Sarah Glicker

Mafia Brothers


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denke ich und seufze leise.

      Ich brauche mich nicht umzusehen, ich weiß auch so, dass Cody nicht mehr hier ist. Weder neben mir, noch in meiner Wohnung. Schon damals konnte ich seine Anwesenheit spüren. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, doch ich wusste es einfach, wenn er sich in meiner Nähe befindet. Und genau dieses Gefühl hatte ich gestern, jetzt ist es jedoch verschwunden.

      Ich schließe noch einen Moment meine Augen, während ich versuche herauszufinden, wie ich aus dem Problem herauskomme, in das ich mich selber befördert habe. Und anders kann man es wirklich nicht bezeichnen.

      In mir macht sich die Panik breit, dass Cody irgendetwas unternimmt, woran mein Bruder erkennt, dass ich ihn eingeweiht habe. Jason würde es sofort wieder an mir auslassen. Und wahrscheinlich könnte ich dieses Mal froh darüber sein, wenn ich nur ein paar blaue Flecken und offene Wunden habe.

      In der nächsten Sekunde dringt jedoch das laute Klingeln meines Handys an mein Ohr. Instinktiv greife ich danach und hoffe, dass es nicht mein Bruder ist, der versucht, mich zu erreichen. Mir ist bewusst, dass ich ihm nicht entkommen kann. Wenn ich nicht am Telefon mit ihm spreche, wird er hier auftauchen und wahrscheinlich wieder auf mich losgehen. Aber ich kann gerade weder das eine noch das andere gebrauchen.

      Doch dann stelle ich fest, dass nicht er es ist, der mich anruft, sondern meine Mutter sich am anderen Ende der Leitung befindet. Ich bin mir nicht sicher, ob das besser ist. Doch ich weiß, dass ich auch ihr nicht entkommen kann.

      Wenn ich nicht an mein Telefon gehe, wird sie früher oder später ebenfalls hier auftauchen. Und da mein Auto vor der Tür steht kann ich nicht einmal sagen, dass ich nicht zu Hause war.

      Daher atme ich ein letztes Mal tief durch, sodass sie hoffentlich nicht sofort merkt, dass ich gerade erst aufgewacht bin. Draußen scheint die Sonne und es ist bereits neun Uhr. Sie soll denken, dass ich auf der Arbeit bin und viel um die Ohren habe. Nur so kann ich die nächste Verabredung mit ihr irgendwie ausschlagen.

      „Hi“, begrüße ich sie und tue so, als wäre ich ein wenig gestresst.

      „Störe ich dich?“, fragt sie in der nächsten Sekunde. Dabei kann ich den vorsichtigen Ton in ihrer Stimme erkennen. „Ich kann dich auch später noch einmal anrufen.“

      „Schon in Ordnung. Hier ist gerade die Hölle los. Aber ein paar Sekunden habe ich Zeit“, gebe ich zurück. „Was gibt es denn?“

      „Ich wollte nur fragen, ob du Lust hast vorbeizukommen, wenn du Feierabend hast.“

      Ich erkenne die Hoffnung, mit der sie spricht. Früher hatten wir ein sehr enges Verhältnis. Dies war allerdings zu dem Zeitpunkt, als ich noch zu Hause gelebt habe und nicht auf der Liste meines Bruders stand. In den letzten Jahren habe ich immer wieder versucht ihr aus dem Weg zu gehen. Vor allem dann, wenn ich so aussehe, was leider öfter vorkommt, als ich es mir wünsche. Und meistens klappt das sogar. Um genau zu sein ist es mir bis jetzt nur ein einziges Mal nicht gelungen. Und auch da habe ich die Ausrede vorgebracht, dass ich einen Unfall hatte.

       Jeder, der auf nur ansatzweise über genug Menschenverstand verfügt, würde sagen, dass ich ihr endlich die Wahrheit sagen soll. Es gibt da leider aber ein paar Punkte, die mich daran hindern.

       Ich habe keine Ahnung, wie sie darauf reagieren wird. Ich bin ich mir sicher, dass ihre Welt zusammenbrechen würde, wenn sie von dieser Geschichte erfährt. Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie mir nicht glauben würde. Doch ich will auch nicht Schuld an den Dingen sein, die unweigerlich danach passieren werden.

       „Sorry, heute ist es schlecht“, weiche ich ihr also erneut aus. Dabei kann ich nichts gegen das schlechte Gewissen machen, was sich bei meinen Worten in mir bildet. Schnell halte ich mir deswegen vor Augen, dass ich es nur mache, um meine Eltern zu schützen. „Ich bin mit ein paar Freundinnen verabredet.“

       Kaum habe ich ausgesprochen beiße ich mir auf die Lippe. Sie weiß nicht, dass ich aus dem gleichen Grund kaum noch Freundinnen habe, mit denen ich mich treffen kann. Das ist noch ein Punkt, der mir zusetzt. Und den wenigen, die mir noch geblieben sind, gehe ich auch regelmäßig aus dem Weg.

       Sie wissen von nichts!

       Sie haben nicht einmal eine Vermutung!

       „Das ist schade. Melde dich, sobald du ein oder zwei Stunden erübrigen kannst. Ich würde gerne etwas mit dir besprechen.“

       „Mach ich.“

       Mit diesen Worten lege ich auf und werfe das Handy wieder neben mich. Ich will mich nicht damit auseinandersetzen, doch ich kann dem auch nicht entkommen.

       Ich habe die Befürchtung, dass ich auf eine große Katastrophe zusteuere, ich aber nicht einordnen kann. Und noch schlimmer ist, dass ich nichts tun kann, um genau das zu verhindern.

       Eine Ewigkeit bleibe ich auf dem Sofa liegen, bevor ich mich endlich dazu überwinden kann, aufzustehen. Viel zu lange stehe ich unter der Dusche. Dabei habe ich die Hoffnung, dass das Wasser auch meine Sorgen davon wäscht, doch genau das ist nicht der Fall. Nachdem ich mich abgetrocknet habe, werfe ich einen Blick in den Spiegel und begutachte meine Wunden.

       Sie sind noch lange nicht so weit, dass sie verheilen. Aus Erfahrung, die ich mittlerweile habe, kann ich auch sagen, dass es noch etwas dauern wird, bis das der Fall ist. Solange muss ich mir eine Ausrede einfallen lassen, falls meine Mutter sich noch einmal meldet und kann nur hoffen, dass mein Bruder das nächste Mal auf ein anderes Körperteil zielt.

       „Scheiße“, entfährt es mir.

       Auch die Sache mit Cody beschäftigt mich noch immer. Ich habe keine Ahnung, was ich mir gedacht habe, ausgerechnet ihn ins Vertrauen zu ziehen. Zum einen, dass ich es ihm erzählt habe und dann, dass ich ihm mehr oder weniger erlaubt habe, hier zu bleiben. Mir hätte klar sein müssen, dass er wieder verschwindet, so wie er es schon beim letzten Mal einfach getan hat.

       Es hat damals eine Ewigkeit gedauert, bis ich in Erfahrung gebracht habe, dass er im Gefängnis sitzt. Und eigentlich war es nur Zufall gewesen, weil mir gerade Taylor über den Weg lief, als ich von der Arbeit nach Hause gegangen bin. Und hätte ich ihm nicht klargemacht, dass ich es auch ohne seine Hilfe erfahre, hätte er mir wahrscheinlich auch kein Wort darüber mitgeteilt!

       Ich hätte es wissen müssen!

       Nachdem ich mir eine Haushose und ein Shirt angezogen habe, dringt das Klingeln meines Handys erneut an meine Ohren. Augenblicklich spanne ich mich wieder an. Doch als ich einen Blick auf das Display werfe und feststelle, dass es Cody ist, entspanne ich mich wieder.

       Dennoch muss ich nun stark sein. Das, was ich jetzt vorhabe, fällt mir nicht leicht. Doch mir ist bewusst, dass ich keine andere Wahl habe. Es geht nicht nur darum, dass ich mich schützen muss, sondern nun auch ihn. Und das ist noch ein Grund, wieso ich am besten den Mund gehalten hätte.

       Ein letztes Mal atme ich tief durch, ehe ich das Gespräch entgegennehme.

       „Hi“, begrüße ich ihn ein wenig zurückhaltend.

       „Guten Morgen“, stellt er fest. „Es tut mir leid, dass ich einfach verschwunden bin, aber ich musste mich um ein paar Sachen kümmern.“

       An dem Ton seiner Stimme höre ich, dass er es aufrichtig meint. Doch das ändert nichts an meinem Entschluss. Ich kann nur hoffen, dass er es akzeptiert und mich auch versteht.

       „Bist du zu Hause? Ich dachte mir, dass wir gemeinsam frühstücken“, spricht er nun weiter.

       Während ich mich frage, ob ich das wirklich machen kann, schießen mir die Tränen in die Augen. Doch schnell rufe ich mir in Erinnerung, dass ich ihn beschützen will. Und das geht nur, wenn ich ihn aus meinem Leben werfe.

       „Wir können uns nicht mehr sehen“, murmle ich also. Gleichzeitig kann ich nicht verhindern, dass mir eine einzelne Träne die Wange herunterläuft.

       „Was ist los?“

       „Nichts, aber es ist das Beste, wenn wir uns nicht mehr treffen. Lass mich bitte in Ruhe.“

       Kaum habe ich ausgesprochen