Emmi Ruprecht

Der Schundfilm meines Lebens


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zu tun. Etwas, wofür mich keiner meiner Bekannten jemals wieder auf der Straße grüßen wird und was außerdem der Grund dafür sein wird, dass meine Eltern mich verleugnen werden. Aber ich habe vermutlich keine Wahl: Ich werde versuchen müssen, einen Schundfilm zu schreiben!

      *

      Die Dämmerung hat schon lange eingesetzt. Dicke Wolken verdunkeln den Himmel zusätzlich, weil aus dem sonnigen Spätsommertag ein nasskalter Herbstanfang geworden ist. Auf einmal peitscht der Wind auch noch Regen auf das Dachflächenfenster über meinem Schreibtisch. Erstaunt blicke ich auf, als ein Blitz über den Himmel zuckt. Ich habe gar nicht bemerkt, was für ein Unheil sich da draußen zusammenbraut. Vermutlich liegt es daran, dass das nichts ist im Vergleich zu meiner Laune!

      Schon seit Stunden brüte ich vor mich hin und starre auf den leeren Bildschirm, einen halben Meter vor meinem Gesicht. Ein kleiner, schmaler, schwarzer Balken blinkt auffordernd in der oberen linken Ecke und versucht mich anzutreiben, doch bitte endlich etwas zu schreiben. Aber ich kann nicht, denn mein Kopf ist wie leer gefegt. Nur ganz weit hinten, in einem kleinen Winkel meines Hirns, jagen sich die Gedanken und fabrizieren wirres Zeug, weil ich mir nicht einmal mehr die Mühe mache, sie einzufangen und in sinnvolle Bahnen zu lenken. Ich nehme an, ich stehe unter Schock!

      Der Balken blinkt immer noch. Ich schiebe mir den letzten Schokoriegel in den Mund, dann ist die Packung leer, die heute Vormittag noch nicht einmal angebrochen war. Ich werfe einen prüfenden Blick zum Aschenbecher: Ich glaube, einen Stummel könnte ich noch unterbringen, bevor sein Fassungsvermögen endgültig erreicht ist. Die Schachtel beherbergt nur noch zwei Zigaretten. Heute habe ich es definitiv übertrieben mit meiner Qualmerei! Ich zünde mir trotzdem eine von beiden an.

      So kann es nicht weitergehen. Ich muss mich entscheiden: Will ich ernsthaft versuchen, ein Drehbuch zu verfassen, das zwar unterhalb jedes für mich denkbaren Niveaus liegt, das aber wenigstens die Chance auf eine Verfilmung in sich birgt? Oder will ich gleich jetzt die Jobbörsen im Internet nach passenden Angeboten durchforsten? Vielleicht habe ich Glück und gerade heute steht ein Stellenangebot im Netz, das zu meinem beruflichen Profil passt?

      Ich kann mich nicht dazu durchringen, diese Idee in die Tat umzusetzen. Stattdessen starre ich weiter regungslos auf den blinkenden Cursor in dem hellgrauen Viereck. Er wartet. Leider habe ich nicht die geringste Ahnung worauf, beziehungsweise welche Buchstabenkombination ich ihm über die Tastatur anbieten soll, damit er den Anfang eines Films daraus macht. Einer schlechten Liebeskomödie. Ich seufze. Wie, um Himmels willen, fange ich so eine Klamotte an?

      Entschlossen, nun endlich etwas zu schreiben, und sei es auch nur abwegiger Blödsinn, wage ich einen gedanklichen Vorstoß.

      Zunächst einmal brauche ich die Hauptfigur, die Filmheldin. Die Worte des Producers kommen mir in den Sinn, dass solche Filme meistens von Frauen gesehen werden und dass diese sich mit der weiblichen Hauptrolle unbedingt identifizieren können sollen. Also muss die Protagonistin eine ganz normale Frau sein. Hm. Aber wie sieht eine normale Frau überhaupt aus?

      Eigentlich müsste ich mir über ihr Aussehen überhaupt keine Gedanken machen, denn das spielt keine Rolle – jedenfalls nicht beim Verfassen eines Drehbuchs. Ich könnte ihr in der knappen Personenbeschreibung des Exposés ein Windhundgesicht, abstehende Ohren und die Figur eines südvietnamesischen Hängebauchschweins verpassen – und für einen Moment gerate ich in Versuchung, genau das zu tun! – doch das ist irrelevant. Das Aussehen wird bei der Besetzung der Rolle entschieden, und da wollen sich die Produzenten, TV-Redakteure, Regisseure und wer sonst noch alles am Set wichtig ist, bestimmt nicht von mir hineinreden lassen. Aber ich brauche ein Bild, eine Vorstellung von dieser Frau, denn in meiner Fantasie muss sie zum Leben erweckt werden. Ich muss vor mir sehen, wie sie sich bewegt, wie sie sich gibt, wie sie spricht, wie sie lacht und überhaupt wie sie ist.

      Doch schon an dieser an sich vollkommen unspektakulären Herausforderung droht meine Vorstellungskraft zu scheitern. „Eine ganz normale Frau“ hat Herr Hansen gesagt. Was genau könnte er darunter verstehen?

      Unwillkürlich werfe ich einen Blick nach oben ins Dachflächenfenster über meinem Kopf, das ein etwas unscharfes Bild von mir zurückwirft. Könnte eine normale Frau theoretisch so aussehen wie ich?

      Mein eigenes schmales, blasses Gesicht mit tiefdunkelbraunen Augen starrt mich an. Meine glatten, dunkelbraunen Haare sind zu einem Zopf zurückgebunden und ein dichter Pony fällt mir in die Stirn und gibt meinem Gesicht etwas Mondänes – jedenfalls hat das meine Friseurin gesagt, als sie mich zu diesem Schnitt überredete. Ich selbst finde mich nicht so mondän, aber der Pony gefällt mir! Meine Figur, na ja, ein bisschen fülliger sind meine 1,72 Meter schon geworden, seit ich meinem Job Adieu gesagt habe. Die Taille war schon schlanker und die Oberschenkel sind etwas stämmig geworden. Aber haben nicht alle Frauen Gewichtsprobleme, manche vielleicht auch nur eingebildete? Dann könnte eine normale Frau theoretisch so aussehen wie ich?

      Zumindest das mit dem Gewichtsproblem finde ich überzeugend. Ich notiere im Geiste: Die Hauptfigur ist mollig. Natürlich nur ein ganz klein wenig, denn sie muss ja andererseits auch umwerfend schön sein, was sie selbst in ihrer grenzenlosen Bescheidenheit nur nicht erkennt. Sie macht nicht viel aus sich, sie ist „natürlich“, mit Jeans und Pullover, Hauptsache praktisch, ohne viel Schnickschnack. Erst später wird sie zu einem zauberhaften Schwan werden, einer Schönheit, der sich kaum ein Mann entziehen kann, und schon gar nicht der Held, der schon lange ihre körperlichen Vorzüge erahnte, von denen sie selbst nie Notiz nahm.

      Huch!

      Erstaunt nehme ich zur Kenntnis, dass ich plötzlich genau so denke, wie man denken sollte, wenn man vorhat, eine durchschnittliche Wald-und-Wiesen-Liebesgeschichte fürs Fernsehen zusammenzubasteln. Beängstigend! Ich bin also auf einem guten Weg.

      Plötzlich kommt Leben in meine Gehirnwindungen und im Geiste wird meine Filmheldin geboren: Eine Frau, ein bisschen jünger als ich – vielleicht Mitte dreißig? Das hört sich besser an als Anfang vierzig. Außerdem würde ich mich mit Hauptpersonen ab vierzig im Seniorensegment für Liebeskomödien befinden, und die funktionieren meinen spärlichen Erfahrungen als Zuschauer nach völlig anders als das, was Herr Hansen sich vorstellt, und zwar so, dass man sich stets eine betuliche Inge Meysel in der Hauptrolle vorstellen kann!

      Ich versuche die Bilder aus meinem Kopf zu kriegen, die gerade entstanden sind. Reiß‘ dich zusammen, Hanna!

      Also, die Filmheldin ist Mitte dreißig. Viel jünger sollte sie auch nicht sein, denn es soll ja kein Teenie-Film werden. Schließlich hat Herr Hansen von Fernsehsendern und nicht von einem YouTube-Kanal gesprochen.

      Hm, und wie weiter?

      Ich denke, die Heldin sollte einsfünfundsechzig Meter groß sein. Ich habe gelesen, dass das die Durchschnittsgröße deutscher Frauen ist. Ich finde das zwar erschreckend winzig, denn ich finde mich schon zu klein mit meinen einszweiundsiebzig, aber darum geht es hier nicht. Es geht um die Norm, und die ist am besten mit dem Durchschnitt abzubilden.

      Dann fällt mir ein, dass für die weibliche Hauptrolle sicher eine Blondine ausgesucht wird. Blond passt einfach gut zur Heldin einer harmlosen Liebeskomödie. Schließlich ist die Heldin die Gute, und seit jeher sind die Blonden die Guten und die Brünetten die Bösen – jedenfalls in der Art von seichter Unterhaltung, die ich hier zusammenschreiben muss. Ich hingegen mit meinen dunklen Haaren, dem blassen Teint, dem schmalen Gesicht und den ernst dreinblickenden Augen würde bestenfalls in der Verfilmung eines literarischen Klassikers aus dem neunzehnten Jahrhundert die Heldin sein können. Bei einem in der heutigen Zeit angesiedelten LonA – Liebesfilm ohne nennenswerte Aussage – würde der Produzent niemals jemanden wie mich zur engelsgleichen Heldin ohne Fehl und Tadel machen!

      Also fasse ich zusammen: Die Heldin hat blonde Locken, eine sehr frauliche Figur mit etwas Bauch und vielen weiblichen Rundungen, denn Weiblichkeit ist bei dieser Art von Filmen ein Muss! Und sie heißt … ach je! Wie heißt denn so jemand?

      Nachdenklich kaue ich auf meinen Nägeln herum. Ein passender Name für die Protagonistin einer TV-Romanze muss her! Nicht zu modern, nicht zu altbacken. Wohlklingend, aber nicht zu verspielt, weil sie ja schon blonde Locken hat und in meiner Fantasie aussieht wie eine