Janine Zachariae

Das Geheimnis des Stiftes


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sie in der Dämmerung verschwand, lächelte sie noch einmal.

      Es war ein milder Sommerabend. Ich sog kurz den Duft der ganzen Pflanzen und Blumen ein, bevor ich zur Kasse ging und meine Abrechnung machte. Anschließend besprühte ich die bunte Pracht mit Wasser, andere bekamen etwas mehr Flüssigkeit. Präzise nach Vorschrift, denn Frau Hops hatte mir alles genau aufgeschrieben und ich studierte diese Liste so lange, bis ich sie auswendig kannte. Nachdem ich kurz durchgefegt hatte, konnte ich das Licht löschen, die Alarmanlage einschalten und die Tür verschließen.

      Die Abendluft tat gut und obwohl es nur ein kurzer Weg war, genoss ich es doch.

      *

      Am nächsten Morgen klingelte es sehr früh an unserer Tür. Ich hatte gerade Kaffee gekocht, während meine Mutter noch im Bad war. Um diese Uhrzeit hatten wir nie Besuch, deshalb brauchte ich einen Moment, um zu realisieren, dass jemand draußen stehen musste.

      Irritiert öffnete ich und blickte erstaunt in zwei Gesichter, die ich erst am Tag zuvor im Laden gesehen hatte.

      Wahrscheinlich ahnt ihr es schon.

      »Guten Morgen.« Perplex starrte ich sie an und hätte mich beinahe verschluckt. Sie erwiderten meinen Gruß. Da ich keine Ahnung hatte, was ich sagen sollte, bot ich ihnen Kaffee an. Sie schienen irgendwas zu wollen.

      »Danke, sehr freundlich. Ist deine Mutter da?«

      »Ja, sie … ah, da ist sie.«

      »Oh, wir haben Besuch? Moment, Sie waren doch gestern im Blumenladen, nachdem meine Tochter schon längst Feierabend gehabt hätte.«

      »Guten Morgen, Frau Note, ja, genau. Sehr erfreut, ich bin Emily und das ist mein Bruder Colin.«

      »Guten Morgen«, sagte meine Mutter ebenfalls irritiert.

      »Setzen Sie sich doch, der Kaffee ist fertig. Milch und

      Zucker stehen schon auf dem Tisch«, sagte ich und goss die schwarze Brühe in Tassen, reichte sie ihnen und wir alle nahmen am Tresen in der Küche platz.

      Scheinbar wussten sie nicht, was sie sagen sollten, denn eine beklemmende Stille trat ein.

      Dann fiel bei mir der Groschen.

      »Sie beide haben gestern erzählt, dass Ihre Großmutter verstorben sei ...«, sagte ich und spürte, wie sich ein Kloß in meinem Hals ausbreiten wollte. Ich schluckte mühevoll. »Sie haben von ...«, meine Stimme versagte und ich sah an ihren Blicken, das ich Recht hatte. »Entschuldigt mich bitte einen Moment«, stieß ich hervor und ignorierte die Höflichkeitsformeln für den Augenblick.

      Ich stand auf, rannte aus dem Zimmer und schloss mich kurz im Bad ein. Ich musste mich etwas sammeln. Frau Hops. Sie haben von der lieben alten Frau Hops gesprochen. Ich schnäuzte meine Nase und blickte in den Spiegel, wischte die Tränen weg und lächelte mich kurz an.

      *

      In den Spiegel zu blicken war schon immer eine Qual für mich.

      Wenn ich lange genug hinein starre, glaube ich wirklich zu verschwinden, so, wie mich immer alle wahrnehmen.

      *

      Ich strich mein T-Shirt glatt und ging wieder nach draußen.

      »Das tut mir sehr leid«, sagte ich mit einer gefassten Stimme. »Frau Hops war eine wirklich liebe Frau und … Ich werde ihr auf ewig dankbar sein für alles, was sie für mich gemacht hat.«

      Die Geschwister nickten und lächelten kurz.

      »Sie war krank«, begann schließlich Colin. »Schon lange.

      Wir wussten es und konnten uns so etwas besser darauf einstellen.«

      »Sie wollte bei ihrer Familie sein, wenn sie ...«, schlussfolgerte ich.

      »Ja, und wir haben es ihr so angenehm wie möglich gemacht.«

      Details konnte ich keine ertragen, deshalb fragte ich, ob ich etwas machen könnte. Vielleicht im Blumenladen eine Gedenkfeier organisieren. Sie freuten sich über meinen Vorschlag und ich hatte plötzlich jede Menge Ideen.

      »Haben Sie meine Tochter gestern ausspioniert?«, platzte meine Mutter heraus, und obwohl es sehr direkt war, so hatte ich auch schon diesen Gedanken.

      »Wir wollten sehen, wie sie mit uns umgeht, ja.«

      »Und, hat sie bestanden?«

      »Das hat sie, ja.«

      »Ich bin auch anwesend. Ihr müsst nicht so tun, als würde ich es nicht hören ...«, sagte ich.

      Ich hasse es, übergangen zu werden.

      Als sei ich unsichtbar.

      »Entschuldige.« Emily blickte mich nun wieder an. »Du hast dich so rührend um mich gekümmert und dir so viel Zeit genommen. Als ich meinem Bruder davon erzählt habe, wusste er, dass du den Laden sehr gut weiterführen könntest – mit deiner Mutter natürlich. Frau Note, unsere Großmutter hatte uns strickte Anweisungen gegeben, und wir haben nur ihren Willen durchgeführt. Sie hat Melanie natürlich vertraut, aber sie wollte, dass auch wir uns ein Bild davon machen.«

      »Sie hat geglaubt, Sie würden sonst vermuten, dass es nur ein Hirngespinst sei?«

      »Ja. Unsere Großmutter hatte ein so großes Herz und hat stets das Gute in allem gesehen.«

      »Frau Hops war eine ganz besondere Frau. Sie hat mir so viel gegeben und beigebracht. Es wäre mir eine Ehre, weiter im Blumenladen arbeiten zu können.«

      »Sie hat den Laden auf euch überschreiben lassen.«

      

       4. Marinettesbookland

      Das war ein Schock und doch sehr logisch.

      Wir hatten eine schöne Gedenkfeier im Blumenladen und auch die Trauerfeier selbst war sehr bewegend. Colin und Emily regelten alles mit uns, und irgendwann waren wir die Besitzer von

       Hops Blumen.

      

      Selbstverständlich haben wir den Namen so gelassen und auch sonst haben wir kaum etwas verändert. Ein paar Modernisierungen, aber ansonsten scheint die Zeit im Blumenladen still zu stehen.

      Ein Bild von Frau Hops hängt neben einer Tür, die zum Lager führt und man es sehr gut betrachten kann, wenn man bezahlt.

      Noch immer wohnen wir genau gegenüber dem Laden, was sehr praktisch ist.

      Die Wohnung von Frau Hops hatte vor einigen Jahren ein Mann bezogen, der Mitte 30 war. Ich hatte lange gehofft, dass er und meine Mutter zusammenkommen, aber mittlerweile glaube ich es nicht. Wobei ich nicht weiß, wieso es nicht so ist. Meine Eltern waren noch sehr jung, als ich auf die Welt kam. Man sieht Saskia nicht an, dass sie schon 38 ist. Ihre kurzen Haare stehen ihr sehr gut und lassen sie erstrahlen. Seit sie Vollzeit im Blumenladen arbeitet, scheint sie selbst erblüht zu sein. Ihren Job im Krankenhaus hatte sie recht schnell aufgegeben.

      Natürlich fehlt uns so etwas Geld, aber wir haben lange darüber gesprochen und ich wollte, dass wir wieder mehr Zeit miteinander verbringen.

      *

      Nun habe ich aber immer noch das Problem mit dem Namen für meinen ersten Instagram Account. Mein Geburtsname ist Melanie Note. Strike ist der Nachname meiner Tante Hayley.

      Ich beiße mir, wenn ich nachdenke, immer auf die Unterlippe oder kaue auf irgendwas herum - meist ist es ein Stift oder etwas Ähnliches. Ich sitze auf dem Bett und blicke mich kurz in meinem Zimmer um. Die Bücher stapeln sich mittlerweile an den Wänden, aber irgendwie finde ich das cool so. Eine ganze Wand nimmt das Bücherregal ein, aber es ist so überfüllt, dass ich es irgendwann nicht mehr sehen konnte. Deshalb hab ich umgeräumt und besser sortiert. Nach Genre und Autor.

      Auf dem Boden habe ich die aufgebaut, die mir nicht ganz so gut gefallen haben.