George Sand

Geschichte meines Lebens


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hat nie gedacht, daß ich sie heirathen würde, denn ich habe selbst noch nicht daran gedacht — was sie Deschartres gesagt hat, sagte sie im Zorne, der wohl durch die Härte gerechtfertigt ist, mit welcher er gegen sie auftrat. Ich kann nicht oft genug wiederholen, daß Alles dies nicht geschehen wäre, wenn er sich ruhig verhalten hätte. Ich würde sie ohne Aufsehen haben abreisen lassen, da ihre Gegenwart in la Châtre (um die Du Dich nicht zu kümmern brauchtest) so sehr Dein Mißfallen erregte. Aber da es nun einmal so ist, so verspreche ich Dir, daß ich niemals wieder eine Geliebte unter Deinen Augen haben will, und daß ich Dir niemals wieder etwas von meinen Abenteuern erzählen werde. Das wird mir weh thun, denn ich bin so gewöhnt, Dir Alles mitzutheilen, was ich erlebe und erfahre, daß ich nicht begreife, wie ich Geheimnisse vor Dir haben soll. — In welche traurige Notwendigkeit versetzt uns diese beklagenswerthe Geschichte und der unbesonnene Streich Deschartres'! Aber laß uns nicht mehr davon sprechen. Ich kann mich nicht mit ihm veruneinigen und möchte um Alles in der Welt keinen Unfrieden zwischen Euch stiften. Er wird seine Fehler nicht mehr ablegen und wir wollen ihn trotz alledem lieben und seine guten Eigenschaften anerkennen.

      „Ich schweife hier durch den Wald und an den Ufern des Wassers umher — die Gegend ist ein Paradies auf Erden. — Man hat mich mit der zärtlichsten Freundschaft empfangen — René war mit seiner Frau auf einer Insel im Park; er kam mit dem Kahn, um mich zu holen und unsere Umarmung auf dem Wasser war so stürmisch, daß das Schiffchen beinahe umgeschlagen wäre. Adieu, meine gute Mutter, auf baldiges Wiedersehen. Gräme Dich nicht mehr, liebe mich immer und sei versichert, daß ich nicht glücklich sein kann, wenn Du es nicht bist, denn Deine Schmerzen sind die meinigen. Ich umarme Dich von ganzer Seele.“

      Paris, 7. messidor (Juni 1801).

      „Wie Du voraussahest, meine liebe Mutter, als Du mich nur eine Tagereise von Paris wußtest, habe ich dem Wunsche nicht widerstehen können, einige Augenblicke hier zu sein. Ich habe Beaumont und meinen General gesehen. Nein schönes Pferd Paméla geht morgen nach Nohant ab; der General reist nach Limousin. In etwa vierzehn Tagen wird er zurückkehren und hat mir versprochen, über Nohant zukommen, wo ich Dir helfen werde, ihn zu empfangen. Diesen Morgen sah ich Oudinot, der, da er mehr in Gnaden steht, als wir, auf Anstiften Charles His', hoffentlich den Hauptmannsrang für mich verlangen wird. Ich erhalte jetzt auch meinen Sold und der soll mir einen neuen Anzug verschaffen, damit ich den Cardinal Gonsalvi besuchen kann, der jetzt hier ist, um das Concordat abzuschließen. Es scheint, als hätte er sich nur sehr ungern zu dieser Reise entschlossen, als glaubte er unter die Guillotine zu gehen, wenn er Rom verließe. Charles His, der mich bei meiner „Gesandtschaft“ nach Rom begleitete, hat Se. Eminenz schon hier besucht und viele Umarmungen davongetragen. Siehst Du wohl, liebe Mutter, daß der kleine Ausflug, den Du schon als große Extravaganz betrachtetest, keinen verderblichen Einfluß auf mein Schicksal haben wird, meinen Verhältnissen vielmehr nützlich ist und Dich keinen Sou kostet. — Von den sechsundzwanzig Louisd'or, die mir Herr von Cobenzl zurückerstatten soll, habe ich noch nichts gehört. Ich werde morgen zu ihm gehen. Adieu, liebe Mutter, ich bin bald wieder bei Dir, und, wenn der Himmel will, als Hauptmann. Ich bitte Dich, gräme Dich nicht und zweifle niemals an der Zärtlichkeit Deines Sohnes.“

      Moritz blieb in Paris bis an das Ende des Messidor; verschiedene Geschäfte mußten als Vorwand dienen: der Besuch bei Monsignore Gonsalvi, die sechsundzwanzig Louisd'or der Auswechselungscommission; allerhand Bemühungen um ein Avancement, auf das er nicht rechnete, und um das er sich eben nicht kümmerte, eine Verletzung des Pferdes, die Feierlichkeiten des 14. Juli — das waren die mehr oder weniger ernsten Gründe, welche die Tage, die er der Liebe weihte, mit einem nicht sehr geheimnißvollen Schleier umhüllten. Der arme Junge verstand das Lügen nicht und von Zeit zu Zeit machte sich seine Seele in lauten Klagen Luft: „Du willst nicht,“ schrieb er an seine Mutter, „daß ich mich für ein Weib interessire, das Alles für mich verlassen, Alles meinetwegen verloren hat! Das ist ja unmöglich! Du selbst, meine Mutter, Du verlangst dies wohl — aber Du würdest nicht einmal gegen einen Dienstboten gleichgültig sein können, der seine Stelle verloren hätte, um Dir zu folgen, und Du glaubst, daß ich gegen eine Frau undankbar sein könnte, deren Herz aufrichtig und edel ist? Nein, Du kannst einen solchen Rath nicht geben!“

      Der Onkel Beaumont, der früher Abbé und Coadjutor bei dem Erzbisthum von Bordeaux gewesen war, dieser Sohn des Fräuleins von Verrières und des Herzogs von Bouillon, der Enkel Türenne's und folglich ein Verwandter des Herrn von Latour d'Auvergne, war ein geistreicher und verständiger Mann. Er hatte als junger Abbé ein glänzendes und stürmisches Leben geführt; er war schön, idealisch schön; von sprühender Fröhlichkeit; tapfer wie ein Husarenlieutenant; poetisch wie — der Musen-Almanach; herrschsüchtig und schwach, das heißt zärtlich und jähzornig. Auch er war eine Künstlernatur, ein Wesen, das in anderer Umgebung die Größe eines Gondi gewonnen haben würde, dessen Jugend er so ziemlich nachgeahmt hatte. Nach der Revolution zog er sich aus dem Geräusch und der Bewegung der Welt zurück, lebte in der Stille und schloß sich den „Ralliirten“ nicht an, die er ohne Bitterkeit und ohne Pedanterie etwas verachtete. In jener Zeit beherrschte eine Frau sein Leben und machte ihn glücklich. Für meine Großmutter war er immer ein treuer Freund und für meinen Vater war er zugleich ein Vater und ein Kamerad.

      Die sittlichen Begriffe des schönen Abbés waren die der liebenswürdigen Männer seiner Zeit, und wenn diese Begriffe von den Männern unserer Zeit nicht weiter ausgedehnt werden, so sind diese doch nicht mehr so liebenswürdig, da liegt der Unterschied! Mein Großonkel war ein Gemisch von Trockenheit und Mittheilsamkeit, von Härte und unvergleichlicher Güte. Er fand es ganz natürlich, Victoriens edle Hingabe zurückzuweisen.

      „Laßt sie reich sein, und sich amüsiren, sagte er in seinem sanften epicuräischen Cynismus. „Das ist viel klüger, als wenn sie mit dem Manne ihrer Liebe darbt. Moritz soll sie vergessen und diese romanhafte Hingebung nicht ermuthigen, das wird viel besser für ihn sein, als wenn er sich mit einer Wirthschaft belastet und seine Mutter quält.“

      Er hat die Leidenschaft meines Vaters niemals ermuthigt, sich aber auch niemals lebhaft bemüht, dieselbe auszurotten, und als Moritz sich mit Victorie verheirathete, behandelte er diese wie seine Tochter und ließ sich's angelegen sein, sie meiner Großmutter zu nähern.

      In den ersten Tagen des Thermidor (Ende Juli 1801) kam Moritz nach Nohant zurück und blieb daselbst bis Ende des Jahres. Hatte er sich entschlossen, Victorie zu vergessen, um die Kämpfe mit seiner Mutter zu beendigen? Dies ist kaum glaublich, denn sie erwartete ihn in Paris und fand ihn leidenschaftlicher, als je zuvor. Aber ich habe keine Spuren ihres Briefwechsels aus diesen vier Monaten. Wahrscheinlich wurde diese Correspondenz in Nohant etwas überwacht und die Briefe wurden deswegen nach und nach vernichtet.

       Sechszehntes Kapitel.

       1802. Brieffragmente. — Die „Beaux“ der schönen Welt. — Musikalische Studien. — Die Engländer in Paris. — Wiederkehr des Luxus. — Fest des Concordats. — Feierlichkeiten in Notre-Dame. — Haltung der Generäle. — Deschartres in Paris. — Adresse nach Charleville. — Antwort an Deschartres. — Widerwärtigkeiten der Adjutantenstellung in Friedenszelten.

       1802.

      Gegen das Ende des Jahres 1801 kehrte Moritz nach Paris zurück. Er schrieb seiner Mutter mit derselben Pünktlichkeit wie sonst, aber seine Briefe sind nicht mehr dieselben. Es sind nicht mehr dieselben Herzensergießungen, nicht mehr dieselbe Sorglosigkeit, oder wenn sich Sorglosigkeit zeigt, ist sie ein wenig erzwungen. Die arme Mutter hat jetzt ohne Zweifel eine Nebenbuhlerin; ihre zärtliche Eifersucht hat das Uebel, das sie befürchtete, zum Ausbruch gebracht.

      Vom Frimaire des Jahres X bis zum Floréal desselben Jahres enthalten die Briefe meines Vaters interessante Bemerkungen über die Gesellschaft, mit welcher er verkehrt und welche er aufmerksam beobachtet. Ich weiß kaum, was ich auswählen soll, um hier einen Auszug zu geben, denn Alles ist anziehend. Er schildert die Pariser Gesellschaft, wie sie sich