dass es heute mal geklappt hat. Wie lange haben wir uns nicht mehr getroffen?“
Karin überlegte. Sie und Lia kannten sich seit acht Jahren und arbeiteten im selben Kindergarten. Lia war vierunddreißig und vor zehn Jahren war ihr ein Hirntumor entfernt worden. Seitdem ging es ihr meistens gut, doch ab und zu machten ihr Kopfschmerzen und Sehstörungen zu schaffen. Ihr Arzt hatte diagnostiziert, dass sie unter epileptischen Anfällen litt und führte das auf die Folgen der Chemotherapie zurück.
„Das ist bestimmt zwei Wochen her. Ich bin froh, dass du da bist. Wir müssen mal wieder richtig schön schwätzen.“
„Gibt es Neuigkeiten, von denen ich nichts weiß? Hast du jemanden kennengelernt?“
Lia, die eine ungewöhnlich große schlanke Frau war, setzte sich auf und legte die Unterarme auf die Knie. Dann schaute sie Karin mit großen blauen Augen erwartungsvoll an, doch die Freundin winkte ab.
„Wie kommst du denn darauf? Nein, ich habe beschlossen, keinen Mann mehr in mein Leben zu lassen. Die nehmen und nehmen immer nur, ich bräuchte aber mal einen, der auch gibt und mich nicht nur ausnutzt.“
„Ach, meine Liebe, ich würde dir einen netten Mann von Herzen gönnen!“
„Lass uns mal das Thema wechseln. Ich habe mir etwas überlegt und brauche deinen Rat.“
„Schieß los!“
„Mein Haus ist das Beste, was mir mein Ex überlassen hat, aber eigentlich ist es zu groß für mich allein. Manchmal fürchte ich mich, wenn ich in irgendwelchen Ecken Geräusche höre. Darum habe ich mich gefragt, ob ich nicht jemanden zur Untermiete aufnehme.“
„Ja! Ja, tu das! Das ist eine gute Idee!“
Lia hatte es sich auf der großen Couch bequem gemacht. Sie schlug sich auf die Knie der endlos langen Beine, drehte dann die schulterlangen blonden Haare zu einem Knoten zusammen und strahlte.
„Das ist super, hilft gegen Einsamkeit und Angst. Einen Mann oder eine Frau?“
„Wie meinst du?“
„Ob du lieber einen Mann oder eine Frau aufnehmen möchtest?“
„Ich dachte da an dich.“
Lia schwieg. Karin war ihre Freundin und sie mochte sie wirklich sehr, aber mit ihr zusammenwohnen? Nein, das konnte sich Lia nicht vorstellen, denn Karin hatte ein ausgesprochenes Helfersyndrom. Sie würde Lia von morgens bis abends bemuttern und dann arbeiteten sie ja auch noch zusammen. Das würde nicht funktionieren, denn Karin würde sie mit ihrer Fürsorge erdrücken.
„An mich? Da fühle ich mich sehr geehrt, aber das ist nichts für mich. Ich brauche meine Freiheit, um mich auch mal zurückziehen zu können. Sei mir nicht böse, aber das geht nicht.“
„Warum denn nicht? Ich könnte mich um dich kümmern und wenn was ist …“
„Genau da ist der Haken. Versteh mich nicht falsch, ich mag dich sehr. Aber du sagst es: Du würdest dich kümmern und mich bemuttern und alles hinterfragen und so weiter. Ich will aber, dass du meine Freundin bist, nicht meine Mutter. Mit dir will ich Spaß haben, über andere Leute lästern, über Männer quatschen. Und ich will dir von meinen Sorgen und Nöten erzählen können, ohne dass du dich verpflichtet fühlst, mir zu helfen. Du würdest ständig fragen, wie es mir geht, ob ich was brauche … nein, Süße, das kann ich nicht. Ich bin froh, dass du mein Notfallkontakt bist und dass ich mit dir immer jemanden habe, den ich rufen kann, wenn es mir gesundheitlich schlechter geht, doch du würdest auch fragen und Angst um mich haben, wenn es mir gut geht.“
Sie sah die Enttäuschung in den Augen ihrer Freundin. Karin war in ihrer Euphorie ausgebremst worden und nun sackte sie in sich zusammen. Aber sie wusste genau, was Lia meinte. Schließlich kannten sie sich sehr gut. Sie wusste auch, dass Lia ihr Verhalten einschätzen konnte und mit ihren Worten hatte sie genau das geschildert, was sich Karin in ihrer Fantasie erträumt hatte. Sie wollte sich wieder nützlich fühlen. Traurig nickte sie.
„Ich weiß, was du meinst und bin dir nicht böse, wirklich. Ich hatte nur gehofft, mit einer bekannten Person zusammen zu wohnen.“
„Das ist doch auch eine Chance! Du lernst jemanden kennen und es ist eine neue Herausforderung. Ich helfe dir gerne, einen passenden Kandidaten auszusuchen.“
„Eine Kandidatin. Ein Mann kommt mir nicht ins Haus!“
Jetzt lachten beide befreit und Karin goss sich ein Glas Wein und Lia eine Cola ein. Die Freundin trank keinen Alkohol, weil sie Medikamente nahm, die mögliche Anfälle unterdrückten, und sie wollte nicht, dass Alkohol Einfluss darauf hatte. Dann prosteten sie sich zu.
„Auf eine neue Mitbewohnerin!“
„Auf eine neue Erfahrung!“
Eine Weile sprachen sie noch über die Vorstellungen, die sie von Karins neuem Leben hatten, dann gähnte Lia.
„Wie geht es dir denn?“, wollte Karin wissen. „Jetzt haben wir den ganzen Abend nur über mich geredet. Geht es dir gut?“
Lia winkte ab.
„Ja, mit den Medikamenten geht es mir gut, aber sie machen müde. Ich habe extra vorhin noch eine Stunde geschlafen.“
„Was sagt dein Arzt?“
„Dr. Miltzer ist zufrieden. Ich bin froh, ihn zu haben und diese engmaschige Kontrolle tut mir gut.“
„Ich frage mich echt manchmal, wie er das alles abrechnet. Gehst du nicht jede Woche hin?“
„Jeden Freitag. Er fragt, wie es mir geht, misst Blutdruck und wir reden. Keine Ahnung, wie er das abrechnet, kann mir ja auch egal sein.“
Karin lachte.
„Vielleicht ist er in dich verknallt.“
„Nein, auf keinen Fall. Er ist immer sehr streng und hat niemals irgendwas getan, das auf so etwas schließen lässt. Er ist halt schon sehr lange mein Arzt. Nach der Operation hatte er direkt die Nachsorge übernommen und es gibt niemanden, der sich so für mich und meinen Fall interessiert.“
„Keine Sorge, das war nur Spaß. Wie sieht er denn aus?“
„Groß, größer als ich, graue Augen, Dreitagebart, aber gepflegt, braune Haare. Ein Typ wie viele, und er ist sehr unterkühlt. Wer ihn nicht kennt wie ich, denkt, er ist arrogant. Aber das ist nur eine Hülle. Ich denke, er ist innen drin ein warmherziger Mensch.“
„Das ist doch gut. Und schön, dass du deinem Arzt vertrauen kannst. Das ist heutzutage nicht selbstverständlich. Denkst du manchmal, er will dich nur abzocken?“
„Nein, niemals. Er holt die Medikamente auch immer direkt in der Krankenhausapotheke, damit ich keine extra Wege habe, denn das Zeug ist teuer und man muss es eh bestellen.“
„Das ist aber wirklich nett von ihm.“
„Ja, leider kann das Medikament, das ich gut vertrage, nur noch mit Problemen geliefert werden. Engpass bei der Herstellung. Aber ich brauche es nun mal und es ist das einzige Medikament, das ich ohne größere Nebenwirkungen vertrage.“
„Aber es ist doch lebensnotwendig!“, rief Karin aufgebracht. „Das können die nicht machen!“
„Es ist nicht zu ändern, da gibt es noch mehr Medikamente, die nicht mehr hergestellt werden oder wo es schwierig ist, die zu bekommen.“
Karin schüttelte den Kopf und trank ihren Wein aus. Lia erhob sich und brachte ihr Glas und die leere Flasche in die Küche. Karin räumte rasch den Rest auf ein Tablett und folgte ihr.
„Mach dir keine Sorgen, Dr. Miltzer besorgt mir das schon, es ist ja nur die eine Sorte. Und wenn nicht, gibt es den Wirkstoff auch noch in anderen Pillen. Da muss ich halt mit Nebenwirkungen leben.“
Sie legte einen Arm um die Freundin. Karin lächelte, aber sie fand das immer noch schrecklich. Lia würde echt gesundheitliche Probleme bekommen, wenn sie die Medikamente nicht mehr hätte. Sie hatte ihr