Roma Hansen

Sonne satt


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gefüllten Magen. Er lugt unter seinen Wimpern zu Usa, und wähnt den Moment einer Frage höchst unpassend: Von ihrem Kopf ausgehend, tastet ein lichtes Bündel Farbfäden in etwa zu ihm hin. Ein Rausch, unabwendbar, erfasst ihn weich im Bauch, obschon das silbrige Bündel nun gänzlich unsichtbar wird. Es entschwindet, war nur ein Schemen. Befangen in Erregung, sagt Anton innerlich dennoch lautlos: „Oh, schade! Aber wahrnehmen kann ich derlei Schönes also doch noch!“

      In Gänze gestört wird Antons winzige Freude, verbraucht und abgelenkt. Usa steht auf, trägt herbei ein meterbreit mit Stoff bedecktes Bambusrohr, hängt es an einer Schlaufe an einen Ecke am Geschirrschrank. Sie lässt ihre Hand daran und erhält sofort jegliche stille Achtung im Raum.

      „Ihr Lieben, anfangs nannte Leo die Leichtigkeit im Flirt. Was ich euch zeige, passt hervorragend. Schon lange vor diesem Abend begann ich in ebenso langen Nächten dies.“ Einen erregten Moment wartet Usa ab, entrollt ihr Werk auf erdfarbenem Leinen, öffnet anbietend ihre Hand. „Schaut das Patchwork an, den einen Schwarm farbenfroher Schmetterlinge. Unzählige Flügel flattern in den verschiedensten Neigungen.“

      Sprachlose Überraschung antwortet ihr aus allen vier weiten Augenpaaren, als sie kurz in die Runde am Kamin lugt.

      „Du hast es drauf, großartig geworden!“, kommt es zärtlich von Maik. „Eine zweite Kreative wurde uns geboren!“

      „Bedeuten dir Schmetterlinge etwas Besonderes?“, will vom Tisch Margarita wissen. Das Gespräch über ihrem Gärtnermeister erinnernd, winkt sie Leo mit ihrer Gabel.

      Nachdenklich nickt Usa. Ihr Lächeln streift Anton.

      „Robusten Wesen mit Gebrauchsspuren, wie uns, verkünden sie ihre gewisse Magie im wimpernzarten Zickzackkurs. Einem Wahren auf der Spur, der Nahrung der Zukunft, von unbekannter Paarung. Wie ihr seht, haben einige Schmetterlinge zerzauste Flügel, sie wurden von gierigen Eidechsen angefressen.“

      „Verwandle die Schmetterlinge in Faltenfalter, analog uns“, schlägt Leo vor, reckt sich, tippt vor ihren Hals. „In meinem Bauch regten sich vor Jahren Schmetterlinge! Hingegen drapiert sich faltige Haut zusehends an. Trotzdem fliegen wir von Blüte zu Blüte und wünschen uns, auch mit der Alterung noch als schön anerkannt zu werden, was Maik?“

      Ihr zwinkernd, gibt Maik seiner Stimme einen rüden Klang.

      „Den Sex junger verliebter Paare will ich nicht nachmachen, der war damals auch nicht wert, mich darauf zu reduzieren.“

      „Maik! Diese Flamme geht nicht aus! Zwar war ich noch nie auf der jährlichen Berliner Erotikmesse, aber hörte von Fotos auf Kalendern für jene mit Sehnsucht nach der Erotik kommender Jahre. Nach der Freude der Berührung, die vielleicht sogar die Seele der Partnerin berührt, um in den noch neuen körperlichen Bedingungen die Liebe neu kennen zu lernen. Die alte Identität, die einer nur potenten Kraft, ersetzt die aufs Allerfeinste.“

      Leben flirrt über die Runde. Die Korbsessel erknarren. Mit einem Einwand schafft Usa sich Gehör.

      „Leo, vor Jahren begegnete mir die Hawaiianische Heilkunst, und vieles im Yoga. Kundalini steigt doch immer auf, wenn auch im Alter langsamer zu den Schwachstellen, um Daniederliegendes anzuheben, wenn der Input an Lebenserfahrung zu bindend war.“

      Usa hält Leos Blick fest, und senkt ihre Tonlage.

      „Das funktioniert wie ein Zugriff neuzeitlicher Schwingung und leitet aus alten Zellen Ballast aus. Mir bestätigt es sich derzeit, meinen Stil entwickelt zu haben, und darin erfährt das Wissen um uralte Heilkünste keine Entwertung. Ich wünsche mir für die vor mir liegenden Jahre, mir sollte an jeder Wegesecke etwas erotisch aufgeladene Kreativität in Reinkultur winken.“

      Anton reckt sich, sein Hals knittert vor Druck.

      „Leo, unerwünschte Auslöser, Impulse gegen Stagnation, gib anderswo!“

      „Na!“, faucht Leo, fletscht weiß die Zähne, Riffumschiffung vergessend. Schon wippt eine ihrer roten Stiefelspitzen, will Anton stechen. „Ich Kröte tappte in eines deiner Fettnäpfchen!“

      Usa stemmt die Hände an die Pluderhose, und reckt ihr Kinn.

      „Anton, schau, wage den Blick in deine Zukunft, in der gar nichts Unerwünschtes steckt.“ Sie schraubt ihre Stimme tiefer. „Du wirst anfangs überrascht sein, was dir aufleuchtet, darauf kommt es an. Die Phase der Falten abverlangt eine Strategie zum Glücklichsein, von alten Sicherheiten abzulassen, von falscher Orientierung. Weil die letzten Körner in der Sanduhr rieseln!“

      Um Anton eine Denkpause zu verschaffen, reckt sich Lian und ruft, beinahe außer sich:

      „Frei falscher Sicherheit? Du meinst wohl nur den Klang der Luft, den Schmetterlingsschwingen hören lassen!, was Härchen am Arm bei einer leichten Brise antworten! Ich weiß um die Magie der Liebe. Es gibt sie neben allem, was Evolutionsforscher uns versuchen zu beweisen.“

      „Lian, du kommentierst vom kreativem Winkel aus“, knurrt in die Stille hinein am Esstisch Margarita. „Ich eile mit Weile, vormals hieß es, Zeit ist Geld. Deshalb hatte ich es eilig mit der Liebe in der Ehe, an deren Niedergang ich älter wurde. Der Kurs ändert sich, aber wissen will ich, wo er hinführt.“

      „Ja!“, bestätigt Anton, obschon er Margaritas Brummen kaum verstand. „Du und ich bezahlen für emotionale Erpressung nicht mehr mit Herzblut.“

      Anton zornig anfunkelnd, blafft Usa: „Suchst du danach, wie es nicht zu sein hat, hältst du dich an den alten Vorstellungen fest. Anderssein impliziert, Eigenliebe erschafft Glücksräume!“

      „Ja ja!“, funkt Anton zurück. „Du weißt, wie das geht.“

      „Jetzt reicht es!“, wirft Maik ein, „du wirst verletzlich, mach Schluss damit, nimm das Gift raus, Anton, auch du, Usa!“

      Maik rappelt sich hoch, stochert die Kaminglut mit ruppigen Armbewegungen auf, legt ein Scheit vom Stapel daneben hinein. Noch dahin sehend, stößt er aus:

      „Entgegen Streiten wäre vorteilhafter, ihr würdet euch mal wieder liebevoll necken, und euch aushalten!“

      Usa kraust die Brauen. Anderes beschwörend wispert Lian:

      „Liebe Usa, du weißt um den Zauber des Erfolges aus deiner Quelle. Lass Anton gegen den Strom seiner Integration schwimmen und danach fällt ihm seine Vernetzung leichter, und wohlmöglich wird er gestärkt und in sich verständnisvoller.“

      Das Knistern der Kaminflammen übertönend, ruft Leo streng:

      „Wo ich herkomme und hin zurückkehre, da ertrage ich andere Gemeinheiten wie ihr. Anton wird irgendwann klar werden, warum er bockt. Mich ödet das vor mir liegende genauso an, wie Anton oder Margarita das ihrige. Ich halte mich ab jetzt hier still!“

      Anton gelingt es, seine ihm durch Leos Kritik klargewordene Stagnation zu überwinden. Aber nicht allen Missmut, vorgelagert in dunkelster Tiefe. Der drängt zu Leo.

      „Ich höre Dominanzanspruch! Dir gebe ich kein ABO zum Tanz nach deiner Pfeife.“

      Sprungbereit fortzulaufen, rutscht Leo an ihre Sesselkante, nah geht ihr der Vorwurf. Nur piepsen kann sie.

      „Anton, du hast ein mieses bipolares Beziehungsmodel! Nicht zum ersten Mal rührst du herum in dem Topf!“

      „Leo, sei wieder gut!“, unterbricht Lian, da sie ahnt, was sie anhören soll. „Du siehst das und bist ganz richtig, und so lieben wir dich. Sicher willst du nur anregen. Anton begreift das völlig falsch als Autoritätsanspruch, weil ihm sein Packen Vorkommnisse im Leben das seine im Jetzt erschwert.“

      Nun setzt Anton zu Widerspruch an, umfasst die Armlehnen am Sessels hart. Doch, schon im Wenden zum Schrank, knurrt Usa:

      „Hör auf, zügle dich, Anton!“

      Bemüht, betrachtet sie ihr Werk. Weich wird ihr Blick von den nächtlichen Durchgängen in zukunftsweisende Ideen, seit sie die Schmetterlinge fand und mit ihnen flog wie ein zufriedenes, fröhliches Kind. Tief ausatmend, wendet Usa sich in der Runde hingefletzter Grauhaariger