Hans Herrmann

Halt oder ich scheisse!


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ist so ähnlich wie Volleyball, man spielt sich das Ding hier zu, indem man mit der flachen Hand von unten her draufschlägt", erklärt der Leutnant mit mässiger Begeisterung. Dann teilt er uns in zwei Mannschaften ein und lässt uns im sanften Indiaca-Spiel gegeneinander antreten.

      Der Anpfiff ertönt, und wir beginnen, anmutig um diesen sonderbaren Federvogel herumzuhüpfen und zu -tänzeln. Dazu versuchen wir, ihn mit zaghaften und ungeschickten Schlägen zum Fliegen zu bringen, was uns mehr schlecht als recht gelingt.

      Ein Weiberspiel, denken wir. Fussball wäre jetzt viel schöner.

      "Können wir nicht Fussball spielen?", fragt Rekrut Jaun den Leutnant nach ein paar frustrierenden Minuten.

      "Nein, das ist im Militär leider verboten, das kommt vom Ausbildungschef persönlich", antwortet der Leutnant etwas betreten. Nach ein paar Sekunden, in denen er sich überlegt, wie viel er zu diesem erstaunlichen Verbot noch sagen soll, schiebt er nach: "Fussball ist angeblich zu grob und die Verletzungsgefahr zu gross. Man will wohl nicht zu viele Versicherungsfälle riskieren."

      Uns steht vor Verblüffung der Mund offen. Man befiehlt uns seit Wochen, mit scharfer Munition zu schiessen, auf unwegsamem Gelände herumzuklettern, schwer beladen unsere Wirbelsäulen zu strapazieren, auf der Kampfbahn Kopf und Kragen zu riskieren und nachts mit Pinzgauern im Wald herumzukarren, aber Fussball spielen lässt man uns nicht. Weil der Ausbildungschef der Schweizer Armee dieses Spiel als gefährlich einstuft. Ausgerechnet jener schneidige Korpskommandant, der einmal öffentlich gesagt haben soll, eine Rekrutenschule ohne mindestens einen Toten sei keine gute Rekrutenschule.

      Wie und wo müsste denn dieser der Qualität der militärischen Ausbildung geschuldete Todesfall nach Auffassung des Korpskommandanten erfolgen? Jedenfalls nicht auf dem Fussballfeld, so viel ist jetzt klar. Sondern auf dem Feld der Ehre. Was in einer Rekrutenschule bedeutet: bei einem prosaischen Verkehrsunfall, einem Schiessunfall, einer Genicklandung auf der Kampfbahn oder einem unglücklichen Sturz nach dem Wirtshausbesuch.

      Puh, sind wir froh, für heute nicht die Kampfbahn absolvieren, sondern nur Indiaca spielen zu müssen. Aber halt – ist das nicht eines dieser rituellen Indianerspiele, bei denen die Verlierer einst den Göttern geopfert wurden? Man kann nie vorsichtig genug sein…

      "Leutnant, dürfen wir nicht Rugby spielen? Das ist allemal besser als dieses Indiaca, das keiner von uns beherrscht, wie Sie ja selber sehen."

      "Meinetwegen. Rugby ist zwar gröber als Fussball, aber verboten ist es meines Wissens nicht. Spielen wir also Rugby. Aber seid etwas vorsichtig. Ich will nicht, dass sich jemand verletzt, verstanden? – Moment mal, ich kenne ja die Regeln nicht. Kennt sie jemand von euch? Nein? Hmmm… Was machen wir da bloss? Mal überlegen. Hmmm… Wisst ihr was? Wir spielen doch einfach Fussball. Aber psst – nicht weitersagen!"

      7. Die Sache mit der Gamelle

      Ausgang steht auf dem Tagesbefehl, hurra, was heisst, dass man uns einen freien Abend gewährt. Es türmt sich freilich eine Hürde auf, eine schier unüberwindliche, die es aber trotzdem zu überwinden gilt, so wir Rekruten denn in den Ausgang wollen: Zimmerkontrolle.

      Zimmerkontrolle, das bedeutet: Alles im Schlag dergestalt geputzt und geblitzt und millimetergenau ausgerichtet präsentieren, dass der Feldweibel, ein besonders ungnädiges Exemplar seiner Spezies, sich nach eingehender Besichtigung halbwegs zufrieden zeigen und uns, wenn auch widerstrebend, in den Ausgang entlassen muss.

      Der Helm hat, so gebietet es die vermutlich von einem Zwangsneurotiker ersonnene Zimmerordnung, oben auf dem Spind zu liegen, die Gesichtsseite nach vorn, scharf an der Oberkante des Spinds, flankiert von Schutzmaske (links) und der hartledernen Sanitätstasche (rechts), beide ebenfalls scharf an der Spindkante; der Rucksack links am Bettgestell festgezurrt, rechts davon der Effektensack – selbstverständlich nicht nach eigenem Gutdünken, sondern streng nach vorgeschriebener Verschlaufung der Trag- und Packriemen; das Bett gestrafft und geglättet, mit hingebungsvoll in die korrekte Form gezupften Paketfalten am Kopf- und am Fussende; der Boden saubergeleckt, die Schuhe gewichst, die Kleider gebürstet, die Toiletten geschrubbt, die Korridore ebenso und alle Spinde zu. Im Spind darf Unordnung herrschen, das hat uns der Feldweibel gleich zu Beginn der Rekrutenschule gesagt und hämisch-drohend hinzugefügt: "Aber zu muss er sein, zu; wenn ich eine Tür offen finde und es herrscht drinnen Unordnung, dann nehme ich alles mit, und der, dem die Sachen gehören, muss sie bei mir abholen und kann etwas erleben."

      Das sind keine leeren Drohungen. Wir wissen ein Lied davon zu singen. Es genügt, dass der Feldweibel auf der Klinge eines Sackmessers ein paar Graphitspuren findet, weil der betreffende Rekrut vorher einen Bleistift gespitzt hat – der Fehlbare, der bereits im Ausgehtenue steckt, muss sich umziehen, obwohl das Tenue Blau für diese kleine Verrichtung eigentlich gar nicht nötig ist, und unter Aufsicht des Feldweibels das Messer sauber machen, selbstverständlich nicht bloss einmal, sondern mehrmals, weil der Feldweibel immer wieder noch etwas zu sehen vorgibt.

      Bange warten wir, blank rasiert, gewaschen, geschrubbt, gewienert, gebohnert, frisiert, nach Eau de Toilette duftend, mit korrektem Krawattenknoten und ausgerüstet mit dem "Sackbefehl" (Erkennungsmarke, Verbandpatrone, Nastuch, Sackmesser, Zettel mit militärischen Telefonnummern und ein Stück Schnur, wozu auch immer), auf den Auftritt des Feldweibels.

      Der Gewaltige naht. Er erscheint im Türrahmen.

      "Achtung!", schnappt der Zimmerchef, und wir knallen die Hacken zusammen.

      "Melde Zimmer zur Inspektion bereit!"

      "Jawohl, ruhn, ruhn kommandieren!"

      "Ruhn!", bellt der Zimmerchef.

      Wir gehen in die Ruhnstellung, die mit demütig vor dem Geschlechtsteil gekreuzten Händen auszuführen ist, derweil die Offiziere und höheren Unteroffiziere die Hände herrschaftlich hinter dem Rücken kreuzen dürfen.

      Es ist totenstill im Schlag. Nur die langsamen Schritte des Feldweibels sind auf den ausgetretenen Bodenbrettern zu hören. Er dringt langsam ins Zimmer vor, ein kleiner, bulliger Mann von 22 Jahren, der aber aussieht wie 40. Er hat einen kurz gestutzten, borstigen Blondbart, dicke Lippen, träge, boshafte Augen und einen Direktorenbauch. Er steckt nicht im Tenue Ausgang, sondern im Dienstanzug, womit er augenfällig zu verstehen gibt, dass er nicht geneigt ist, sich wie die Rekruten im Wirtshaus zu vergnügen, sondern strengen Sinnes in der Kaserne zurückbleiben und getreulich seines Amtes walten wird, eines Amtes, das gegebenenfalls auch darin bestehen könnte, unordentliche Rekruten beim Abbüssen einer Putzstrafe zu beaufsichtigen.

      Er nimmt sich Zeit. Er kriecht unter die Betten, wo er nach Staub sucht. Er zieht und zupft an verschiedenen Riemen, um zu prüfen, ob sie auch ordonnanzmässig verschlauft sind. Er starrt in unsere Gesichter, hoffend, irgendwo die Überreste von Stoppeln ausfindig zu machen. Er mustert unser Schuhwerk. Er heisst uns den Sackbefehl vorweisen und inspiziert die Ordnung auf den Spinden.

      Schliesslich begehrt er von jedem die Gamelle zu sehen, jenen blechernen, aussen schwarz gestrichenen, innen blanken, im Querschnitt halbkreisförmigen kleinen Kochtopf mit Deckel.

      Die Betrachtung von Gamellen ist für Feldweibel, die danach dürsten, Strafen zu verhängen, ein ergiebiges Feld. Wenn sich sonstwo für einmal nichts findet – in einer Gamelle findet sich bestimmt etwas. Dieses Ding hat nämlich die Eigenschaft, sich nach Gebrauch, etwa nach dem Braten von Hackfleisch, kaum mehr sauber kriegen zu lassen. Das liegt einerseits an der Form – man kommt an die Stellen, die es am nötigsten hätten, nicht so richtig heran – und andererseits an jenem kleinen rauen Putzlappen, den die Armee an jeden Mann verteilt und der den Anforderungen in keiner Weise genügt. Einer Gamelle ist, wenn überhaupt, nur mit Stahlwolle beizukommen. Solche haben viele von uns zwar privat organisiert, was für blitzblanke Gamellen aber immer noch nicht garantiert. Wenn sich verbranntes Fleisch oder was auch immer ins Blech einfrisst, sind die Spuren nur noch mit einem Schleifstein oder einem Zahnarztbohrer wieder herauszukriegen, Geräte, die uns nun einmal nicht zur Verfügung stehen.

      Wir holen also mit viel Geklapper die Gamellen aus den Rucksäcken und präsentieren sie mit geöffnetem Deckel, damit der Feldweibel hineinschauen kann.