Emmi Ruprecht

Der Schundfilm meines Lebens


Скачать книгу

den schönen Herrn Schubert aus dem Controlling interessierte und sich gerne hinter dem Tresen die Nägel lackierte. Wie hieß die noch gleich?

      Sibille! Sibille ist gut. Vermutlich guckt so eine auch Liebesfilme?

      Der Name passt also. Sie heißt Sibille. Sibille König. Genau! Das hört sich doch schon vielversprechend nach einem schlechten Film an! Außerdem wird sie von allen liebevoll „Billie“ gerufen.

      Ich muss mich in Gedanken übergeben. Schrecklich! So eine gequirlte Hundeka… ähm … häufchen! Was mache ich hier eigentlich?

      „Deinen Lebensunterhalt sichern“, antwortet mir eine Stimme in meinem Kopf. Sie hört sich ein bisschen wie die meiner Mutter an, was mich erstaunt. Denn unter „Lebensunterhalt sichern“ versteht meine Mama ganz sicher etwas anderes, als sich der Illusion hinzugeben, eine erfolgreiche Drehbuchautorin zu werden!

      Ich schlucke, aber recht hat sie, die Stimme. Weiter geht‘s! Was ist der Plot, also das Handlungsgerüst des Films? Worum dreht es sich? Und wie fange ich die Geschichte an?

      Die Worte von Herrn Hansen drängen sich mir auf: Die Heldin steckt in der Klemme und ihr ganzes Leben gerät aus den Fugen. Mann weg, Haus weg, Job weg, selbst Freunde hat sie keine.

      Hm. Das ist ja echt blöd! Wie soll denn das alles passieren, und auch noch gleichzeitig? Es fällt mir schwer, mir das vorzustellen. Was, um Himmels willen, muss geschehen, um so ein fatales Ergebnis hervorzurufen?

      Ich lehne mich zurück und überlasse es meinem Unterbewussten, Bilder zu dem Thema zu entwickeln. Hmmm … vielleicht hat ihr Mann einen schweren Unfall? Die Nachricht von seinem Unglück bekommt sie telefonisch, als sie gerade bügelt – sein blütenweißes Hemd, das er am nächsten Tag ins Büro anziehen will! Oh ja! Ich sehe es direkt vor mir: Bester Dinge und von nichts als dem alltäglichen Einerlei beschwert, steht Sibille mit einem fröhlichen Lächeln am Bügelbrett in ihrem schicken Wohnzimmer mit den riesigen Fenstern, die den Blick auf einen hübschen Garten freigeben. Eine kleine Idylle! Nichts rasend Schickes, aber hell und gemütlich, eben ein ganz normales Zuhause für ein sympathisches Pärchen. Sie summt vor sich hin, bearbeitet gut gelaunt das weiße Hemd auf dem Bügelbrett und will gerade zum Wäschesprenger greifen, als das Telefon klingelt.

      Auf meinem Bildschirm entsteht die erste Szene:

      1 INN. SIBILLES ZUHAUSE – NACHMITTAG

      Wohnzimmer, hell, gemütlich, mit großen Fenstern, dahinter Garten. SIBILLE, Mitte 30, hübsch, drall, blond, bügelt ein weißes Herrenoberhemd. Das Telefon klingelt. Beiläufig greift sie nach dem Hörer und flötet gut gelaunt:

       SIBILLE: Sibille König, Hallo!

      Sibille klemmt den Hörer zwischen Kopf und Schulter, während sie resolut weiterbügelt. Dann verändert sich ihre Miene: Erst guckt sie erstaunt, dann zeigt sich das nackte Entsetzen auf ihrem Gesicht.

      Sibille vergisst das Bügeleisen und lässt es auf dem Hemd stehen. Erst dampft es nur, dann beginnt es zu qualmen.

      Genau so! Und jetzt zoomt die Kamera ganz nah an das Bügelgerät heran, damit auch niemandem entgeht, was da gerade Schicksalhaftes geschieht. Ich schreibe:

      NAH

      Das Bügeleisen steht auf dem Hemd, vorne, in Brusthöhe, dort, wo sonst das Herz ihres Liebsten unter dem Stoff pocht!

      Was für eine schaurig-kitschige Symbolik! Mann, ist das schlecht! Begeistert schreibe ich weiter.

      2 AUSS. SIBILLES ZUHAUSE – NACHMITTAG

      Sibille stürzt Hals über Kopf aus der Haustür und rennt zu ihrem Fahrrad, das vor dem Haus steht.

      3 INN. SIBILLES ZUHAUSE – NACHMITTAG

      Um den Fuß des Bügeleisens herum brutzelt und schmurgelt es. Schwarzbraune Ränder zeigen, dass das Hemd definitiv nicht mehr zu retten ist ...

      … und das Bügelbrett gleich auch nicht mehr, weil das als nächstes dem vergessenen heißen Eisen zum Opfer fällt. Später, wenn Sibille nach einem langen, tränenreichen Abend bei ihrer Freundin, zu der sie sich in ihrer Verzweiflung geflüchtet hat, zurückkehrt, werden von dem kleinen Häuschen am Stadtrand nur noch die Grundmauern stehen.

      Na, es geht doch!

      Obwohl – mir fällt ein, dass die Filmheldin eigentlich auch keine Freundin mehr haben darf. Schließlich ist sie richtig am Ar… ähm … sie steckt sozusagen kopfüber in der Sch…üssel und hat nichts und niemanden mehr, bei dem sie sich ausheulen kann. Nicht einmal ihren Hamster, denn den hat sie beim Bügeleisen zurückgelassen!

      Ich streiche das mit dem Hamster. Das gibt nur wieder Ärger mit Tierschützern. Aber das Problem bleibt: Wie kriege ich es hin, dass Sibille nicht einmal mehr eine Freundin hat? Hm. Streiten die beiden? Aber wer streitet schon mit einer Frau, deren Mann gerade bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen ist?

      Dazu fällt mir nichts ein. Frustriert lasse ich mich in meinen Schreibtischstuhl zurücksinken. Es ist wohl doch nicht so einfach, wie ich anfangs dachte. Einerseits brauche ich eine komplett überzogene Story, in der wirklich das ganze Leben der Heldin restlos in Bergen aus Schutt und Asche versinkt, andererseits sagte der Producer, dass die Geschichte wie aus dem Leben gegriffen sein soll – so, als könne das Ganze jedem jederzeit passieren. Wie soll das gehen?

      Eine beängstigende Leere scheint sich erneut in meinem Kopf ausbreiten zu wollen und ich frage mich, wie es mir gelingen soll, mich in eine völlig unrealistisch katastrophale Situation hineinzudenken, wenn ich so etwas nicht kenne, weil in meinem Leben alles gut ist: Ich habe einen Partner, eine Wohnung, bin gesund und habe Freundinnen. Bei mir ist alles in bester Ordnung!

      Jaja, gut, okay, es könnte besser laufen. Ein Drehbucherfolg, der mein Dasein durch Einkünfte bereichert, wäre schön, um nicht zu sagen notwendig. Doch ansonsten ist alles bestens! Fast würde ich sagen unspektakulär. Beinahe langweilig. In meinem Leben gibt’s keine Dramen, und eigentlich finde ich das auch ganz gut so! Als Vorlage für einen kitschigen Liebesfilm, wo die Heldin alles, außer den Hamster, weil sie keinen hat, verliert, ist es jedoch nicht zu gebrauchen. Doch wie kann dann eine ganz alltägliche Katastrophe aussehen, wenn zumindest bei mir Katastrophen nun einmal nicht alltäglich sind?

      Stöhnend lasse ich meinen Kopf in die Hände fallen. So wird das nix! Ich muss anders an die Sache herangehen, und zwar muss ich mich fragen …

      Genau! Ich muss mich fragen, was in meinem Leben passieren müsste, damit es zu einem katastrophalen Chaos wird. Jetzt. Hier. Von diesem Stuhl, dieser Wohnung, diesem Moment aus. Wie würde mein Leben in einem Film aussehen, wenn es hier und jetzt explodierte?

      Ich schlucke. Was für eine Vorstellung! Doch es hilft nichts, da muss ich durch. Außerdem passiert es ja nicht wirklich. Ich muss es mir nur vorstellen!

      Hm. Zunächst einmal würde ich vermutlich meinen Mann – beziehungsweise meinen Lebensgefährten, denn wir sind nicht verheiratet – verlieren.

      Schmerzhaft verziehe ich das Gesicht. So etwas mag ich mir nicht einmal vorstellen! Sterben dürfte er auf gar keinen Fall. Aber was dann? Bliebe nur, dass er mich betrügt. Ich grinse in mich hinein, denn mein Konstantin hat nicht das geringste von einem Fremdgeher! Auch wenn er sehr attraktiv ist, groß und schlank, mit einem furchtbar sympathischen Lächeln, strahlend blauen Augen ... ich lächele glücklich vor mich hin ... so zeigt er trotzdem nicht die geringsten Ambitionen, das auszunutzen. An ihm ist so gar nichts Verwegenes, in seinem Blick ist nichts Verschlagenes und sein Verhalten ist kein bisschen geheimnisvoll. Kann so ein Mann eine Frau hintergehen? Niemals! Und außerdem glaube ich nicht, dass ein Mann, der es verdient, dass man ihn liebt, überhaupt in der Lage ist, eine so großartige Frau wie meine Filmheldin zu betrügen!

      Doch leider zählen solche Spitzfindigkeiten nicht. Wenn der Mann der Hauptperson nicht sterben soll, dann muss er sie betrügen und verlassen. Punkt.

      Erst zögernd, dann immer zuversichtlicher, entwickele ich die Handlung auf meinem Bildschirm: Sibilles Mann Karsten