Hans Herrmann

Halt oder ich scheisse!


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die Leistenkontrolle vornehmen wollen.

      Draussen wird gezotet. "Mann, stell' dir vor, wie der geguckt hätte, wenn ich dabei eine Latte gekriegt hätte", johlt einer, der die Prozedur offensichtlich ungebrochen überstanden hat.

      Du nimmt dir vor, diesem Rohling künftig möglichst aus dem Weg zu gehen.

      3. Vom Grüssen

      Der militärische Gruss ist's, der von allen soldatischen Sitten, Gebräuchen und Verrichtungen auch von Nichtkennern der Armee sogleich als militärisch erkannt wird – sogar dann, wenn der Grüssende in Zivil steckt und bloss zum Jux salutiert.

      Nur wenige kennen jedoch den Ursprung dieser merkwürdigen Grussgebärde. Es handelt sich, wie so vieles, um ein Relikt aus dem Mittelalter: Die Fingerspitzen der ausgestreckten Hand, grüssend zur rechten Schläfe geführt, ahmen pantomimisch den Ritter nach, der auf der Landstrasse einem anderen Ritter begegnet. Die Höflichkeit gebot, dass sich die beiden Eisengepanzerten beim Grüssen ins Gesicht sahen; dazu war es nötig, das Helmvisier hochzuklappen. Die Ritterhelme sind längst aus der Mode gekommen; die Handbewegung aber, mit der das imaginäre Visier noch immer hochgeklappt wird, ist geblieben.

      Ein verwandter Bewegungsablauf ist zuweilen bei älteren Herren zu beobachten, die früher Hut trugen und diesen beim Gruss seinerzeit leicht zu lüften pflegten. Heute sind besagte Herren meist ohne Hut unterwegs; begegnen sie jemandem, begleiten sie ihren mündlichen Gruss aber noch immer mit einer mechanischen Gebärde, die das Lüften des – nicht mehr vorhandenen – Hutes andeutet.

      Selbstverständlich ist militärisches Grüssen das erste, was wir in der Rekrutenschule zu lernen haben. Die Unteroffiziere und Offiziere bringen uns die ritterliche Grussgebärde unter Aufbietung all ihres pädagogischen Geschicks bei und bestrafen jene, die den militärischen Gruss nachlässig behandeln oder gar glauben missachten zu können, mit stupide ausgeklügelten Strafen (zehnmal grüssen und dergleichen mehr).

      Wir lernen auch, dass es Sonderfälle gibt. Ein militärischer Fahrzeuglenker zum Beispiel grüsst nicht mit angelegter Hand; auch in der Armee gehören aus Sicherheitsgründen beide Hände ans Steuer. Hierzu heisst es in der Grundschulung (GS), Nachdruck vom Dezember 1981, unter Ziffer 21, besondere Fälle, erstens, Gruss des Fahrzeugführers und Radfahrers:

      a.) Lenkrad bzw. Lenkstange beidhändig halten;

      b.) Oberkörper aufrichten;

      c.) geradeaus schauen;

      d.) nach der Vorbeifahrt am Ranghöheren die ursprüngliche Haltung wieder einnehmen.

      "Das ist fein ausgedacht", sagt Rekrut Jenni. "Stellt euch mal vor, da steht so ein Hoher am Wegrand und will sehen, wie der Fahrer ihn grüsst. Angenommen, es ist ein Fahrer, der stets gerade aufgerichtet am Steuer sitzt. Er sieht nun den Oberst und strafft sich zum Gruss, muss aber davon ausgehen, dass der Oberst nicht unbedingt merkt, dass er gegrüsst wird, weil er, der Fahrer, sich wegen seiner angeborenen aufrechten Haltung kaum noch zusätzlich hat aufrichten können; also muss er den Mangel ausgleichen, indem er nach erfolgtem Gruss theatralisch zusammensackt, damit der Hohe sieht: Aha, Ende Gruss, ich bin also gegrüsst worden."

      4. Lehrreicher Dialog

      Im Wiederholungskurs werden die militärischen Sitten meistens lax gehandhabt. Hier kommt zum Beispiel der militärische Gruss in der Regel nur noch zur Anwendung, wenn ein einheitsfremder Offizier ab Hauptmannsrang aufkreuzt. In Rekruten-, Unteroffiziers- und Offiziersschulen aber versteht man in dieser Hinsicht keinen Spass. Da wird in jedem nur erdenklichen Fall korrekt gegrüsst, angemeldet, gemeldet und quittiert – welchen Aufwand es auch immer koste. Manche Rekruten hört man sogar noch im Schlaf zackige Gefechtsmeldungen ausstossen.

      Zwischen einem Rekruten im zweiten Tag und einem Korporal, der den Rekruten in die Feinheiten des militärischen Umgangs einzuschleifen hat, kann es beispielsweise zu folgendem Dialog kommen:

      Rekrut: Ich habe das Dings da verloren.

      Korporal: Wie heisst's?

      Rekrut: Den Injekt… Injektions… äh… dieses Plastikröhrchen da.

      Korporal: Wie heisst's? Ich meine nicht die Bezeichnung, ich meine das Formelle. Wie heisst's?

      Rekrut (nach kurzem Nachdenken): Korporal, Rekrut Jaun. Ich habe das Plastikröhrchen verloren.

      Korporal: Erfüllt. Sie haben mich korrekt angesprochen. Nun wäre es aber trotz allem ganz hübsch, wenn Sie das Plastikröhrchen ebenso korrekt behandeln würden. Rekrut Jaun, nennen Sie den Gegenstand beim richtigen Namen.

      Rekrut: Der… äh… ach ja, das ist der Injektionsstift, den man braucht, um sich gegen chemische Kampfstoffe zu schützen.

      Korporal: Wie heisst's?

      Rekrut: Injektionsstift.

      Korporal (mit demonstrativer Geduld): Wie heisst's?

      Rekrut: Injektionsstift.

      Korporal: Ich habe Ihnen den Befehl gegeben, den Gegenstand richtig zu benennen. Befehle quittiert man mit "verstanden". Also: Nennen Sie den Gegenstand beim richtigen Namen.

      Rekrut: Korporal, Rekrut Jaun, verstanden. Injektionsstift.

      Korporal: Wie heisst's?

      Rekrut: Korporal, Rekrut Jaun, verstanden. Injektionsstift.

      Korporal: Der erste Teil war falsch. Sie brauchen sich jetzt nicht mehr anzumelden. Sie müssen nur noch quittieren und die Antwort geben respektive den Befehl ausführen. Nochmals: Nennen Sie den Gegenstand beim richtigen Namen.

      Rekrut: Verstanden. Injektionsstift.

      Korporal: Erfüllt. Jedenfalls fast. Eigentlich ist das nur ein Übungs-Injektionsstift. Also los, dann suchen Sie ihn. Ausführen.

      Rekrut: Verstanden. (Sucht. Ein paar Minuten verstreichen.)

      Korporal: Rekrut Jaun!

      Rekrut (sieht auf): Ja?

      Korporal: Wie heisst's?

      Rekrut: Bitte?

      Korporal (lauter): Wie heisst's?

      Rekrut (besinnt sich): Hier!

      Korporal: Gut. Denken Sie daran: Auf Anruf eines Vorgesetzten laut und deutlich mit "Hier!" antworten. Haben Sie den Übungs-Injektionsstift gefunden?

      Rekrut: Verstanden. Nein.

      Korporal: Sie sprechen mit mir nicht über Funk. "Verstanden" müssen Sie nur sagen, wenn ich Ihnen einen Befehl erteile, wenn ich Sie in Befehlsform zu einer Antwort auffordere oder wenn ich etwas erkläre. Ich habe Ihnen aber nur eine Frage gestellt. Nicht in Befehls-, sondern in Frageform.

      Rekrut: Ach so.

      Korporal: Wie heisst's?

      Rekrut (zögernd): Verstanden…

      Korporal: Richtig. Schliesslich habe ich Ihnen eben etwas erklärt. Also, Rekrut Jaun, suchen Sie weiter. Sie suchen, bis Sie den Übungs-Injektionsstift gefunden haben. Und wenn es dabei Mitternacht wird. Wir haben Zeit. Viel Zeit. Die Rekrutenschule dauert noch ziemlich genau siebzehn Wochen.

      Rekrut: Verstanden. (Sucht weiter. Wird nach fünf Minuten fündig.) Korporal, Rekrut Jaun.

      Korporal: Hier. Lauter.

      Rekrut: