sind, thun wir nichts als hin- und herlaufen, um die feindlichen Posten zu beobachten, und wenn wir nach Hause kommen, finden wir eine lärmende, lustige Gesellschaft, und Tanz und Lachen währt oft spät bis in die Nacht. Man legt sich übermüdet nieder und fängt den andern Tag dasselbe Leben von Neuem an. — Du wirst schelten und sagen, daß es vernünftig wäre, mich früh zur Ruhe zu begeben — aber wenn Du Soldat wärest, würdest Du wissen, daß die Ermüdung Aufregung verursacht und unser Handwerk nur im Augenblicke der Gefahr Kaltblütigkeit mit sich bringt. Unter allen Umständen sind wir Narren und wir haben nöthig, es zu sein. — Und nun habe ich Dir noch eine Neuigkeit mitzutheilen, von der ich eben erst Gewißheit erhielt. Morin hatte sie mir als etwas nahe Bevorstehendes angezeigt und der General bestätigte sie, indem er mir ein Geschenk mit dem Adjutanten-Patent, einem gelben Federbusch und einer schönen, rothen Schärpe mit goldnen Franzen machte.
„So bin ich also Adjutant des General-Lieutenant Dupont, und so mußt Du mich künftig in der Adresse der Briefe tituliren, damit sie schneller ankommen. Das neue Reglement gestattet dem General drei Adjutanten und so habe ich endlich einen prächtigen Posten, bin angesehen, geachtet und geliebt … Ja! geliebt von einer reizenden und liebenswürdigen Frau, und es fehlt mir nichts, um vollkommen glücklich zu sein, als Deine Gegenwart ... das ist allerdings viel!
„Du wirst wohl wissen, daß, seit das Corps Dupont's und die Division Watrin hier zusammengekommen sind, wir alle Abende Reunions haben, in denen Mde. Watrin im Glanze ihrer Jugend und Schönheit strahlt wie ein Stern —aber sie ist es nicht; es ist ein Stern von sanfterem Glanze, der mir leuchtet.
„Du weißt, daß ich in Mailand verliebt war; Du hast es errathen, weil ich es Dir nicht sagte. — Manchmal glaubte ich mich geliebt und dann sah ich wieder, oder glaubte zu sehen, daß es nicht so war. Ich suchte mich zu zerstreuen — reiste ab und wollte nicht mehr an die Sache denken.
Diese reizende Frau ist jetzt hier und wir sprachen uns wenig, ja sahen uns kaum an. Ich fühlte eine Art Aerger, obgleich das eigentlich nicht in meiner Natur liegt und sie zeigte mir Stolz, obgleich sie ein zärtliches und gefühlvolles Herz hat. — Diesen Morgen während des Frühstücks hörten wir ferne Kanonenschüsse. Der General befahl mir zu Pferde zu steigen, um zu sehen, was es gebe. Ich stehe auf und springe mit zwei Sätzen zur Treppe hinunter über den Hof in den Stall. Als ich eben aufsteigen will, drehe ich mich um und sehe die theure Frau, die mir roth und verlegen einen langen Blick zuwirft, der zugleich Furcht, Interesse und Liebe ausdrückt ... Ich hätte ihr beinahe auf dies Alles dadurch geantwortet, daß ich ihr um den Hals fiel; aber das war mitten im Hofe nicht möglich und ich mußte mich begnügen, ihr zärtlich die Hand zu drücken, indem ich meinen edeln Renner bestieg, der, voll Feuer und Kühnheit, drei prächtige Caracolen machte und dann davonjagte. — Ich war bald bei dem Posten, von dem der Lärm ausging und fand, daß man mit den Oestreichern ein kleines Scharmützel gehabt und sie zurückgeschlagen hatte. — Als ich dem General die Nachricht brachte, war sie noch da. Ah! wie wurde ich empfangen! Wie heiter war das Mittagessen! Welche zarte Aufmerksamkeiten hatte sie für mich!
„Denselben Abend befand ich mich durch einen unverhofften Zufall mit ihr allein. Alle Andern halten sich, ermüdet durch die übermäßige Anstrengung des Tages, zur Ruhe gelegt. Ich säumte nicht, ihr zu sagen, wie sehr ich sie liebte und sie warf sich, in Thränen ausbrechend, in meine Arme. — Dann entschlüpfte sie mir und verschloß sich in ihr Zimmer — ich wollte ihr folgen, aber sie befahl, bat und beschwor mich, ich möchte sie allein lassen, und ich gehorchte als unterthäniger Liebhaber. — Da wir bei Tagesanbruch die Pferde besteigen, um zum Recognosciren anzureiten, so bin ich gleich wach geblieben, um mit meiner guten Mutter von den Aufregungen des Tages zu sprechen. Wie liebenswürdig ist Dein acht Seiten langer Brief! Wie viel Freude hat er mir gemacht! Wie süß ist es, geliebt zu sein! Eine gute Mutter, treffliche Freunde, eine schöne Geliebte zu haben, ein wenig Ruhm und schöne Pferde und Feinde, die wir bekämpfen! Ich habe alles das, alles das und auch das Beste, meine gute Mutter!
Moritz.“
Es giebt bei gewissen Naturen einen Moment, wo die Fähigkeiten des Glückes, des Vertrauens und des Genusses ihren Höhepunkt erreichen — und dann, als könnte unsere Seele dem nicht mehr genügen, breiten Zweifel und Trauer eine Wolke über uns aus, die uns für immer umhüllt. Oder ist es wirklich unser Schicksal, das sich verdüstert und sind wir verdammt, langsam den Abhang hinabzugehen, den wie mit kühner Freudigkeit erstiegen?
Der junge Mann fühlte zum ersten Male Anwandelungen einer dauernden Liebe. Diese Frau, von der er mit einem Gemisch von Enthusiasmus und Leichtfertigkeit spricht; diese anmuthige Liebelei, die er vielleicht vergessen zu können glaubte, wie er die Stiftsdame und Andere vergessen hatte, sollten sich seines ganzen Lebens bemächtigen und ihn in einen Kampf mit sich selbst bringen, der die Qual, das Glück, die Verzweiflung und die Größe seiner letzten acht Lebensjahre ausmachte. Von diesem Augenblicke an war dieses Herz, das gut und unbefangen bis dahin allen äußern Eindrücken offen stand, das ein unbeschränktes Wohlwollen, einen blinden Glauben an die Zukunft und einen Ehrgeiz besessen hatte, der nicht persönlich, sondern eins mit dem Ruhme des Vaterlandes war — dieses Herz, das eine einzige, beinahe leidenschaftliche Neigung, die kindliche Liebe erfüllt und in köstlicher Einheit erhalten hatte — dieses Herz war jetzt getheilt, man möchte sagen zerrissen von zwei beinahe unvereinbaren Gefühlen. Die glückliche und stolze Mutter, die nur von dieser Liebe lebte, wurde von einer, dem Herzen des Weibes eigenthümlichen Eifersucht gequält und gepeinigt, die sie um so mehr schmerzte und beunruhigte, da die Mutterliebe die einzige Leidenschaft ihres Lebens gewesen war. Diese innerliche Angst, welche sie niemals gestand, die aber nur zu gewiß existirte und auch von jeder andern Frau in ihr hervorgerufen worden wäre, gesellte sich zu der Bitterkeit verletzter Vorurtheile, achtungswerther Vorurtheile, die ich erklären will, ehe ich weiter gehe.
Aber vorher muß ich sagen, daß diese reizende Frau, von welcher der junge Mann in Mailand geträumt, die er in Azola erobert hatte; diese Französin, die sich mit meiner Großmutter zu gleicher Zeit im Gefängnisse im Kloster des Anglaises befunden hatte, keine andere war, als meine Mutter Sophie Victorie Antoinette Delaborde. — Ich nenne diese drei Taufnamen meiner Mutter, weil sie in ihrem bewegten Leben einen nach dem andern führte, und diese drei Namen selbst ein Symbol des Zeitgeistes sind. In ihrer Jugend zog man wahrscheinlich den Namen Antoinette, als den der Königin von Frankreich vor — während der Eroberungen der Kaiserzeit galt natürlich Victorie mehr — und von ihrer Verheirathung an nannte mein Vater sie immer Sophie.
Alles ist bezeichnend und sinnbildlich (und das ist ganz natürlich) in den Einzelnheiten des menschlichen Lebens, wenn sie auch noch so zufällig scheinen.
Ohne Zweifel hätte meine Großmutter meinem Vater eine Lebensgefährtin seines Standes gewünscht, aber sie hat es gesagt und selbst geschrieben, daß sie sich nicht besonders über das betrübt haben würde, was man zu ihrer Zeit und in ihrer Gesellschaft eine Mesalliance nannte. Sie legte der Geburt keine größere Wichtigkeit bei, als ihr gebührt und auch den Mangel an Vermögen würde sie übersehen haben, denn sie wußte durch ihre Sparsamkeit und durch eigene Entbehrungen die Mittel zur Bestreitung der Ausgaben aufzubringen, welche der mehr glänzende als einträgliche Beruf ihres Sohnes nöthig machte — aber sie konnte sich nur schwer entschließen, eine Schwiegertochter aufzunehmen, deren Jugend, durch die Gewalt der Umstände, den erschreckendsten Zufälligkeiten preisgegeben war. Dieser zarte Punkt mußte überwunden werden und die Liebe, die in ihrer Wahrheit und Tiefe die höchste Weisheit und die höchste Seelengröße ist, überwand ihn in der Seele meines Vaters mit Entschiedenheit. Und endlich kam auch der Tag, an dem sich meine Großmutter ergab. Aber da sind wir noch nicht, und ich habe noch von vielen Schmerzen zu erzählen, ehe ich zu diesem Zeitpunkte komme.
Von dem Leben meiner Mutter vor ihrer Heirath habe ich nur unvollständige Nachrichten. Später werde ich erzählen, wie gewisse Personen es für angemessen und vortheilhaft hielten, mir Dinge mitzutheilen, die ich besser nicht erfahren hätte und deren Glaubwürdigkeit durch Nichts erwiesen ist. Doch mögen sie auch alle wahr sein — eine Thatsache steht fest vor Gott: sie wurde von meinem Vater geliebt und mußte dieser Liebe wohl werth sein, denn ihre Trauer um ihn endigte erst mit ihrem Leben.
Aber das Wesen der Aristokratie ist dermaßen in das menschliche Herz eingedrungen,