Roma Hansen

Sonne satt


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Klingeln der Glocke am Hauseck nahe der Palisade, unterbricht Lian. Sämtliche Mienen zucken, teils in Neugier, teils als Linderung von der Wursterei.

      „Erwartet ihr jemanden? Ich nicht.“

      Maik geht hinaus. Er trägt einen Brief in der Hand zurück.

      „Es war Jörg, der Nachbar von oberhalb. Er erwähnte, ein Polizist suche bei der ihre Enkel misshandelnden Oma den seit Wochen vermissten Kindsvater. Er weiß definitiv, wegen dessen Sauferei lebe deren Mutter längst in Funchal.“

      Unter buschigen Brauen kaschiert Maik seine Entdeckung der Untat, seinen Aufruhr. Doch keiner soll darauf anspringen. Maik springt in die aufrechte Pose, mit klimpernden hellen Wimpern, die etwas ankündigen, und redet mit voll tönender Stimme.

      „Im Grunde bat Jörg - er plant ein größeres Fest, zu dem er auch Residentes einlädt – bei uns im Gästezimmer seine beiden Söhne unterzubringen. Ich sagte ihm das Wochenende zu.“

      „Was hast du zugesagt?“

      Margarita nähert sich, nimmt den Brief, zieht vor dem Kamin eine Karte hervor. Konfetti rieselt. Verdutzt sieht sie auf den bunten Segen an den Fliesen, kurz dann ans Datum, fettgedruckt in der Kartenmitte. Bitter lächelt sie Maik an.

      „Uh! Dann schläft Leo probeweise oben bei mir. Andere Leute kennen lernen mag ich, habe kaum je anderswo Gelegenheit.“

      Margarita überläuft ein Schauder, der Allen Aufschluss über die dunklen Ränder unter ihren arbeitsmüden Augen gibt. Rundum geht ein Wissen von ihrer Belastung, einig mit Maiks Erlaubnis der Einquartierung. Sie halten es ebenso, nichts kollidiert.

      Mit unbesorgter Miene geht Maik zu Leo, berührt eine Wange.

      „Schatz, dir fallen ja schon die Augen zu. Mach nicht mehr so lange, freu dich aufs frischgebackene Frühstücksbrot.“

      „Ja, habe eine gute Nacht, bis zum nächsten Übungsflirt.“

      Während er in steifem Gang zur Tür geht, lauscht Leo seinen Tritten, sieht dann Lian an.

      „Kommst du mit ins Atelier?“

      Die Korbsessel knarren ihr leises Quietschen, während Anton und Usa auch aufstehen. Sie löschen noch die Kerzenleuchter.

      Verlassen steht Margarita am Kamin. Rasch klemmt sie Jörgs Einladung ans Notizbrett, nimmt ihren Brief. Dann zittern ihre Finger. Eine eng beschriebene Trauerkarte mit schwarzem Rand verschwimmt wie das Glimmen im Kamin vor ihren Tränen.

      6

      Später wartet Margarita, im Bauch den Schock und ihre Erregung, am Balkonpfosten der oberen Treppenstufe auf Vera. Am Horizont des nachtblauen Atlantik markieren Positionslichter ein Boot, über dem, unhörbar im Wind dort, schwarze Wolken anrücken.

      So deutlich schwarz vorn und an der Kehrseite, gleichen sie Margaritas inneren, jenen über dem alten Schluckauf, dem Tango, ihr dramatisch vor Augen. Und doch anerkennt sie, der Wind des Lebens ging über die Bühne. Sie wurde ein neuer Star, trotz des damaligen Konflikts, den sie Vera präsentieren würde. Wenn Vera heimkehrt von den nörgelnden Hotelgästen, noch ahnungslos. Sie kompensiert gewiss alles später mit ihrem Kuchenbacken.

      An der Straße hallt ein Türschlag durch die Nacht, dann das Heulen des Anfahrens. Um die Hausecke kommen Schritte. Dorthin eilt Margarita, ihr Jeanshemd fest um sich ziehend. Vera, noch in Uniform mit Weste, zuckt erschreckt mit den Schultern.

      „Vera, ich finde keine Ruhe, sprich mit mir. Aber“, wispert Margarita, „es würde die Schläfer stören, also im Vorgarten.“

      Vera geht voraus, übersteigt die Randbepflanzung in blanken Lederpumps, lehnt sich dann an einen der acht Weinstöcke, einst ein ganzer Weinberg, die im Herbst zum Naschen einladen. Vera findet den lockeren Stand für die Beine in der Hose, die hier, wie die fernen Wolken, eher schwarz denn dunkelblau erscheint.

      Über Vera steht das Sternenlicht der Milchstraße, mit dem strahlenden Sirius zum Greifen nahe. Nah und fern sind Blätter bestrahlt, einzig Margarita bildet überlaute Schatten.

      „Mein Schwager schickte die Todesanzeige meiner Schwester. Der verstaute alte Konflikt taucht auf.“ Margarita umfasst ihre Ellbogen, presst die Arme an sich. „Damals sollte ich bei ihnen unterkriechen, und mich für sie lang machen. Abfällig beschrieb er, wie mies meine Schwester mein Auswandern fand, er ihr den Verlust verwinden half, sogar in der letzten Stunde. Er bürdet mir seine Trauer auf, seine glühende Asche meiner Wahrheit.“

      Den Redestrom abbrechend, hebt Vera ihren rechten Arm, der kurze Ärmel der zart in Grau gestreiften Bluse weitet sich. Sie verhält in der Geste, spricht dann behutsam.

      „Begegne ihm, trage eine Maske. Du lerntest neu genießen.“

      Spontan klingelt in Margaritas Sinnen die erste Begegnung. Zuvor damals, ging ihre Ehe in der Scheidung unter, und deshalb fuhr Leo mit ihr am Motorrad und per Schiff nach Madeira. Sie trafen auf einander im Lichterschein eines Folklorefestivals am Strand. Ältere Gruppentänzer stampften ihre Schritte, strahlten aus ehrwürdigen Gesichtern und sangen kehlig. Dies bestaunten wortreich die deutschen Stimmen von Vera und Usa, Maik und dem Gärtnermeister, die grauen Wölfe, Wanderer durch die Welt der kleinwüchsigen Insulaner. Schön verrückt war der Moment, hatte den Reiz, ihnen das JA zu geben, mit Neubeginn vor Augen. Und Veras letztem Satz: An steilen Küsten ins Meer zu schauen, das schenkt Klarheit und Freude, sonst vergeht das Lachen.

      Das ferne Damals tönt Margaritas Miene weich. Ihr Jeanshemd glättend, hebt und legt sie eine Hand an Veras Arm.

      „Keine Maske präsentiere ich dem Schwager. Allem Neuen geht Zerstörung voraus, stutzen und pfropfen am Tor des Abschieds in den nächsten Lebensteil.“ Vera brummt wenig zustimmend, dem sie rasch widerspricht. „Ja doch, weil an meiner Sichel alle Zacken blank blinken und weil sein Unglück seinem Glück aufhilft!“

      Vera unterbricht sie ernst redend. „Früher hatte ich eine Phantasie von Daniel Düsentriebs Propeller am Rücken, und damit startete ich senkrecht ins Heitere. Hier lächeln allzeit viele Gesichter. Zu dem erkannte ich im Gästerummel, wer ein Lächeln kaufen will, muss Schmetterbälle bei sich behalten. Allerdings kann niemand geben, was er sich verweigert. Wie dein Schwager. Ohne Bereitschaft geht er leer aus.“

      Margarita tippt ihr zärtlich mit einem Finger an die Brust.

      „Begegnete dir schon Einer zum Anfassen, einer mit Herz und ohne Schwere? Oder liegt das sehr fern deiner Realität?“

      Margarita lächelt wie aufgeladen. Veras Augen changieren in dumpfes Grün, ihre Stimme fällt ab in nachsichtige Milde.

      „Kein Thema. Für deine Angelegenheit fliege mit Leo. Habe mit ihr nebenher etwas Spaß.“

      Den Kopf zur Seite geneigt, nimmt Vera Margaritas Hände in ihre. Warm sind sie und stimmen Margarita ein, und sie bemerkt das kräftige Prickeln darin sofort.

      „Vibrieren deine Hände? Trägst du zu viel Verantwortung?“

      Vera kreuzt die Arme, steckt die Hände unter die Achseln.

      „Momentan, ja. Ein ganz Spezieller macht optisch Krach, für Beachtung um den Preis meiner Zeit. Wie eine Landplage belauert er die Abendgäste an der Bar. Er wohnt nicht im Hotel.“

      „Ein Heckenreiter geht mit Belagerung hausieren?“

      „Eher der Ritter von der traurigen Gestalt.“

      „Don Quichotte hatte einen Knecht auf störrischem Esel.“

      „Oh! Spanisch kommt er mir vor, der kuriose Typ. Selbst der Boss fertigt hastig Herrn Carel ab, tippt sich an die Stirn. So einer kehrt immer zum Mutterschiff zurück, lechzt nach uns.“

      Vera hält inne, verscheucht Carel als irreal. Statt seiner erregt sie eine brisantere Ursache. Die Finger in ihren Achseln entlassen das Zittern. Aus schmalen Augen und mit klarer Stimme vertraut sie Margarita an:

      „Jäger