Roma Hansen

Sonne satt


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entschuldigt sich abwehrend winkend mit: „Desculpe, desculpe!“

      Der Dürre runzelt die Brauen. Sein Verständnis des Fremden reicht noch für verstockte Gleichgültigkeit. Er schwingt den vollen Wasserkanister an die Schulter, seine andere Hand greift um den Stab. Wortlos humpelt er fort.

      Wieder allein, schwirren wilde Bienen über dem Plätschern der Quelle. Mittagsschläfrigkeit überkommt Anton in der dünnen Höhenluft. Heute kreuzen keine Mittagswolken vor die Sonne, und kein Passatwind weht. Anton sucht sich am Felsen neben Usa eine Kuhle, legt einen Arm unter seinen Kopf.

      Was wäre das für ein Bild!, denkt er, schlummert ein, atmet im Auf und Ab des weißen Tshirts.

      Usa fühlt sich ein. Nichts begrenzen, mahnt sie sich, auch nicht den Lauf der Sonne über Anton, falls Buddha vortritt, den großen Plan aufklärt, mehr als beim Windrad. Mit Buddhas Fülle mag sie jetzt um nichts in der Welt schwatzen, es könnte ihrer Quelle Glucksen überlagern. Nur wenn nötig, soll Er anklopfen. Selig ruht Anton und sein irgendwann Anklopfen, obschon sie bei ihm liegt, augenblicklich achtsam.

      Anton schmatzt, dann reißt ihn ein Zucken am ganzen Körper aus dem Schlaf. Usas Augen sieht er glitzern, er räkelt den Arm unterm Kopf hervor, streift flüchtig über ihr Haar. Nach diesem Moment, in dem er sich noch einmal verinnerlicht, klingt seine Stimme zielstrebig.

      „War ich tief weg. Jetzt, meine Liebe, begutachten wir, was der Alte erzählte.“

      Er klettert vom Felsen, schultert den Henkel des Korbes am bergaufführenden Weg. Bevor er daran verschwindet, rutscht Usa an ihrem Po am Fels herab, und ruft Anton nach:

      „Ich finde, die Hochebene vermittelt etwas ganz anderes als beim Unwetter damals!“

      Er erwartet sie stehen geblieben und umhersehend.

      „An sonniger Luft duften die Gräser deutlicher. Vereinzelte Besenheidebüsche gedeihen in Überlebensformen, von Weidetieren bizarr abgefressen.“

      Usa reagiert heftig nickend, wenngleich er sie nur in dem versteht, was ihm direkt vor den Füßen liegt. Nun ja, auch sie sieht die rundgefressenen Büsche. Abschweifend der Talflanke, ist ihr anderes offensichtlicher. Ihre Nase wölbt sie wie ein schnüffelndes Bergkaninchen in die Luft.

      „Würzgerüche vermengen sich wie nirgendwo sonst mit Dünsten von steiniger Erde. Mein Geist will sie riechen!“

      „Magst dich losreißen?“, brummt Anton kühl, schlenkert den Korb in ihr Blickfeld. „Weiter! Oberhalb wächst mehr!“

      Sie gehen eine Weile schrittgleich hintereinander. Längst bereut Anton seinen brüsken Ton. Er erträgt Usas Stille kaum. Die erinnert zu arg an sein im Schlaf Geträumtes. An dem haftet eher stumme Beunruhigung denn stilles Schweigen.

      Ein Steinchen am Pfad kickt Anton ins Gebüsch, und flüchtet zu Unverfänglichem und in eine warmherzige Stimmlage.

      „Was bedeutet dir der Sommer?“

      Usa atmet tief ein, um bald neu in sich zu ruhen, und auch in ihren Wechselblicken gen Antons graugesprenkeltes Nackenhaar vor sich. Der Übergang zu seiner Haut am Hals vermittelte ihr zuvor die sehr seltsame Empfindung, er stemme dort ein Gewicht. Gehend am Weg, lugt sie an ihre zwei leicht schlenkernden Arme.

      „Nun, Sommer heißt für mich, bis Dezember Sonne satt!, und zauberhaft goldiges Haar an der tief gebräunten Haut der Arme. Der Sonne zu trauen, trägt mich durch die kühleren Monate wie ein Sinnbild fürs Paradies, und für überschwappende Freude, ein offenes Herz, leichte Gedanken! Nie kriege ich den Hals zu voll davon, obgleich ich, seit ich in der Quinta lebe, Stille bei jeder Gelegenheit mag! Verdirb sie nicht mit latentem Druck.“

      „Retourkutsche für meinen barschen Ton vorhin? Okay!“

      Anton legt einen Schritt zu, enteilt ihr. Usa aber folgt, spontan und neugierig, einem Weg zu einem verfallenen Gemäuer. Versteckt liegen brandschwarze, von Gras überwucherte Steine. Nahebei steht ein kurzer Nadelbaum mit brauner Rinde, und fast waagerechten Zweigen. Winzige Früchte hängen daran, von einer Kletterranke bedeckt, deren Triebe spitze, lederartig glänzende Blätter tragen, wie Mäusedorn. Die Augen beschattend, geht Usa darauf zu, um an den Beeren zu erkennen, worum es sich handelt.

      Knall auf Fall fängt eine aufragende Wurzel eine Sandale. Armwedelnd stolpernd, richtet sich Usa keuchend auf. An ihrem Beinahesturz erkennt sie, für ihre Erdung absolut ihre Füße zu brauchen, niemals der Neugier blindlings zu folgen, schwebe sie auch zu gern und reich an Hingabe zu Anregungen luftiger Höhen.

      Usa hört Anton beruhigend brummen. Ihr nachfolgend hebt er seine Sandale spielend über die verflixte Wurzel.

      „Dich brachte der Zedernwacholder aus dem Tritt? Der wurde selten im felsigen Umland, durch Abholzung stark dezimiert, wie das Deckenschnitzwerk der Kathedrale in Funchal nahe legt. Doch hilft sein Duft sehr gut gegen Motten.“

      „Auch gegen Motten an Erdhaftung? Dann pflücke ich etwas!“

      Die Füße theatralisch hebend, beendet Usa ihren Weg, knickt ein Zweiglein ab, zerreibt die Nadeln in der Hand, schnuppert am harzigen Aroma, und kehrt leicht benommen zu Anton zurück.

      Ihr hält er den Korb mit pelzigen Blättern entgegen.

      „Sieh, haariger Beinwell, der soll in meine Kräutermischung hinein. Demnächst grabe ich die zugehörigen Wurzeln aus.“

      Er wendet sich zu einem kläglich vegetierenden Rizinus mit dunkelroten Fingerblättern. Dort führt unterhalb der Hütte ein schmaler Pfad abwärts. Dem folgt Anton, seinem hinkenden Gang verfallen, und, nach einem langsamen Rundblick, auch Usa.

      „Wir graben den dann aber gemeinsam aus!“, ruft sie, im Ton für diesen Tag voll an neuen Eindrücke, und in ihrer leichten Benommenheit aus dem Zedernöl. Den Zweig in die Bluse steckend, ergänzt sie im Nähern: „Anton, würzige Aromen regen mir Freude an und im Kopf Leichtigkeit. Überdies finden meine Beine hier über alle Maßen mehr Bodenhaftung.“

      „Fahren wir öfter, wäre keine Zeit für ...“ Anton hebt eine Hand und gluckst: „Da wäre fast in der alten Spur gelandet, im perfekten Plan meiner Idee. Ich hetze sogar dich. Vielmehr geht es mir, hier oben wo niemand geht, um Alleinsein. Hier bin ich, nun ja, auch uns und dir sehr nahe.“

      Er neigt den Kopf, schaut von unten herauf Usa an mit einem Blinzeln treuherziger Wimpernschläge. Er öffnet die Arme. Schon schlägt der Korb an Usas Bauch. Auch die Wärme aus Antons Mitte und, zeitgleich damit, sein obligatorisches Zwicken aus seinem Beziehungsverhalten. Und das liegt ihm auch im Gesicht, mit dem er in die Luft weit neben Usa äugt. Offenbar verlegen.

      „Wir sind uns einig“, japst Usa, und streichelt beidhändig Antons Arme, seine Mimik erforschend. Sein Kinn sinkt herab, im

      Eingeständnis von Rumoren, bei dem Usa erinnert, wie oft er in die Hügel pilgert, und ihr einst bekannte: Nie wieder wolle er neben sich stehen und einen Unfall verursachen. Sein Bein trug ihn in Abstinenz vom Trinken aus Genuss, geringfügiger machte es ihn weniger abhängig von unmäßigem Jobben. Doch keinesfalls frei von Selbstmitleid, obgleich diese Unart die liebenswerten Menschen vertreibe, obenauf ihm seinen eigenen festen Willen unzugänglich halte. Ab und an empfinde er so, begierig danach.

      Usa spürt, er senkt die Arme kraftleer. Fehl ging ihr Schub Bindeenergie. Zugleich rückt Anton das, was zuvor seinen Nacken belastete, scheinbar finster in die Miene, nun umwölkt vor der Weite des Himmels über den Bergeshöhen.

      Anton überrascht sein Leben als der Knirps, dessen Mutter schluckte, und seine Ohnmacht, weil er zu spät kam. Tuschelnde Nachbarn hoben die Hände. Ein Wagen hatte seine hart torkelnde Mutter umgerissen. Nie wieder wollte er von anderen bemitleidet werden: So Eine, der arme Bub! Seine Oma nahm ihn auf, erlebte nicht mehr, wie erfolgreich er wurde, verbissen jobbte. Deshalb war eines Nachts der Unfall mit dem schlafenden Fahrer genauso unabwendbar wie die Alleebäume, vor die sie schleuderten. Beide Wagen Totalschaden, ursächlich wurden beiden Fahrern hohe Pegel diagnostiziert. Danach lernten sie miteinander das Hinken und Überdenken, ob es das wert war.

      All das durchrüttelt Anton