Claudia Hirsch

Von der Freiheit, ich zu sein


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später sammeln wir unser Gepäck ein und bewegen uns auf den Ausgang zu. Unsere Taxifahrerin manövriert ihren SUV durch große Regenpfützen und schmale Altstadtstraßen zu unserer Unterkunft, dem 33 Poshtel. Ich habe uns diesmal nicht in ein Hostel, sondern in ein Poshtel gebucht. “Posh” heißt in der deutschen Übersetzung “vornehm”, was eigentlich nicht so mein Ding ist. Auch den Zusatz “For Adults only”, der gleich neben dem Poshtel-Namen steht, finde ich wenig sympathisch. Solche Einschränkungen kenne ich eigentlich nur aus Amerika, wo im eigenen Land viele Kinder als so unerzogen und nervig gelten, dass man sie nicht in seinem Hotel haben möchte. Trotzdem oder vielleicht genau wegen dieses Zusatzes habe ich das 33 Poshtel gebucht. Rückblickend bin ich mir sogar sicher, dass meine Erkenntnis im Mindfulness Project den entscheidenden Anstoß dafür gegeben hat.

      Ein im Industriestil designtes Haus mit großem Pool und reduzierter, geschmackvoller Einrichtung empfängt uns. Es gibt eine Gemeinschaftsküche, was ich besonders gut finde, denn auf Reisen bietet sie eine tolle Möglichkeit, neue Menschen zu treffen. Fünf Tage wollen wir hierbleiben. Greta verschwindet erst einmal ins Bett.

      Chiang Mai ist eine geschichtsreiche Stadt. Bis Mitte des 16. Jahrhunderts war sie dreihundert Jahre lang die Hauptstadt des unabhängigen Königreichs Lan Na. Mauern und Gräben, die heute das alte Chiang Mai vom neuen trennen, zeugen von dieser Zeit. Hunderte über die Altstadt verteilte Tempel lassen die Wichtigkeit und den ehemaligen Glanz der Stadt als kulturelles und religiöses Zentrum erahnen. So beeindruckend das ist, ich habe so gar keine Lust, es allein zu erkunden. Und von Tempeln habe ich erst einmal sowieso genug. Außerdem fühle ich mich co-krank. Meine Blasenentzündung blitzt immer wieder auf. Alternative Medikamente haben sie nach dem ersten Antibiotikum zwar in Schach gehalten, aber nicht geheilt. Wo es jetzt hier die ersten Tage nichts zu tun gibt, habe ich viel Zeit, in mich und meine Blase zu spüren. Und so braucht es nur noch einen weiteren Tag, bevor ich einsehe, dass es doch nochmal ein Antibiotikum sein muss. In Asien - oder vielleicht ist es auch nur in Thailand so - ist der Umgang mit harten Medikamenten sehr unbeschwert. Ein Antibiotikum gibt es rezeptfrei über den Ladentisch. Ich schreibe mit einer Freundin, die sehr häufig mit der Blase zu tun hat. Sie erinnert mich an einen Artikel, der vor ein paar Jahren durch die Presse ging. Die damals noch häufig für die Blase verschriebenen Fluorchinolone kamen wegen ihrer sehr krassen Nebenwirkungen in Verruf. Natürlich reicht der nette Apotheker von nebenan mir genau diesen Wirkstoff für kleines Geld über den Tresen. Ich zögere die Einnahme noch einen weiteren Tag hinaus, gebe dann aber nach und nehme im Abstand von 12 Stunden zwei dieser Hammerteile. Online habe ich mir den Beipackzettel mehrmals und ganz genau durchgelesen. Prompt tritt eine dort für möglich gehaltene Wahrnehmungsstörung auf. Placebo oder nicht, es macht mir Angst und ich werfe die restlichen Tabletten in den Müll. Wie durch ein Wunder ist danach meine Blase wieder ganz hergestellt. Aber Greta kommt nicht so richtig auf die Beine. Wir beschließen, einen Bluttest zu machen. In Thailand gibt es keine niedergelassenen Ärzte. Hier geht es gleich ins Krankenhaus. Und Fieber in den Tropen sollte spätestens nach drei Tagen abgeklärt werden. Auf das Dengue-Virus testet sie zum Glück negativ und auch sonst kann der Arzt nichts finden. Mit der Diagnose, es könnte sich um einen viralen Infekt handeln, verlassen wir mit einer großen Anzahl an Pillen das Krankenhaus. Unsere Reiseapotheke bietet jetzt ein Mittel gegen Durchfall, Verstopfung, Übelkeit, Schmerzen und vieles mehr, was an Symptomen auftreten könnte.

      Tatsächlich geht Gretas Fieber zurück und da sie es leid ist, im Bett zu liegen, beginnen wir im Rentnertempo, die Stadt zu erkunden. Schon am Tag darauf wagen wir einen größeren Ausflug und lassen uns mit einem Taxi zum Einstieg eines Wanderwegs fahren. Über 1.200 Meter hoch liegt auf einem kleinen Berg der Tempel Wat Phra That Doi Suthep. Diese atemberaubende Anlage ist eingebettet in einen Nationalpark und über einen schmalen Waldweg zu erreichen, den Monk´s Trail. Seit dem 13. Jahrhundert ist hier im Dschungel nach und nach eine Oase entstanden. Kleine Höhlen und Pavillons mit spektakulärem Ausblick über Chiang Mai laden zum Meditieren ein. Eine lange Treppe mit Handläufen in Form geschwungener Drachenkörper schmiegt sich an den Abhang, zu der parallel ein kleiner Wasserfall über von ihm glatt gewaschener Steine plätschert. Und überall finden sich Buddhastatuen. Alte, riesengroße, große und kleine, üppig geschmückte, mit Moos bewachsene. Sie sind weder Dekorationsobjekt, noch Götzenbild. Sie sind eine Erinnerung an die in uns liegende Buddhanatur.

      Im Zickzack nach Bangkok

      Schon morgen sind wir mit Gretas Freund Finn in Bangkok verabredet. Es ist sein erster Besuch in Asien und da eine asiatische Großstadt ein ganz schöner Kulturschock sein kann, möchte Greta ihm das Ankommen mit ein paar gemeinsamen Tagen versüssen. Im Anschluß will er weiter in den Norden und eine Zeit im Mindfulness Project verbringen. Um seinem schmalen Reisebudget gerecht zu werden, buche ich für uns alle ein sehr günstiges Hotel in der Nähe der Koa Sun Road. Dort wollen wir uns treffen. Die Koa Sun ist die berühmteste Backpackerstraße der Welt und nicht zu verfehlen.

      Heute am späten Nachmittag werden wir Chiang Mai mit dem Nachtzug verlassen. Ein letztes Mail streifen wir, die Rucksäcke geschultert, durch die Stadt und versorgen uns mit Proviant für die Reise. Einer meiner absoluten Lieblings-Snacks sind unfreife, grüne Mangos, die an jeder Straßenecke angeboten werden. Sie sind knackig und sauer, wie ein Norddeutscher Apfel. Mit unzähligen Tütchen beladen nehmen wir unsere Zugtickets an der Rezeption eines Hotels vis-a-vis des Bahnhofs in Empfang und finden uns schon eine Stunde vor Abfahrt auf unserem Bahngleis wieder. Beide neigen wir zur Überpünktlichkeit und zu unserer freudigen Überraschung dieses Mal auch unser Zug. Verheißungsvoll steht er in seinem Gleisbett. Eine Nachtfahrt im thailändischen Zug! Für mich immer wieder ein Erlebnis.

      Bei der Reservierung von Plätzen im Schlafwagen gibt es ein paar Feinheiten, die bei Beachtung für uns lange Nordeuropäer sehr zum Komfort beitragen. Den oberen Betten fehlen nicht nur die entscheidenden zehn Zentimeter, um sich nachts auszustrecken, sondern auch ein Fenster, durch das man in schlaflosen Stunden die vorbeiziehende Landschaft beobachten könnte. Außerdem, und das ist das Gemeinste, scheint die Deckenbeleuchtung des Mittelgangs gnadenlos und ohne Unterbrechung die ganze Nacht ihr grelles Licht vorbei an dem Trennvorhang, dem ebenfalls ein paar Zentimeter fehlen. Wider diesen Wissens buche ich uns zwei Kojen übereinander, denn wir wollen bis zur Schlafenszeit zusammen in einem Abteil sitzen. Als Chiang Mai langsam vor unserem Fenster verschwindet, haben wir einen Großteil unseres Proviants vernascht. Schon eine weitere Stunde später kommt die Schaffnerin und macht die Betten. Ich überlasse Greta das untere Bett. Es macht für mich keinen Unterschied, da ich in Zügen meist sowieso kein Auge zu bekomme.

      So sehr ich das Zugfahren auch liebe, ich freue mich überhaupt nicht darauf, in Bangkok anzukommen. Bangkok ist ein Moloch. Die Stadt ist mir zu groß, zu unübersichtlich, zu laut, zu voll, zu dreckig. So gut wie nichts ist fußläufig zu erreichen und mit Bus und Taxi steht man stundenlang im Stau. Mir fallen unendlich viele Gründe ein, meine Abneigung zu begründen. Die wahre Wurzel meiner Bangkok-Phobie liegt aber in einer Dengue-Infektion aus 2014. Anja und ich machten damals für ein paar Tage Zwischenstopp in Bangkok. Ich hatte das Virus aus dem Mindfulness Project mitgebracht, das damals noch nicht da war, wo es heute ist. Aber da ich keine eindeutigen Symptome hatte, wußte ich nicht, dass ich krank war. Dengue ist eine Virus-Infektion, die von der Tigermücke übertragen wird. Sie verläuft typisch in zwei Wellen. Die erste Welle traf mich in Bangkok. Ich fühlte mich schlapp und hatte starke Körperschmerzen. Das Knochenbrecherfieber, wie die Krankheit auch genannt wird, breitete sich in meinem Körper aus, so dass ich schon morgens vor Schmerzen weinend auf meiner Matte lag, festen Glaubens, ich sei zu alt, um auf dem Boden zu schlafen. Anjas Idee, dass eine Thaimassage mir Linderung verschaffen würde, kehrte sich ins Gegenteil. Ich litt so sehr an dem wenig sanften Umgang mit meinem Körper, dass ich der Massagetherapeutin beinahe Gewalt angetan hätte. Halb wimmernd, hab lachend, denn ich fand meine Überempfindlichkeit selbst so albern, liess ich die Anwendung dennoch über mich ergehen. Am Abend bei unserem Bummel über den Nachtmarkt, waberte die grelle, lärmende Stadtatmosphäre wie das Gemisch aus einer Lavalampe auf mich zu, um sich gleich wieder von mir zu entfernen. Ganz so, als wäre ich auf einer psychoaktiven Droge. Ich hatte Wahrnehmungsstörungen, einen merkwürdigen Schwindel und war mir unsicher, ob ich hier wirklich rumlief oder in einem Traum gefangen war. Ich fühlte mich damals dieser Riesenstadt schutzlos ausgeliefert. Mein