Emmi Ruprecht

Der Schundfilm meines Lebens


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Es scheint mir undenkbar, mich mit dieser Art von Filmen auseinanderzusetzen. Aber wenn es tatsächlich meine einzige Chance sein soll, als Autorin Fuß zu fassen, habe ich dann eine Wahl? Trotzdem fühle ich mich momentan überfordert von dem Vorschlag, Skripte für Filme zu verfassen, von denen niemand, den ich kenne, zugeben würde, sie anzusehen. Wie macht man so etwas? Habe ich selbst überhaupt schon einmal eine richtige Schnulze von Anfang bis Ende gesehen? Aus rein professioneller Neugier natürlich?

      „Meine Güte, Frau Wupper – sind Sie überhaupt noch von dieser Welt, oder leben Sie tatsächlich in so einem tiefenpsychologischen Paralleluniversum, wie Ihre Filmideen vermuten lassen?“

      Eine Pause entsteht, in der der Producer deutlich hörbar schnauft.

      „Es tut mir leid“, sagt er dann, „war nicht böse gemeint.“

      Der Filmschaffende braucht etwas Zeit, um sich zu sammeln. Dann spricht er betont langsam und deutlich, als müsse er einer begriffsstutzigen Vierjährigen die Welt erklären.

      „Also mal ganz von vorne: Was sind die Zutaten für einen richtig schönen Spielfilm, wo sie sich am Ende kriegen und alle glücklich sind?“

      Er macht eine kurze Kunstpause, dann rattert er sein Wissen gelangweilt herunter wie früher mein alter Geschichtslehrer, wenn er sämtliche Gebietsgewinne und -verluste der preußischen Einigungskriege von 1864 bis 1871 herunterspulte.

      „Es ist doch ganz einfach: Eine Frau, möglichst eine ganz normale Frau mit einem ganz normalen Leben, stolpert für sie völlig überraschend in eine große persönliche Katastrophe. Ehemann weg, Job weg, Freunde weg, Geld weg – was Sie wollen und soviel Sie wollen. Die Frau weiß nicht, wie ihr geschieht, und ehe sie sich versieht, ist von ihrem Leben nichts mehr übrig. Nach ein paar rabenschwarzen Szenen, wo sie wirklich von allen Seiten gegrillt wird, sich von jedermann verlassen sowie hoffnungslos dem Untergang geweiht fühlt, findet sie durch irgendein Ereignis neuen Mut und beschließt, sich ihrem Schicksal zu stellen. Sie ändert ihr Leben, erkennt, zu was für großartigen Leistungen sie fähig ist und dass alles gelingt, was sie anfasst, weil sie nun die richtige Einstellung hat. Dazu muss – und das ist ganz wichtig, Frau Wupper! – eine gehörige Portion Romantik in die Geschichte einfließen. Gerne ist es ein unnahbarer, geheimnisvoller Fremder, der zufällig just im finstersten Moment im Leben der Heldin den Schauplatz betritt. Er ist gemeinhin attraktiv, wirkt ansonsten jedoch schwer vermittelbar. Zumindest die Heldin findet ihn zunächst furchtbar – auch deshalb natürlich, weil sie von Männern nach ihrer grenzenlosen Enttäuschung mit ihrem Ex nichts mehr wissen will. Doch irgendwann zeigt der unnahbare Geselle seine groß-artigen Qualitäten, als er ihr bei passender Gelegenheit aus der Patsche hilft – ganz der bescheidene, wortkarge Held, für den das eine Selbstverständlichkeit ist. Nie hätte sie so etwas von dem Mann, mit dem sie zunächst nichts anzufangen wusste, erwartet! Sie sieht ihn in einem völlig neuen Licht und erkennt, dass Vieles, was sie zunächst über ihn dachte, nur ein Missverständnis war oder einfach eine Verzweiflungstat seiner gequälten Seele, die aus einem gebrochenen Herzen resultiert, denn auch er hat Schlimmes durchgemacht und …“

      „Schon gut, schon gut, ich habe verstanden!“, brumme ich missmutig in den Hörer.

      Oh je, was ist das denn für einer? Frönt Herr Hansen einer geheimen Leidenschaft für derartigen Schund? Als Mann? Wer mag ihn so zugerichtet haben? Vermutlich hat er eine schlimme Kindheit bei einer Mutter hinter sich, die sich schon vormittags mit US-Serien-Wiederholungen betäubte und dabei das Mittagessen anbrennen ließ!

      Doch der Experte für die anspruchsbefreite Fernsehunterhaltung ist nicht so leicht zu bremsen.

      „Sorgen Sie vor allem dafür, dass die Zuschauerinnen – ja, diese Art von Filmen wird nun mal bevorzugt von Frauen gesehen – sich mit der Hauptperson identifizieren können. Die Heldin muss so sein, wie sie auch sind, und ein Leben leben, wie sie es auch führen könnten. Dabei muss sie natürlich eine wunderbare Persönlichkeit haben: grundgut, sympathisch und dazu noch sehr hübsch, nur eben viel zu bescheiden, um ihre Reize in den Vordergrund zu stellen. Eben genau so, wie sich die Zuschauerinnen selbst auch sehen: eigentlich großartig, aber in ihren heimlichen Qualitäten verkannt. Obwohl die Heldin neben all ihren wunderbaren Eigenschaften natürlich auch ein paar liebenswerte Schwächen hat, sonst wirkt es zu unrealistisch. Aber vor allem“, der Producer holt tief Luft und macht eine bedeutungsvolle Pause, „selbst wenn ihr, also der Heldin, das eigene Leben um die Ohren fliegt und das Schicksal es überhaupt nicht gut mit ihr zu meinen scheint: Sie ist keinesfalls depressiv. Niemals! Sie verdrückt vielleicht ein paar Tränen und schimpft auf die ganze Welt. Sie ist von der Liebe enttäuscht und meinetwegen auch von der besten Freundin. Aber sie hängt maximal zwei Sequenzen lang durch! Sie ist frech und lebensklug und überhaupt niemals tiefgründig! Das will keiner sehen! Niemand will zuhören, wenn sie über die Welt philosophiert oder gar den Sinn des Lebens infrage stellt. Das interessiert niemanden! Also geben Sie ihr um Himmels willen eine komplett andere Persönlichkeit als Ihren sonstigen Heldinnen. Lassen Sie sie einfach ganz normal sein!“

      Ich verdrehe die Augen und presse meine Lippen zusammen. Dieser Produzenten-Knecht zerrt gerade gewaltig an meinen Nerven! Darüber hinaus scheint er in seinem Redeschwall gar nicht mehr zu stoppen zu sein.

      „Egal, wie schlimm es kommt und welches Unglück auch passiert: In einem Spielfilm, der wenigstens annähernd akzeptable Einschaltquoten erreichen will, ist immer alles lösbar. Es gibt ein Happy End, und das kann gar nicht glücklich genug sein. Und um das zu erreichen, braucht die Hauptperson nicht mehr als ein bisschen Mut und Tatkraft, denn die Fernsehwelt ist bunt und sie dreht sich und alles ist möglich!“

      Herr Hansen bemüht sich wirklich sehr – das weiß ich zu schätzen. Seine Begeisterung für dieses Genre ist beinahe rührend! Doch es ist mir nun einmal unmöglich zu glauben, dass eine so lieblose Aneinanderreihung von belanglosen Klischees, die darüber hinaus schon seit Jahrzehnten die Film- und Fernsehwelt beherrschen, zu einem Quoten-Hit führen soll. Es gibt doch schließlich auch noch andere Spielfilme, die von billigem Herzschmerz weit entfernt sind!

      Deshalb werfe ich mich mutig in die Bresche, um wenigstens einen Funken Qualität in die Geschichte einfließen zu lassen, die der in seiner Kindheit traumatisierte Heile-Welt-Fanatiker skizziert hat. Zumindest eine Winzigkeit Intellekt muss sein dürfen! Schließlich soll ich doch nicht für den Kinderkanal schreiben. Obwohl: Bernd das Brot sehe ich eigentlich immer ganz gerne …

      „Aber es gibt doch schon Tausende von diesen Streifen. Muss sich nicht auch ein Liebesfilm zumindest an irgendeiner Stelle von all den anderen unterscheiden? Vielleicht könnte die Heldin wenigstens ein bisschen reflektiert sein. Wenn sie so eine schlimme Zeit durchleidet, dann kann es doch gar nicht anders sein, als dass ihr Elend sie nach einem psychischen Zusammenbruch zu einem tiefgreifenden inneren Wandel führt, innerhalb dessen sich ihr Weltbild komplett neu zusammensetzt …“

      „Um Himmels willen!“, fährt mein Gesprächspartner mir über den Mund. „Nein! Auf gar keinen Fall! Kein Weltbild, nicht tiefgreifend und mit Sicherheit nicht psychisch! Das hat alles absolut gar nichts in einer TV-Romanze verloren! Dann können Sie es gleich lassen.“

      Er hört sich ein bisschen hysterisch an, so als hätte ich etwas Unsittliches vorgeschlagen. Meine Güte, von ein wenig Realitätsnähe werden die Zuschauerinnen nicht gleich Blähungen bekommen oder gar daran sterben!

      Doch ich gebe mich geschlagen. Ich weiß, wann ich verloren habe, und jetzt ist es soweit. Deshalb beschließe ich, ihn einfach reden zu lassen.

      „Glauben Sie mir: Dieser Stoff kommt niemals aus der Mode, auch wenn er in über zehn Millionen unterschiedlichen Variationen, in allen Studios der Welt, mit allen nur erdenklichen Namen, Figuren und Frisuren der Heldin bereits verwurstet wurde. So und nicht anders funktioniert ein Spielfilm, bei dem die Zuschauer nicht entsetzt wegzappen oder Schlafstörungen bekommen. Und ich vermute, so ein Drehbuch zu schreiben ist zurzeit Ihre einzige Chance, ins Geschäft zu kommen!“

      Ich weiß, dass er recht hat. Die Wahrheit ist furchtbar und dafür hasse ich ihn. Ich bezweifle, jemals wieder eine Drehbuchzeile schreiben zu können, aber etwas in mir sagt, dass sein Vorschlag wirklich der einzige Weg ist, dem feuchten