zwischen den beiden Knorpeln ist luftleer, so daß die Gelenkenden dicht aneinandergepreßt sind und nicht schlottern. Zweckmäßig geregelt wird die Arbeit des Gelenks durch Knochenvorsprünge, die die Bewegung auf bestimmte Richtungen beschränken und zu weite Ausschläge verhindern. In Gebrauch wird das Gelenk durch die Muskeln gebracht. Das ist in großen Zügen angegeben der Bau der Gelenke.
Für unsern Fall des Abspringens eines Knorpelstücks ist wesentlich, daß der Knorpel stets innerhalb der Gelenkkapsel liegt, daß also gleichzeitig der Knochen und das Gelenk verletzt werden. Die erste Folge des Unfalls ist ein Anschwellen des Kniegelenks durch Austritt von Flüssigkeit aus dem Kreislauf in die Gelenkhöhle. Es ist der übliche Anfang der Gelenkentzündung. Die Bedeutung der Verletzung liegt aber nicht in diesem Flüssigkeitserguß, der rasch zu beseitigen ist, sondern in dem Verhalten des abspringenden Knorpels. Legt sich das Stück gutwillig in irgendeiner Ausbuchtung der Gelenkkapsel zur Ruhe, so ist die Sache damit abgetan; es läßt sich dann auch leicht und verhältnismäßig gefahrlos entfernen, wenn die Bewegungsfreiheit allzusehr eingeschränkt ist. Schlimm wird es aber, wenn das Ding in dem Gelenk spazierengeht, sich bald hier bald da voll Tücke zwischen die Gelenkknorpel klemmt. Immer und immer wieder treten dann neue Ergüsse, neue Entzündungen auf. Dann ist wirklich schwer raten. Operation? Ja, damit ist man heutzutage rasch bei der Hand. Aber wer ein paarmal gesehn hat, was für böse Folgen die Operation unter Umständen hat, der entschließt sich kaum, dazu zu raten. Es ist nämlich manchmal sehr schwer, in den engen versteckten Räumen des Gelenks solch ein glibberiges, boshaftes Ding zu finden und zu fassen. So leicht die Operation ist, wenn das Knorpelstück festsitzt, womöglich von außen gefühlt werden kann, so gefährlich ist sie, wenn man es suchen muß. Das sind schwierige Entscheidungen, die den Arzt arg quälen können.
Ich sagte vorhin, daß diese Art der Unglücksfalle häufiger geworden ist. Wir verdanken diese Bereicherung unsrer Tätigkeit im wesentlichen den Schustern. Was ein richtiger Schuster ist, meint nämlich, daß die Zehen des Menschen überflüssige Anhängsel sind, die nur dadurch existenzberechtigt werden, daß sie mit Hilfe der Stiefelsohlen nach oben gebogen und für das Gehen unbrauchbar gemacht werden. Soviel ich weiß, kommt diese Mode, der Schuhsohle einen Schwung nach oben zu geben, aus Amerika. Tatsache ist aber, daß man schon durch zwanzig Städte reisen und alle Schusterwerkstätten abgrasen muß, um jemanden zu finden, der Stiefel mit flachen Sohlen bauen kann, mit Sohlen, die glatt auf der Erde ruhen. Es stimmt ganz fromm, wenn man abends spät durch die Korridore eines Hotels geht und da vor jeder Tür die Stiefel und Stiefelchen der mehr oder minder verschwenderischen und nichtstuenden Gäste ihre Spitzen flehend gen Himmel richten sieht, als wollten sie in nächtlicher Andacht gutmachen, was ihre Herren sündigten. Ab und zu sind allerdings durch irgendein sinnreiches und teuer bezahltes Holzinstrument die Spitzen niedergedrückt. Aber das hilft nichts; sobald der Schuh am Fuß sitzt, geht die Sohle nach oben und drückt die Zehen vom Erdboden weg. Sie ist eben falsch zugeschnitten.
Alle Sohlen werden falsch zugeschnitten; denn wer sich einbildet, für seinen Fuß werde extra eine Sohle zurechtgemacht, weil etwa der Schuster auf Papier den Umriß seines Fußes aufgezeichnet hat, der täuscht sich. Die Sohlen werden im großen mit der Maschine zugeschnitten und immer in einer Form, daß die Zehen nicht auf die Erde kommen können. Nun versuche man einmal, barfuß mit hochgezogenen Zehen zu gehen. Das ist ein sehr mühseliges Geschäft, und schon nach dem ersten Schritt erkennt jeder, daß die Zehen vom lieben Gott gemacht sind, damit sie die Erde gewissermaßen greifen. In dem modernen Schuh können aber nur die Fersen und die Ballen beim Gehn und Stehn benutzt werden, wie sich jeder überzeugen kann, wenn er seine nur einmal getragenen Schuhe ansieht. Der vordere Teil der Sohle ist auch nach stundenlangem Gehn noch wie neu. Anfangs ist das nicht unbequem, weil die aufwärts gekrümmten Zehen in dem Sohlenleder einen Halt haben. Auf die Dauer wird es aber unbequem, und dann geben mir die erfindungsreichen Schuster eine Einlage unter dem Vorwande, daß ich einen Plattfuß habe, eine Beleidigung, für die der Mensch keinen Sinn mehr hat. Im Gegenteil, er erzählt es noch andern, daß er eine Einlage trägt, mit andern Worten, daß er plattfüßig ist.
Abgesehn von der Unbequemlichkeit ist die Sache gefährlich, es ist ein wohl ausgesonnenes Attentat auf die Gesundheit der Menschen. Da ist zum Beispiel das Springen. Es wird freilich immer seltner, daß der Körper anders als spazierenstehend bewegt wird, wenigstens unter den Leuten, die denken, sie sind gemeint, wenn von der Allgemeinheit gesprochen wird, unter den Gebildeten. Aber hin und wieder springt doch noch jemand von einer Leiter oder einem Stuhl herunter. Das sollte nun ein jeder einmal mit hochgezognen Zehen probieren, dann würde er sofort einsehn, warum jetzt die Absplitterung der Knorpel im Kniegelenk häufiger geworden ist. Die Beine federn so nicht, beim Aufspringen gibt es einen gewaltigen Stoß, ein hartes Aufprallen. Nun denke man sich hinzu, was ich vorhin über die empfindlichen Stellen in der Fußsohle sagte, wie scharf der Fuß empfindet, ob irgendeine Unebenheit des Bodens seinen Schmerzpunkt bedroht. Er sucht auszuweichen. Er tut das auch im Moment des Aufspringens. Aber da ihm das wichtigste Hilfsmittel des Ausweichens, die Federkraft der Zehen, durch die verruchte amerikanische Mode genommen ist, führt er es ungeschickt aus, das Kniegelenk wird schiefgerichtet, und bei dem harten Aufprall splittert der Knorpel ab.
Schließlich sind solche Verletzungen immer noch selten, und vielfach nehmen sie einen gutartigen Verlauf. Schlimmer ist folgendes: Bei bestimmten Menschen – es handelt sich namentlich um solche, die einen ganz hellen Teint haben und leicht die Farbe wechseln, warum das gerade bei denen ist, werde ich später zu erklären suchen – werden diese aufwärts gekrümmten Zehen zum Ausgangspunkt für schwere Gelenkerkrankungen, die bald unter dem Namen Gicht, bald Polyarthritis, Arthritis deformans, chronischer Gelenkrheumatismus und so weiter gehn. Sie haben dann dasselbe Amt, das vor etwa zehn Jahren und auch jetzt noch vielfach die nach innen abgedrängte große Zehe hatte, der vortretende Ballen des Fußes, wie man es wohl nennt. Der ist recht alt, ich besinne mich, ihn auf Gemälden von Perugino und Raffael bei Engeln gesehn zu haben, ein Zeichen, wie lange schon an den Menschen herumgeschustert wird. Aber daß gleich alle fünf Zehen mißhandelt werden, ist außer der Zeit der Schnabelschuhe wohl bloß unsrer hohen Kultur vorbehalten geblieben.
Bei diesen Folgen künstlicher Verkrüppelung länger zu verweilen, lohnt sich deshalb, weil sie wenigstens für einen Augenblick, etwa wie ein Blitz wirkt, den Weg ahnen lassen, der zu den Tiefen menschlicher Dinge führt. Mehr als ein Gewahrwerden dieses Weges ist unsrer Zeit noch nicht gestattet, und es fragt sich, ob überhaupt irgendwer tief hinabsteigen wird. Aber genug Klarheit, um im Leben sich als tätiger Mensch zurechtzufinden, die kann man erwerben, und darauf kommt es für Menschen, wie wir es sind, Leute ohne außerordentliche Gaben und Aufgaben an.
Ich brauchte schon bei früherer Gelegenheit das Bild des Einrostens. Mit der Vorstellung eines seit langem nicht gebrauchten Türschlosses, an dem der Rost sich eingefressen hat, so daß es sich eher zerbrechen als schließen läßt, kann man sich die Vorgänge allenfalls verständlich machen. Wird ein Zehengelenk jahrelang nicht ausgiebig gebraucht, so lagern sich in seinen äußersten Teilen und Taschen, an denen eine Reibung nie stattfindet, feste Bestandteile ab, Reste unvollkommener Verbrennungsprozesse, Asche oder Schlacke, wie man es nun nennen will. An solchen Überbleibseln aus dem chemischen Leben des Körpers fehlt es nie. Sie bilden sich immer von neuem aus der Verwertung der Nährsäfte zum Aufbau und Wirken der Zellen, nur werden sie auch fortwährend von den Stätten ihrer Entstehung durch die kreisenden Flüssigkeiten des Organismus weggespült und schließlich von Nieren, Haut, Darm und so weiter ausgeschieden. In den Gelenken ist aber bei dem Mangel an Blutgefäßen der Flüssigkeitsstrom, der Schlacken wegspülen könnte, sehr langsam, sein Gefälle wird durch die Bewegung der Gelenke ersetzt, die teils wie eine Pumpvorrichtung, teils wie fein gestellte Mühlen wirken. Fällt diese Arbeit der Gelenkflächen längere Zeit fort, so bleibt in irgendeinem Winkel ein Aschenkrümchen sitzen, und an dieses schließen dann neue Kristalle an. Schließlich ist der Winkel mit Schlackenstoffen vollgepfropft, und wenn sich noch mehr ablagern, geraten sie zwischen die notwendig gebrauchten Gelenkflächen. Das kann der Körper nicht dulden, und er versucht sofort, das Korn, das auf den Knorpel drückt, loszuwerden, genauso wie wir den Kiesel, der in den Schuh geschlüpft ist, entfernen.
Das Verfahren, das er dazu einschlägt, ist ähnlich dem, das wir am Auge beobachten können, wenn auf der Eisenbahn oder sonstwie Ruß hineingeflogen ist. Das Auge schmerzt, rötet sich und tränt. Es sucht den fremden Körper