre Antwort?« – »20 000 jährlich ist sehr viel –« – »Sie wären also damit zufrieden? Gut! es ist auch besser, die einzelnen Ausgaben bei besonderen Anlässen von Fall zu Fall anzurechnen. Darüber setzen Sie sich dann mit Colbert auseinander. Hier ist Ihr Bestallungsbrief. Sie sind General-Kapitän der Musketiere am Hofe des allerchristlichsten Königs – und Sie wissen, daß über diesem Range nur noch der Marschall steht. Kein Wort, Chevalier! Sie treten Ihren neuen Dienst sogleich an. Seit Ihrer Abreise herrscht sowieso keine Mannszucht mehr unter den Musketieren. Sie werden Ordnung schaffen, sind stets um meine Person und begleiten mich bei der Armee.« – »Dann brauchen Majestät mir keine 20 000 Livres zu zahlen,« versetzte d'Artagnan fast barsch. »Der Dienst ist das Geld nicht wert.« – »Aber mein General-Kapitän soll standesgemäß auftreten können, repräsentieren, ein großes Haus halten –« – »Ich will kein gefundenes Geld, ich will mein Geld verdienen,« erwiderte der Chevalier. »Was ich da machen soll, das macht Ihnen jeder Faulenzer für 4000 Livres.«

      Ludwig XIV. lachte. »Die Gaskogner haben's hinter den Ohren,« sagte er. »Sie entlocken mir mein Geheimnis, Chevalier.« – »Majestät haben ein Geheimnis?« antwortete d'Artagnan. »Dann nehme ich die 20 000; denn ich werde es heilig halten, und Verschwiegenheit ist heutzutage fast unbezahlbar. Wollen Majestät zu sprechen geruhen.« – »Nun denn, Sie müssen in zwei Tagen reisefertig sein.« – »Wohin senden mich Majestät?« – »Nach der Bretagne. Können Sie eine wirkliche Festung von einer einfachen Befestigung, wie unsere Vasallen sie aufführen dürfen, unterscheiden?«

      »Wie einen Panzer von einer Käserinde, Majestät. Genügt das?« – »Ich denke wohl, Chevalier. Sie müssen allein reisen und dürfen nicht einmal einen Diener mitnehmen; denn Sie werden wohltun, sich hin und wieder selbst als Lakai zu verkleiden. Ihre Physiognomie ist in Frankreich ziemlich bekannt. In der Bretagne ziehen Sie die Kreuz und die Quer und besichtigen alle Befestigungen des Landes. Mit Belle-Ile-en-mer machen Sie den Anfang.«

      »Die gehört doch Herrn Fouquet,« meinte d'Artagnan mit einem Blick auf den König. »Was soll ich da erforschen. Ob's ein guter Platz ist, ob die Befestigungswerke neu oder alt sind, ob die Vasallen des Oberintendanten eine ausreichende Besatzung bilden?« – »Getroffen! Und wenn dort keine Fortifikationen aufgeführt werden, halten Sie an andern Plätzen der Bretagne Umschau.« – »Hm,« meinte d'Artagnan, sich den Schnurrbart streichend, »ich bin also ein königlicher Spion.« – »Nein, Sie spionieren nicht, Sie rekognoszieren nur,« antwortete Ludwig XIV., »es ist genau dasselbe, als wenn Sie in Feindesland an der Spitze