Roma Hansen

bernsteinhell


Скачать книгу

ganze Weile näht sie, bis in die windstille Nacht hinein, viele kleine Ohren den gestrickten Kälbchen an. Auch an ihrer Unruhe denkt sie herum, sinnt und rätselt, doch nichts vertreibt ihr das dröhnende Herzklopfen. Und so arbeitet sie hellwach bis weit nach Mitternacht. Es dringt kein Laut von außen ein und nichts ins Gewirr des Unbekannten, in dem goldene Bernsteine leuchten wie ein ewiger Sommer, und einen Reigen tanzen durch ihre wandernden Gedanken. Auch hinein in die Frage, ob sich etwa ein Wetterwechsel ankündige, der mehr Februarkälte bringt? Oder sollte sie das Feuer schüren und bis zum Morgen weiterarbeiten? Ach, das ewige Wasserschleppen. Was gäbe sie für einen Ofen, der das Waschwasser anwärmt. Ob Ansgar so etwas installieren könnte? Er dient seinem Genius, ihm würde sie gut zureden ... Je früher sie loskomme, um so eher treffe sie ihn.

      So geht es zu in ihrem Gemüt, bis die Morgensonne durch die Konturen im Wäldchen aufsteigt. Ein blauer Schimmer liegt auf der Schneedecke, als Helena an knirschenden Sohlen westwärts eilt. Bald an der Ahlbecker Chaussee dringt Kälte unter ihre Röcke. Durchfroren biegt sie ins Dorf Bansin ein, dessen wenige Katen liegen in den Wiesen seeabgewandt hinter dem Anwesen des Wagners Ansgar.

      Mit der Faust schlägt Helena mehrmals an die Pforte. Kurz darauf und hinter dem Stalltor ertönt eine Antwort. Sogleich scheppern die Torangeln. Ansgar öffnet spaltweit und zieht Helena herein, sichert das Tor mit dem Schieberiegel.

      „Wunderte mich, kein Hufklappern gehört zu haben. Notfälle versauen bloß den Tag. Pressiert es dir mit der Luke?“

      Helena haucht an die Kälte in den Händen. Sie mustert seine graue, schlampige Wolljacke, und riecht den von der klaren Luft getragenen metallischen Geruch, der ihr entgegenschlägt.

      „Die nicht, Ansgar.“

      Er reibt an seiner Kehle, geht aber voraus der leeren Boxen im Stall. In der letzten scheuert sich der Kaltblüter an einem starken Ast, bevor seine Hufe durch die Streu schleifen, er am Gatter schnauft. Flache Klopfer gönnt Ansgar ihm, streift sachte auch über die Nüstern, das weiße Herz an der Stirn.

      „Mein Freund vermisst Kumpel, hört er uns Lüüt. Rike liest schon lange im Ostseebeobachter. Komm weiter zur Werkstatt.“

      Er geht über die Lagertenne. Dort verstauben allerlei Blechstapel, auf die das Dämmerlicht genauso fällt wie auf geformte Gussfüße, die Tatzen ähneln, von Helena entdeckt. Ansgar folgt sie durch eine Tür. Rauchtrüb flirrt es vom Kamin darin und längs der Wände, angefüllt mit einer kreativen Ordnung von Speichenrädern und schmiedeeisernen Radbändern.

      „Schau dich nur weiter um, Helena.“

      Ansgar faltet, angelehnt an den alten Schleifstein, ergeben die Hände. Helena tritt hinzu der mit Zeug behäuften Werkbank, knöpft den Mantel auf, legt ihn ab. Während die wohlige Wärme allmählich die Kälte aus ihren Gliedern treibt, und ihr Blick mehr erfasst, entfährt ihr:

      „Was ist denn das?“

      Abwägend äugt Ansgar zu dem Monstrum, um das herum gebogene Bottichplanken am Boden liegen. Seit der Frühe prickeln fertige Ideen im Nacken. Helena stört seine Schaffensphase.

      „Das wird eine Waschmaschine, aber deswegen kamst du nicht zu mir, sagt mir mein Genius.“

      Ansgar wischt über die Kante, an der Helena lehnt, staubt gelbe, ölige Krümel an ein Hosenbein. Er tippt auf die winzige Kurbel eines Handbohrers, und winkt Helena. Er stellt sich vor ein aufgebocktes Fass mit Kurbel.

      „Bernsteine vom gestrigen Fund liegen darin. Schau zu. Eine Handvoll Sand gebe ich hinein, kurbele sachte. Die Poliertrommel läuft rund wie ein Rad, arbeitet feiner als mein Schleifstein.“

      Oder wie Joos von Hand hinbekam, ergänzt Helena still bei sich, und beobachtet Ansgar einen Hebel kippen, das Fass in ein Sieb auf einem Eimer entleeren, die Bernsteine auffangen.

      „Ich wiederhole es manches Mal , bevor sie mir glatt genug sind. Einzelne Akkurate klemme ich in den Schraubstock und bohre an günstigen Stellen ein Loch für Ketten, um sie aufzufädeln. Es braucht auch eine Menge an Druck, soll die Welle schwingen und damit die Bohrspitze dann wie eine Nadel hindurch gleiten für ein sehr feines Durchzugsloch.“

      Ansgar mustert das Schüttgut, füllt alles zurück. Er nimmt eine Zange vom Werktisch, spielt mit deren Hebeln, wiegt sie und will etwas nachdrücklich betonen. Flugs sieht er in den kalten Morgen hinter dem Hoffenster, schürzt sodann die Lippen.

      „Unsre Bansiner haben ständig Ärger mit den Strandwächtern. Die sind eine Plage wie die Krätze, bedienen sich der Angst der Sammler, nehmen sie in die Zange und bereichern sich, verdienen sonst ja nix. Wer in deren Fänge und Bösartigkeit gerät, muss ein Leben lang Anholen.“

      Helena sieht es bildhaft vor sich. Ansgars rauer Ton sticht ihr ins Herz, dennoch weicht sie nicht aus.

      „Du begibst dich doch auch in Gefahr!“

      Plötzlich schwillt Ansgars Hals. Sein Innerstes erkennt den Weg, ein Ventil. Ansgar schleudert die Zange auf die Werkbank. Es scheppert, Staub flirrt von den präzisen Bauteilen auf.

      „Mir zuckt die Hand, denke ich an diese Kerle! Versteh doch, wie sie sein können! Trifft mich deren allgewaltige gegenwärtige Kontrolle, käme damit das Aus für meine Ideen.“

      Zur Waschmaschine federt sein Blick, an der er weiter mache nach einer Zugabe im Ausreden, um Helena umzustimmen. Er reckt sich, krempelt die Jackenärmel hoch. Doch sacken ihm die Schultern schon ab. Sie wird seine Warnung nicht schätzen.

      „Die Schieber bei der Fähre verraten nicht mich, brauchen mich anderweitig. Verkaufst du dort ein Mal nur, dann wirste ausspioniert, bevor sie dich berauben und verpflichten. Bernstein macht Arme noch ärmer.“ Er reckt eine Hand, wedelt ablehnend. „Solltest den glücklosen Jahren entkommen - die gehen unter die Haut!“

      Helena dreht die Kurbel der sandigen Tonne, hört Bernsteine darin und in ihren Gedanken klackern, und hebt flehend die Hände.

      „Ich schuftete für Zwei und werde das auch für Bernsteine genauso tun! Seit mir Joos fehlt, zerrt der große Lenker oben vorwärts. Gibt es etwas anderes, was mir etwas Besseres schenken könnte?“

      Ansgars Stirn zuckt. Er zieht seine Schlüsse.

      „Joos würde sagen, bist närrisch!“

      „Den lass außen vor!“ Unbeirrt tippt Helena auf die Kurbel. „Magie liegt darin. Und mir eine große Arbeitserleichterung.“

      „Für dich allenfalls, aber zu mir kommt gefährliches Volk.“

      Ein Blitz gnadenvoller Zuversicht steigt in Helenas Sinne.

      „Bau es in meiner Kate auf. Wirst du es erledigen?“

      Seinen Nacken krault Ansgar und erfasst, welche Last von ihm abfällt, trotz des aus gut gemeintem Grund nicht Gesagten. Dann betrachtet er angelegentlich seine Fingerkuppen.

      „Bist gewarnt! Beiß nicht nachher in meine Hand!“

      „Aber nein, keinesfalls! Ich eile jetzt aber noch zu Rike.“

      Mit dem Mantel auf dem Arm geht Helena zur Küche, wo am Tisch Friederike die Ellbogen auf die Zeitung stützt. Knisternde Wärme und der Duft nach frisch Gebackenem umfangen Helena. Ihre Augen richten sich auf den schmalen Kochherd, auf kompakte Eisenfüße.

      „Solche Ofenklappen sah ich bisher nur in Lines Kök, in der Villa Achterkerke. Kannst stolz sein auf deinen taffen Bruder.“

      Friederike nickt bedächtig. Sie zieht ihre Brauen hoch und Helenas Aufmerksamkeit auf den Stuhl neben sich, klopft daran.

      „So früh kommst du? Euer Gemurmel hörte ich schon.“

      Tief geht die Freundschaft, die sie seit Jahren verbindet, macht Helena sich klar, und setzt sich, krumpelt den Mantel im Schoß in ein handliches Bündel. Ihre Stimme gerät ins Flehen.

      „Rike, sei so gut, steh mir bei. Ansgar stellt sich quer! Ich brauche Bernsteinwerkzeuge. Obwohl ich unsicher bin, ob ich Joos’ Geld in den Wind werfe, soll Ansgar meine Geräte bauen.“