George Sand

Geschichte meines Lebens


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den nassen Maitagen 1801 kam Moritz nach Nohant. Als die ersten Ausbrüche der Freude vorüber waren, betrachtete ihn seine Mutter mit Erstaunen, denn der italienische Feldzug hatte größere Veränderungen in ihm hervorgebracht, als der Krieg in der Schweiz: er war größer, magerer, stärker und bleicher; seitdem er Soldat geworden war, war er um einen Zoll gewachsen, was im Alter von 21 Jahren ziemlich selten ist und wohl durch die bedeutenden Märsche veranlaßt sein mochte, zu welchen ihn die Oestreicher gezwungen hatten.

      Trotz der heftigen Aufwallungen der Freude und Lust, welche die ersten Tage des Zusammenseins mit der Mutter erfüllten, bemerkte man bald, daß Moritz zuweilen träumerisch war und von geheimer Schwermuth verfolgt schien. Und als er eines Tages, unter dem Vorwande Besuche zu machen, nach la Châtre gegangen war, blieb er länger aus, als nöthig war, kehrte den zweiten und dritten Tag abermals dahin zurück und gestand endlich seiner unruhigen, bekümmerten Mutter, daß Victorie gekommen wäre, ihn aufzusuchen. Sie hatte Alles aufgegeben, Alles einer freien, uneigennützigen Liebe geopfert und sie gab ihm den unwiderleglichen Beweis dieser Liebe. Er war trunken vor Dank und Zärtlichkeit, aber er fand seine Mutter dieser Vereinigung so abgeneigt, daß er alle seine Gedanken in sich zurückdrängen und die Gewalt seiner Neigung verhehlen mußte. Als er seine Mutter ernstlich besorgt sah, wegen des Aufsehens, das ein solches Abenteuer in der kleinen Stadt verursachen mußte und wirklich schon verursachte, versprach er, Victorie zur Rückkehr nach Paris zu überreden. Aber er konnte sie nicht dazu bestimmen, konnte sich selbst nicht dazu entschließen, sie zu bestimmen, wenn er ihr nicht versprach sie zu begleiten oder ihr bald zu folgen und darin lag die Schwierigkeit. Er mußte wählen zwischen seiner Mutter und seiner Geliebten, mußte die Eine oder die Andere täuschen oder in Verzweiflung stürzen. Die arme Mutter hatte darauf gerechnet ihren Sohn bei sich zu behalten, bis er durch seinen Dienst zurückberufen würde und dieser Augenblick konnte ziemlich fern liegen, denn ganz Europa arbeitete am Frieden, der zu dieser Zeit auch Bonaparte's einziger Wunsch war. Und Victorie hatte Alles geopfert, sie hatte ihre Schiffe hinter sich verbrannt und hatte keine andere Aussicht, kein anderes Glück, als mit dem Gegenstande ihrer Liebe vereint zu sein, und ohne Sorgen um den folgenden Tag, ohne Reue über das Gestern, die Gegenwart ungetrübt zu genießen. Aber konnte dieser vortreffliche Sohn die Mutter verlassen, nachdem er kaum aus dem Feldzuge zurückgekommen war, der ihr so viele Klagen und Thränen erpreßt, so viele Schmerzen verursacht hatte? Oder war der Augenblick, in welchem ihm Victorie eine so leidenschaftliche Hingebung bewiesen hatte, dazu geeignet, ihr den Kummer seiner Mutter vorzustellen oder die Entrüstung der steifen Provinzbewohner? konnte er sie zurückschicken, wie eine gewöhnliche Maitresse, die einen dummen Streich gemacht hat? — es war hier mehr als ein Streit zwischen zwei Neigungen, es war ein Streit zwischen zwei Pflichten.

      Um seine Mutter zu beruhigen, versuchte Moritz zuerst die Sache in einen Scherz zu verwandeln, und das war vielleicht unrecht, denn durch ernsthafte Gründe hätte er seine Mutter erweicht, wenn nicht gar überzeugt; aber er befürchtete die Besorgnisse, die sie sich so leicht erschuf und jene Art der Eifersucht, deren Dasein nicht zu bezweifeln war und wozu sie zum ersten Male einen wirklichen Grund hatte.

      Diese Verhältnisse waren eigentlich nicht zu entwirren, aber Freund Deschartres beseitigte die Schwierigkeiten durch einen ungeheueren Mißgriff, welcher den jungen Mann von allen Skrupeln frei machte, die ihn belasteten.

      In seiner Ergebenheit für Madame Dupin, seiner Verachtung der Liebe, die er nie gekannt hatte, seiner Ehrfurcht für den Anstand hatte der gute Schulmeister den unglücklichen Einfall, einen Hauptstreich auszuführen; er überredete sich, daß ein Eklat der Verbindung, die sich in die Länge zu ziehen drohte, ein Ende machen würde — und so brach er denn eines schönen Morgens, ehe sein Zögling die Augen geöffnet hatte, von Nohant auf und begab sich nach la Châtre in das Wirthshaus zum schwarzen Kopfe, wo die junge Reisende noch in süßem Schlummer lag. Er läßt sich als ein Freund von Moritz Dupin melden und wird gebeten einige Augenblicke zu warten. Die junge Frau zieht sich eilig an und dann wird er empfangen. Durch Victoriens Grazie und Schönheit kaum berührt, begrüßt er sie mit jener rauhen Unbehülflichkeit, die ihm eigenthümlich war, und beginnt damit, ein vollständiges Verhör anzustellen. Die junge Frau wird durch sein Aeußeres belustigt; sie antwortet anfänglich mit großer Sanftmuth, dann mit Heiterkeit, und da sie ihn endlich für verrückt hält, bricht sie in ein lautes Gelächter aus. Aber nun geräth Deschartres, der bis dahin einen schulmeisternden Ton bewahrt hatte, in Zorn — er wird hart, zänkisch, unverschämt und geht von Vorwürfen zu Drohungen über. Sein Geist ist nicht fein, sein Herz nicht zartfühlend genug, um ihm begreiflich zu machen, daß er eine Feigheit begeht, indem er ein Weib, dessen Vertheidiger abwesend ist, beleidigt. Er wird heftig, er beschimpft sie, befiehlt ihr denselben Tag noch nach Paris zurückzukehren und bedroht sie mit dem Einschreiten der Behörden, wenn sie nicht schleunig ihre Sachen packt.

      Vietorie war weder schüchtern noch geduldig, und begann nun ihrerseits den Schulmeister zu necken und zu schrauben; sie war mehr rasch als vorsichtig in ihren Antworten und mit einer Leichtigkeit des Ausdruckes begabt, die mit dem Stottern, das sich Deschartres' bemächtigte, so oft er in Zorn gerieth, den vollständigsten Gegensatz bildete. Das feine, witzige pariser Kind trieb ihn endlich zur Thüre hinaus, die sie vor seiner Nase zumachte und rief ihm durch das Schlüsselloch noch das Versprechen nach, denselben Tag abzureisen — aber von Moritz begleitet. Der wüthende Deschartres, außer sich über solche Kühnheit, geht einen Augenblick mit sich zu Rathe und wählt ein Mittel, das der Thorheit seines Beginnens die Krone aufsetzt. Er holt den Maire und einen Freund der Familie, der irgend welches öffentliche Amt bekleidet; ich weiß nicht, ob er nicht auch die Gensd'armerie benachrichtigte. Das Wirthshaus „zum schwarzen Kopfe“ wurde also schleunig von diesen ehrwürdigen Repräsentanten der Regierung besetzt, die Stadt glaubte einen Augenblick an eine neue Revolution oder doch zum Wenigsten an die Gefangennehmung einer wichtigen Persönlichkeit.

      Die Herren vom Magistrate, durch Deschartres' Rapport beunruhigt, gingen tapfer darauf los und glaubten mit einem Furienheere zu thun zu haben. Unterwegs beriethen sie sich über die „gesetzlichen Mittel“, durch welche der Feind zur Räumung der Stadt zu zwingen sein möchte. Zuerst wollten sie nach seinen Papieren fragen; hatte er deren keine, so wollte man seine Abreise verlangen und ihn mit Gefängniß bedrohen. War er damit versehen, so mußte man sie nicht in der gehörigen Ordnung finden und irgend welche Chikane ausüben. Deschartres, der vor Zorn ganz aufgeblasen war, stachelte ihren Eifer an und verlangte das Einschreiten der bewaffneten Macht. Aber die Herrn hielten die Rüstung des Militairs für überflüssig; sie drangen in das Wirthshaus ein und erstiegen die Treppe — trotz der Vorstellungen des Wirths, der sich lebhaft für seinen schönen Gast interessirte — mit eben so viel Muth als Kaltblütigkeit.

      Ich weiß nicht, ob sie vor der Thüre die drei gesetzlichen Aufforderungen ergehen ließen, durch welche man Empörer zur Ruhe verweist; aber gewiß ist, daß sie keine Barrikaden überschreiten mußten und in der Höhle der Megäre, welche Deschartres beschrieben hatte, nichts fanden, als eine sehr kleine, sehr hübsche Frau, die mit nackten Armen und aufgelöstem Haar auf ihrem Bette saß und weinte.

      Durch diesen Anblick wurden die Magistratsherrn, die weniger grausam waren, als der Schulmeister, sofort beruhigt, dann besänftigt und endlich gerührt. Ich glaube fast, daß sich der Eine in die entsetzliche Persönlichkeit verliebte, und daß der Andere vollständig begriff, wie sehr sie das Herz des jungen Moritz fesseln mußte. Sie begannen ihr Verhör mit großer Höflichkeit, mir einer gewissen Schonung sogar; aber sie weigerte sich stolz, ihnen zu antworten, bis sie bemerkte, daß diese Herrn gegen Deschartres' Beschuldigungen ihre Partei ergriffen, ihn zur Ruhe verwiesen und ein gewisses väterliches Wohlwollen für sie an den Tag legten. Nun wurde sie ruhig und sprach mit Sanftmuth und Liebenswürdigkeit, mit Muth und Vertrauen. Sie verhehlte nichts: erzählte, daß sie Moritz in Italien kennen gelernt und liebgewonnen hätte, daß sie seinetwegen einen reichen Beschützer verlassen hätte und daß ihr kein Gesetz bekannt wäre, wodurch sie zur Verbrecherin gestempelt würde, weil sie einen General für einen Lieutenant aufgegeben, den Reichthum der Liebe geopfert hätte. Die Beamten suchten sie zu trösten; sie stellten Deschartres vor, daß er kein Recht hätte, dies junge Weib zu verfolgen, forderten ihn auf sich zurückzuziehen und versprachen ihm, alle ihre Freundlichkeit und Ueberredungskunst aufzubieten, um die Fremde zum freiwilligen Verlassen der Stadt zu bewegen.