Kay Roo

Eine total gerechte Welt


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herstellten, die mittels Flackerlicht beim Betrachter einem LSD-Trip vergleichbare Reaktionen hervorriefen. Wegen dieses Effektes, der z.B. auch bei Videospielen ungewollt auftreten und zu epileptischen Anfällen führen kann, ist diesen heutzutage immer eine entsprechende Warnung vorangestellt.

      Bis vor einigen Jahren waren die eben in Grundzügen dargestellten Erkenntnisse zwar bekannt, fanden aber relativ wenig Beachtung. Verschiedentlich experimentierten militärische Forschungseinrichtungen der Supermächte damit, wobei das Ziel darin bestand, modulierte Gehirnwellen für die lautlose Übertragung von Befehlen einzusetzen, was aber nie richtig funktionierte. Andere Forschungen zielten darauf ab, abgeleitete Gehirnströme zu verstärken, um damit Fahrzeuge oder Waffen fernzulenken. Trotz einiger Erfolge kam es zur Einstellung der Forschungen, weil Aufwand und Nutzen nie in einem vernünftigen Verhältnis standen. Auch die Geheimdienste experimentierten mit Gehirnwellen. Deren Ziel bestand darin, feindlichen Agenten gegen ihren Willen Geheimnisse zu entlocken. Doch auch das funktionierte nie verlässlich.

      Letztendlich stellte man die Forschungen stets wegen mangelnder Erfolgsaussichten ein. Die gewonnenen Erkenntnisse gerieten in Vergessenheit und fanden nur noch für Konstruktion von Partymaschinen Verwendung oder wurden von Esoterikern für diverses Brimborium genutzt.

      Das war der Stand, als ich mich vor einigen Jahren dafür entschied, die Forschungen daran wieder aufzunehmen. Ich kombinierte die oben skizzierten Ergebnisse untereinander und mit eigenen Erkenntnissen aus meiner neurologischen Forschung. Deren derzeitiger Entwicklungsstand manifestiert sich in den ersten praxistauglichen Ergebnissen, die ich ihnen heute vorstellen möchte. Lassen sie mich ihnen zunächst einen Videoclip zu einem realen Versuchsablauf zeigen. Ich wiederhole es für diejenigen, die sich vielleicht bis jetzt wegen eingetretener Langeweile ein Nickerchen gegönnt haben könnten: Die folgenden Szenen sind real, verdanken ihrer Entstehung also weder einem Drehbuch noch talentierten Schauspielern.“

      Mit diesen Worten tritt er hinter das Pult und startet ein Video auf der überdimensionalen Wand hinter sich. Die Stimme des Professors ertönt aus dem Off: „Versuchsanordnung 23/1. Rechts sehen sie einen Schläger, der wegen mehrfacher, schwerer Körperverletzung, in zwei Fällen mit Todesfolge insgesamt 18 Jahre im Gefängnis war. Als typischer Psychopath verfügt er über keinerlei Skrupel oder Hemmungen, gegen andere Menschen mit äußerster Brutalität vorzugehen. Die andere Person in Raum ist einer meiner Assistenten, der sich und das betone ich ausdrücklich, freiwillig für dieses Experiment gemeldet hat, weil er der Umsetzung unserer Forschungsergebnisse in der Praxis voll vertraut. Seine Aufgabe besteht darin, den Schläger dazu zu bringen, dass er auf ihn mit der Absicht losgeht, ihn zusammenzuschlagen. Achten sie nun auf den weiteren Ablauf.“

      Alle hören, wie der Assistent den Schläger hämisch beleidigt und reizt. Dieser braucht nicht lange, bis er von seinem Stuhl aufspringt und auf den Wissenschaftler zuläuft. Genau in dem Moment leuchtet hinter jenem ein Stroboskop auf.

      Die Wirkung ist eine ungeheure. Jammernd und kläglich um Hilfe wimmernd, bricht der Muskelmann zusammen. Er wälzt sich am Boden und es sieht so aus, als versuche er, mit seinen Armen, die empfindlichsten Stellen seines Körpers gegen Schläge zu schützen. Dabei zittert er vor Angst am ganzen Körper. Dieses Zittern bleibt sogar erhalten, als das Stroboskop erlischt. Langsam beruhigt sich der Schläger, schüttelt sich und versucht vermutlich zu begreifen, was mit ihm gerade passiert ist. Er erhebt sich und strafft seinen Körper, zeigt sich bereit zu einem neuen Angriff.

      Wieder beginnt der Assistent, ihn zu reizen. Und wieder sieht man, wie die Wut in dem muskelbepackten Schläger hochkocht. So wie beim ersten Mal stürzt er mit geschwungenen Fäusten auf den Wissenschaftler zu. Doch kein Stroboskop leuchtet auf.

      Die Zuschauer befürchten einen technischen Defekt und halten den Atem an, denn im nächsten Moment wird der Schläger über den Beleidiger herfallen. Aber kurz bevor er ihn erreicht, spielt sich die gleiche Szene, wie vorhin ab. Wieder wälzt er sich unter Angstgewimmer am Boden. Peristaltische Zuckungen überlaufen seinen Körper, Tränen stürzen aus seinen Augen und er jammert angstvoll wie ein kleines Mädchen.

      Obwohl viele der Anwesenden schon allerhand Elend in den Gerichtssälen erlebt haben, sind einige von diesem Anblick gerührt und hoffen, dass die Quälerei bald ein Ende hat. Offenbar reicht es dazu jedoch nicht aus, eine Lampe auszuschalten. Der Muskelmann beruhigt sich erst, als der Assistent das Zimmer verlässt. Eine bisher unbeteiligte Assistentin erscheint und führt den bebenden, Angst schlotternden Schläger behutsam aus dem Sichtfeld der Kamera.

      Als das zwischenzeitlich gedimmte Licht im Saal wieder die volle Stärke hat, schaut der Professor zufrieden in die Gesichter der Anwesenden, die sich durchweg schwer beeindruckt zeigen. „Meine geehrten Damen und Herren. Soeben habe ich ihnen gezeigt, wie sich der Strafvollzug in näherer Zukunft umgestalten könnte, wenn meine Forschungen in die Praxis umgesetzt werden. Doch dazu muss ich ihnen zunächst erklären, was sie soeben gesehen haben.

      In Vorbereitung des Experiments wurden bei der Versuchsperson berührungslos die individuellen Gehirnwellen vermessen. Die Werte der Thetawellen bestimmten die Frequenz des Stroboskops. Zudem befindet sich an der Decke des Raums, unsichtbar für sie, ein elektromagnetischer Strahler, der modulierte Alfa-, Beta- und Gammawellen auf einen eng begrenzten Bereich sendet.

      Was ist nun in der Versuchsanordnung konkret geschehen? Nun, das Stroboskop generierte über die visuelle Wahrnehmung des Angreifers speziell modulierte Thetawellen in seinem Gehirn. Dabei ist es unerheblich, ob er die Augen offen oder wegen der Blendung geschlossen hat. Im Gegenteil, bei geschlossenen Augen ist die Wirkung sogar noch größer, da ein Rückkopplungseffekt über die Aderstruktur des Augenlids auftritt, wenn deren Abbild durch die Lider auf die Netzhaut projiziert wird.

      Gleichzeitig erhielt der Proband über den elektromagnetischen Strahler eine genau auf ihn abgestimmte Dosis von Alpha-, Beta und Gammawellen. Das führte dazu, dass in seinem Gehirn die gleichen Wahrnehmungen, Bilder und Empfindungen entstanden, wie sie für einen Menschen typisch sind, der hilflos und total unterlegen zusammengeschlagen wird. Zum besseren Verständnis muss ich hier noch einige Hintergrundinformationen ergänzen.

      Jeder von uns hat zumindest in der Kindheit oder Jugend mehr oder weniger Albträume gehabt. In den Schlimmsten von ihnen wird man verfolgt oder angegriffen und erlebt dabei eine unbezähmbare Angst, der man in keiner Weise entkommen kann. Wenn man durch sorgsame Eltern in dieser Phase geweckt wurde, konnte man sich weder an die Bilder der Situation noch an die Gesichter der Angreifer erinnern. Was unser Unterbewusstsein jedoch niemals vergisst, ist das unbeschreibliche Grauen, welches man in diesem Moment empfunden hat. Dieses Trauma bleibt uns ein Leben lang unterschwellig erhalten und tritt sofort hervor, wenn wir einer ähnlichen Situation, wie in unseren Albträumen ausgesetzt sind. Genau dies passierte dem Schläger während der Versuchsanordnung.

      Dabei ist bisher kein externer Beobachter in der Lage, nachvollziehen, was durch den Probanden tatsächlich erlebt wurde. Genauso wenig kann es vorausgesagt werden. Stellen sie sich eine extrem grausige Angst vor, der sie in keiner Weise entrinnen können. Diese ist, wie wir aus einer Vielzahl von Experimenten wissen, stets individuell. Zum besseren Verständnis sei gesagt; die Bilder und Gefühle werden nicht von außen, wie bei einer Hypnose, in das Gehirn eingebracht, sondern sie entstehen dort unmittelbar. Wir können bisher nur deren ungefähre Richtung bestimmen. Das heißt, ein Schläger erlebt sich in der Rolle des Geschlagenen. Ein Mörder erlebt, wie es ist, getötet zu werden. Ein Betrüger oder Dieb erlebt die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit seines Opfers angesichts des eingetretenen, tief greifenden Verlustes.

      Mittlerweile können wir fast alle Opfergefühle in den Tätern hervorrufen. Und wir sind da noch lange nicht am Ende. Dazu bedarf es noch langwieriger und umfassender Forschungen, um die Wirkmechanismen weitgehend aufzuklären. Insbesondere müssen wir feststellen, wie lange die Wirkung anhält. Sie haben gesehen, dass die Pein anfangs unmittelbar nach dem Abschalten des Stroboskops von ihm abfiel.

      Was sie jedoch bei seinem zweiten Angriff sahen, war ein sogenannter Flashback, wie er bei LSD - Usern bekannt und gefürchtet ist. Der Unterschied ist, bei Verwendung von LSD kann ein Flashback mehrfach und nicht vorhersehbar auftreten. Wir haben diesen Effekt mit unserem Stroboskop ursprünglich nicht beabsichtigt,