George Sand

Geschichte meines Lebens


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Deschartres' und der guten Zungen von La Châtre; denn unter diesen „Damen“, die mich tadeln und sich scandalisiren, weiß ich welche, die mir gegenüber nicht das Recht haben, prüde zu thun. Ueber diesen Punkt hätte ich Lust zu lachen, wenn ich lachen könnte, da Du aus Liebe zu mir traurig bist, meine gute Mutter. „Aber endlich, was fürchtest Du, was bildest Du Dir ein? Daß ich eine Frau heirathen würde, deren ich mich einst schämen müßte? Sei vorerst versichert, daß ich nichts thun werde, worüber ich jemals erröthen könnte; wenn ich diese Frau heirathete, so würde ich sie sicher auch achten, denn man kann nicht ernstlich lieben, wo man nicht hohe Achtung empfindet. Also hat Deine Besorgniß, oder vielmehr die Besorgniß Deschartres', nicht den geringsten Grund.

      Ich habe noch niemals an das Heirathen gedacht — ich bin noch viel zu jung, um daran zu denken, und das Leben, das ich führe, erlaubt mir noch nicht Frau und Kinder zu haben. Und Victorie denkt ebensowenig daran als ich. Sie hat sich sehr jung verheirathet; ihr Mann ist gestorben und hat ihr eine kleine Tochter hinterlassen, der sie alle Sorgfalt angedeihen läßt, die aber doch eine Last für sie ist. Jetzt muß sie arbeiten, um zu leben, und sie wird es thun, denn sie besaß schon früher eine Putzhandlung und arbeitet sehr gut. Welches Interesse könnte sie also haben, einen armen Teufel wie mich zu heirathen, der nichts besitzt als seinen Säbel, seinen wenig einträglichen Rang und der um keinen Preis Deine Behaglichkeit noch mehr beeinträchtigen würde, als es jetzt geschieht — das ist schon zu viel!

      „Du siehst also wohl, daß alle Ahnungen des weisen Deschartres keinen Sinn haben und daß seine Freundschaft ebensowenig zart als klug ist, wenn es ihm gefällt, Dir solche Befürchtungen in den Kopf zu setzen. Seine Aufgabe würde sein, Dich zu trösten und zu beruhigen, statt dessen thut er Dir weh. Er gleicht ganz dem Bären in der Fabel, der eine Fliege auf dem Gesichte seines Freundes todtschlagen wollte und diesem dabei den Kopf mit einem Pflastersteine zerschmetterte. Sage ihm das von mir, und daß er sein Benehmen ändern möchte, wenn wir gute Freunde bleiben sollen. Auf andere Weise würde das nicht gut möglich sein. Ich kann ihm verzeihen, wenn er sich abgeschmackt gegen mich beträgt, aber nicht, wenn er Dir Schmerzen bereitet und Dir den Glauben zu nehmen sucht, daß meine Liebe zu Dir jede Prüfung besteht.

      „Und dann, liebe Mutter, kennst Du mich denn nicht? Weißt Du nicht, daß, selbst wenn ich den Plan gehabt hätte, mich zu verheirathen, selbst wenn ich es sehr gewünscht hätte (was indessen nicht der Fall ist), Dein Kummer und Deine Thränen genügt haben würden, mich davon abzuhalten? Könnte ich denn jemals etwas thun, das Deinem Willen und Deinen Wünschen entgegenliefe? Denke doch, daß dies unmöglich ist und schlafe ruhig.

      „August und seine Frau wollen mich noch zwei oder drei Tage hier behalten. Man kann wirklich nicht liebenswürdiger sein, als sie. Das sind keine leeren Redensarten, sondern wirkliche Herzlichkeit und Freundschaft. Sie sind sehr glücklich — sie lieben sich und kennen weder Ehrgeiz noch Planmacherei, aber auch nicht den Ruhm! Und wenn man von diesem Weine getrunken hat, kann man sich nicht wieder an klares Wasser gewöhnen.

      „Adieu, meine gute Mutter, ich sehne mich wieder zu Dir zu kommen und Dich zu trösten — aber laß mich nur noch zwei oder drei Tage die ernsten Vorträge und weisen Rathschläge meines achtungswürdigen Neffen anhören. Ich bin ein sanftmüthiger Onkel, der sich belehren läßt — habe zärtlichere Predigten nöthig als die Deschartres' und fühle, daß die Luft von Nohant und La Châtre mir jetzt nicht zusagen würde. — Ich umarme Dich von ganzer Seele und liebe Dich mehr, als Du glaubst.

      Moritz.“

      Argenton.

      „Ich bin in Blanc einen Tag länger geblieben, meine gute Mutter, als ich eigentlich wollte, und nun bin ich in Argenton bei unserem guten Freunde Scävola, welcher auch wünscht, daß ich zwei oder drei Tage bei ihm zubringe und ein großes Geschrei ausstößt, als er sieht, daß ich zögere, es ihm zu versprechen. Ach, liebe Mutter, wie verändert ist mein Leben seit drei Jahren! Es ist etwas Eigenthümliches. Ich habe alle diese Tage Musik, ja selbst gute Musik gemacht und werde mich auch jetzt noch damit beschäftigen, denn Scävola ist noch immer ein passionirter Dilettant und macht eben so viel Aufhebens von meiner Violine als von mir — aber sonst würde ich an nichts Anderes gedacht und über die Musik Alles vergessen haben, und jetzt macht sie mich traurig statt mich zu begeistern. — Ich fürchte den Frieden und wünsche die Wiederaufnahme des Kampfes mit einer Lebhaftigkeit, die ich selbst weder verstehen kann, noch zu erklären weiß. Dann denke ich wieder, daß ich Dir neuen Kummer bereite, indem ich fortgehe und dieser Gedanke vergiftet den an das Vergnügen, das ich im Gefecht und auf dem Schlachtfelde empfinden würde. Du wärest traurig und gequält und ich wäre es auch. Es giebt wohl kein Glück in dieser Welt? Ich fange an, das zu bemerken, und da ich als Narr, der ich bin, das ganz vergessen hatte, so bin ich von der schönen Entdeckung völlig verblüfft. Aber ich fühle, daß ich unfähig bin, mich ohne Krieg zu zerstreuen und zu betäuben. Nach solchen Aufregungen scheint mir jede andere schal. — Ich hatte nichts als Deine Zärtlichkeit, um sie mich vergessen zu lassen, und selbst dieses Glück mußte mir für einige Zeit vergiftet werden.

      „Ich bin wie toll, wenn ich die Truppen defiliren sehe und den kriegerischen Klang ihrer Instrumente höre. Wir Kriegsleute sind eine Art Narren, deren Anfälle sich, wie die andrer Narren, verdoppeln, wenn sie etwas sehen oder hören, was sie an die Ursache ihres Wahnsinnes erinnert. — Das passirte mir gestern Abend, als ich eine halbe Brigade vorüber ziehen sah. Ich hielt meine Violine in der Hand und warf sie weit von mir. Adieu Haydn, Adieu Mozart, wenn der Tambour schlägt und die Trompete erschallt! Ich habe meine Unthätigkeit beklagt und beinahe vor Wuth geweint. Mein Gott, wo ist die Ruhe und Sorglosigkeit meiner ersten Jugend!

      „Auf Wiedersehen, meine gute Mutter, in Deinen Armen werde ich mich trösten und beruhigen. Einen guten Abend für Deschartres. Sage ihm, daß er hier einen ausgezeichneten Ruf als gelehrter Ackerbauer und Erznotenfresser hat. Ich umarme Dich von ganzer Seele und auch meine Bonne, die gewiß keinen Stein auf mich geworfen hat! Möge sie Dich beruhigen und trösten, und mögest Du sie hören. Sie hat mehr gesunden Verstand als alle Andere.“

      Ein zärtlicher Brief meiner Großmuteer führte Moritz für einige Zeit in die Heimath zurück. Deschartres empfing ihn mit verdrießlichem Gesichte und ziemlich trotzig — und als er sah, daß Moritz sich nicht näherte, um ihn zu umarmen, drehte er ihm den Rücken und ging, um den Gärtner wegen eines Salatbeetes auszuzanken. Eine Viertelstunde später sah er sich plötzlich in einer Allee seinem Schüler gegenüber. Moritz bemerkte, daß dem armen Schulmeister die Augen voll Thränen standen und warf sich in seine Arme. Beide weinten, ohne ein Wort zu sprechen und kehrten Arm in Arm zu meiner Großmutter zurück, die sie auf einer Bank erwartete und glücklich war sie mit einander ausgesöhnt zu finden. Aber Victorie schrieb! Sie konnte sich zu jener Zeit kaum schriftlich verständlich machen, denn ihr ganzer Unterricht beschränkte sich auf einige Stunden, die ihr 1788 ein alter Kapuziner ertheilt hatte, welcher armen Kindern umsonst lesen lehrte und den Katechismus hersagen ließ. — Einige Jahre nach ihrer Verheirathung schrieb sie Briefe, deren Natürlichkeit, Anmuth und Geist selbst meine Großmutter bewunderte; aber zu der Zeit, von der ich erzähle, mußte man die Augen eines Liebhabers haben, um das kleine Gekritzel zu entziffern und diese Ausbrüche eines leidenschaftlichen Gefühls zu verstehen, das keine Form finden konnte, um sich auszudrücken. Moritz verstand indessen, daß Victorie in Verzweiflung war, daß sie sich verbannt, betrogen und vergessen glaubte. Nun fing er wieder an, von der Reise nach Courcelles zu sprechen, und neue Befürchtungen, neue Thränen waren die Folge — aber dessen ohngeachtet reiste er am 28. prairial ab und schrieb von Courcelles:

      Courcelles, den 28. prairial (Juni 1801).

      „Gestern Abend bin ich hier angekommen, liebe Mutter, und habe den Weg mit dem Postwagen sehr unbequem, aber dafür auch sehr schnell zurückgelegt. — Das war eine traurige Reise. Deine Schmerzen, Deine Thränen quälten mich wie Gewissensbisse und doch sagte mir mein Herz, daß ich nicht strafbar bin, denn Alles, was Du verlangst, ist, Dich zu lieben, und ich fühle, daß ich