Janine Zachariae

Das Geheimnis des Stiftes


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ich war noch sehr klein, in Wahrheit war er wohl über 1.80 Meter), schlank und hatte Schuhgröße 46. Seine Hausschuhe standen vor dem Zimmer, was ebenfalls sehr seltsam war. Warum sollte er Straßenschuhe in seinem Büro anhaben, wenn er doch von zu Hause aus arbeitete?

      Es wäre einfach unmöglich gewesen, aus diesem Zimmer zu verschwinden, und warum sollte er das machen?

      Auf seinem Schreibtisch sah alles ganz Normal aus. Nichts deutete auf einen Zettel oder Ähnliches hin.

      Eine Sache aber zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Stift, der aussah, als wäre er benutzt worden und doch wies nichts daraufhin. Wenn er eine Nachricht hinterlassen hätte – was er sonst immer gemacht hatte – wäre meine Mutter nicht so hysterisch gewesen.

       Wie konnte jemand aus einem verschlossenen Raum verschwinden?

      Danach war nichts mehr so, wie wir es kannten. Je länger mein Vater verschwunden blieb, desto mehr zog sich meine Mutter zurück. Die Ferien waren vorüber und ich kümmerte mich nach der Schule um den Haushalt, da sie dazu nicht in der Lage war. Das Geld wurde ebenfalls knapp und ich fragte in dem Blumenladen gegenüber unserer Wohnung, ob ich dort aushelfen könnte. Ich erklärte Frau Hops alles und sie nickte traurig. Konnte mich allerdings nicht einstellen, da ich noch zu jung war. Aber hin und wieder dürfte ich ihr helfen, wenn ich möchte und immer zu ihr kommen, wenn ich wollte.

      

       3. Der Blumenladen

      Fünf Jahre lang ging ich jeden Tag nach der Schule zu Frau Hops und half ihr. Es war nur ein Vorwand, dass ich Geld bräuchte. Denn eigentlich wollte ich Gesellschaft, da ich nicht in die deprimierende Wohnung zurückkonnte. Der Geruch all dieser Blumen und Pflanzen beruhigte mich und erfüllte meine Sinne jedes Mal aufs Neue.

      Meine Mutter suchte sich wieder Arbeit und schuftete in einem Dreischichtsystem im Krankenhaus. Sie war im Grunde sowieso nie da und wenn, verzog sie sich schnell in ihr Schlafzimmer.

      Irgendwann schaute ich mich in ihrem Zimmer um. Ja, ich weiß, das macht man nicht. Aber ich war verzweifelt. Ich musste wissen, was los war.

      Sie suchte nach meinem Vater.

      Sie hatte nie aufgehört, nach ihm zu suchen, und das gab mir den Rest. Ein kompletter Ordner lag vor mir, vollgestopft mit Belegen, Dokumenten und Bildern, die eine Person zeigten, die meinem Vater ähnelten, aber er doch nicht war oder sein konnte.

      Ich blätterte die Seiten durch, wusste, ich habe viel Zeit und stoppte bei einem Foto, was sehr alt aussah. Es war datiert, aber das Jahr …

      Was sollte das Bedeuten?

      Warum hatte meine Mutter ein Bild aufgehoben und eingeklebt, welches eine Zeichnung darstellte. Es war nicht einmal eine Fotografie. Na gut, dank Google wusste ich, dass das erste bekannte Foto wohl 1826 entstand. Aber die Zeichnung, die scheinbar in einer Zeitung vorgekommen war, stammte von 1714. Mit meinem Handy fotografierte ich alles ab und schaute es mir stundenlang an.

      *

      Was wusste meine Mutter?

      Was verheimlichte sie mir?

      *

      Frau Hops war eine herzensgute alte Dame, die mir sehr viel über sich und ihre Vergangenheit erzählte.

      Meine Mutter kannte Frau Hops ebenfalls und sie war ihr dankbar, dass ich zu ihr durfte. Die zwei sprachen oft stundenlang miteinander und scheinbar konnte nur diese liebe alte Frau zu ihr durchdringen.

      *

      Vor fünf Jahren verreiste Frau Hops und bat mich für sie einzuspringen, sofern ich es zeitlich einrichten könnte. Es war nichts Ungewöhnliches, denn oft sprang ich für sie ein, wenn sie zum Arzt musste oder einen anderen Termin wahrnehmen wollte. Sie vertraute mir und ich war unendlich dankbar, ihr helfen zu können, da sie über viele Jahre hinweg wie eine Großmutter für mich war. Ich war zwar erst fünfzehn, aber kannte mich gut im Laden aus. Es sollte nur für ein paar Tage sein und ich hatte gerade Sommerferien, da war es für mich eine willkommene Abwechslung. Doch die Tage verstrichen, und ich hatte noch nichts von Frau Hops gehört.

      Es war an einem Mittwochnachmittag und der Blumenladen, den ich ordentlich hielt und jede Blume so pflegte, wie ich es gelernt hatte, war mit vielen unterschiedlichen Kunden besucht.

      Kurz vor Ladenschluss sah ich einen Mann, um die 25 Jahre, der vor der Ecke mit dem Trauergesteck angehalten hatte.

      »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte ich leise, doch er zuckte trotzdem etwas zusammen. »Verzeihung, ich wollte Sie nicht erschrecken.«

      »Ist nicht ...«, er sah zu mir und schien zu überlegen, ob er mich duzen oder siezen sollte, »... deine Schuld«, entschied er sich schließlich, was mir nichts ausmachte, denn ich bin es gewohnt gewesen. Es sprach trotzdem für ihn, dass er erst einmal darüber nachdachte. »Meine Großmutter ist vor ein paar Tagen ...«, er brach den Satz ab und ich führte ihn zu einer Bank, auf der er sich setzen sollte.

      »Darf ich Ihnen eine Tasse Tee oder ein Glas Wasser anbieten? Danach können wir überlegen, was Ihrer Großmutter gefallen hätte.«

      Er lächelte und setzte sich schließlich hin. »Ein Tee wäre gut, danke.« Ich nickte und ging hinter die Kasse, dort hatten wir einen Wasserkocher und jede Menge Teesorten versteckt. Ich überlegte, welcher am Besten geeignet wäre, und beobachtete ihn, während das Wasser langsam kochte. Er trug eine dunkle Jeans und ein schwarzes Langarmshirt, sowie schwarze Turnschuhe und wirkte sehr lässig und doch angespannt. Er fuhr sich mit seiner rechten Hand durch sein volles dunkles Haar und schien über irgendwas nachzudenken. Ich glaubte, als ich ihn damals dort sitzen sah, dass er eigentlich andere Farben bevorzugte.

      Das Wasser kochte und ich bereitete ihm einen Tee mit Kamillenblüten zu. Dieser würde ihn etwas Ruhe schenken, ohne ihn schläfrig zu machen. Hoffte ich zumindest. Zwischen all den Blumen den Duft der Kamille zu riechen, ist mag ich immer sehr gerne. Er nahm mir die Tasse dankend ab und ich ließ ihn erst einmal alleine und kümmerte mich um weitere Kunden. Nach einigen Minuten stand er auf, lächelte mich an und ich nahm ihm die Tasse wieder ab und verbarg sie hinter der Kasse. Er hatte seine Hände in den Hosentaschen vergraben und wirkte mit einem Mal sehr unsicher.

      »Erzählen Sie mir doch etwas über Ihre Großmutter«, schlug ich vor und suchte in der Zwischenzeit nach etwas Passendem. Zuerst schien er nicht zu wissen, wieso ich so vorgehe, aber das hatte ich alles von Frau Hops gelernt.

      Auch sie unterhielt sich gerne mit ihren Kunden und erstellte so das beste Gesteck, das man sich vorstellen konnte. Sie war eine wahre Künstlerin und ich staunte immer wieder über das, was sie erschaffen hatte. Sie sollte stolz auf mich sein und keine Beschwerden hören. Das war ich ihr schuldig. Also hörte ich mir die Männer und Frauen, Kinder und Großeltern, Menschen mit körperlicher oder geistiger Einschränkung an und versuchte für sie da zu sein. Manche kommen hier her, weil sie jemandem eine Freude machen oder sich entschuldigen wollen. Andere möchten sich selbst etwas Gutes tun. Manchmal kommen Kinder in den Laden, die ihrer Mama eine kleine Freude machen möchten oder weil sie sich in einen Kindergartenfreund oder Freundin verliebt haben. Dann stehen sie vor den ganzen Blumen, staunen und zeigen gezielt auf eine Bestimmte. Sie zücken ihr eigenes Taschengeld, obwohl ich mir immer wieder sicher bin, dass die Mutter oder der Vater es zahlen würden. Denn sie alle strahlen etwas Wundervolles aus.

      Noch während dieser Mann von seiner Großmutter erzählte, griff ich nach einem schlichten, aber eleganten Gesteck. Er hatte mir berichtet, dass das eine extra Firma übernehmen würde, doch wollte er selbst etwas mitbringen.

      Er betrachtete das, was ich ausgesucht hatte und zog die Augenbrauen zusammen.

      »Es fehlt noch was, einen Augenblick bitte«, sagte ich und verschwand kurz hinten im Lager.

      Ein Ort voller Dekoration, Blumen und Pflanzen. Im Lager geschieht und geschah die eigentliche Magie. Dieser Blumenladen hatte mich vom ersten Moment an verzaubert und viele Kunden ebenfalls.

      Wenn