in der Mitte der Innenstadt. Leon lehnte leicht gegen den Beton und sah mich mit vor der Brust verschränkten Armen an. Ich wusste, dass er ein Freund von mir war, dennoch blieb die Angst, dass er sich eines Tages gegen mich stellen würde, präsent. Vor allem wenn er so ablehnend wie jetzt dastand.
„Ja, tut mir Leid. Die Polizei war wieder bei mir.“ Ich seufzte schwer und umarmte Alex kurz zur Begrüßen, bevor ich Leon zunickte. Er lächelte kurz und erwiderte die schlichte Begrüßung, bevor Alex wieder meine Aufmerksamkeit forderte. „Echt? Können sie dich nicht bald mal in Ruhe lassen? Sie waren jetzt schon dreimal da. Was hoffen sie denn, zu finden?“
„Einen Beweis für meine Schuld“, beantwortete ich ihm die Frage und er sah mich entsetzt an, bevor er dann schon aufbrauste: „Deine Schuld?! Du bist nicht schuldig! Marc kann das doch bezeugen! Wieso solltest du?! Warum?! Wie kommen die auf den Blödsinn?!“
Ich musste wieder auflachen und Leon legte Alex beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Sie werden nichts finden, wenn Felix unschuldig ist. Da können sie noch so lange bohren, wie sie wollen. Wo kein Öl ist, kann man auch keines finden.“
Wie gerne würde ich die Ansicht von Leon teilen, doch ich hatte Angst, dass doch plötzlich ein Beweis auftauchte. So rein zufällig. Ich schüttelte den Kopf. Nein, so durfte ich nicht denken. Das war totaler Blödsinn. Die Polizei arbeitete fair und es war nun einmal Selbstmord. Da führte kein Weg dran vorbei.
„Haben sie Marc nicht befragt?“, durchbrach die Stimme von Alex wieder die Stille und ich schüttelte kurz den Kopf, bevor ich meine Schultern hängen ließ. „Er ist seit dem Todestag von Robert wie vom Erdboden verschluckt. Ich kann ihn auch nicht erreichen. Derweil könnte ich ihn jetzt wirklich gebrauchen. Hab' ich mich in ihm getäuscht?“
Ich sah meine beiden Freunde flehend an. Leon zuckte nur mit den Schultern und Alex’ Augen füllten sich mit Mitleid, bevor er zu mir trat und mir durchs Haar wuschelte. „Ich hab ihn nur einmal gesehen und er wirkte durchaus in Ordnung. Vielleicht ist er gerade beschäftigt. Bestimmt wird er sich wieder bei dir melden.“
Wie gerne hätte ich diese Worte geglaubt, doch allein die Tatsache, dass nicht einmal die Polizisten ihn fanden, ließ mich an ihnen zweifeln. Es war doch nicht möglich, dass er einfach so verschwand. Was versprach er sich davon? Das machte alles keinen Sinn.
„Marc war dabei gewesen, oder?“, fragte plötzlich Leon und ich sah ihn irritiert an, bevor ich dann zögerlich nickte und das Lächeln auf den Lippen des gutmütigen Riesen wurde eine Spur wärmer. „Dann ist es kein Wunder. Auch er ist Zeuge eines Selbstmords geworden. Wahrscheinlich sucht er nur einen Weg, wie er damit fertig werden kann. Jeder hat seine eigene Methode, mit schwierigen Situationen zurechtzukommen. Der Eine redet darüber mit Leuten, denen er vertraut, so wie du Felix und die Anderen schweigen und versuchen, es mit sich selbst auszumachen. Dabei verkriechen sie sich meist und sperren die Welt aus. Vielleicht zählt Marc zu dieser Sorte Mensch.“
Die Worte von Leon machten durchaus Sinn. Marc sprach nicht gern über seine Probleme. Selbst die Qualen seiner Vergangenheit gab er nur sehr schwer preis, dennoch waren wir ein Paar. Er sollte mir vertrauen, oder nicht?
„Na ja, irgendwann wird er schon wieder auftauchen. Ansonsten gibt es hier draußen noch viele weitere schöne Kerle.“ Alex legte einen Arm um meine Schultern und drehte mich dann zu der vorbeilaufenden Menschenmenge, wobei er auf den einen oder anderen Jungen deutete. „Wie diesen hier oder den da. Du musst dich nicht nur an einen binden. Schließlich bist du noch jung.“
Ich sah Alex irritiert an und legte dann eine Hand auf seine Stirn. Nein, Fieber hatte er definitiv nicht. Also schien er zumindest ansatzweise bei Verstand zu sein, dennoch konnte ich seine Worte nicht glauben. Das entsprach ihm gar nicht.
„Aber ich liebe weder den einen noch den anderen sondern Marc. Irgendwann wird er sich bestimmt bei mir melden. Bis dahin werde ich auf ihn warten. Vielleicht kann er mir dann auch erzählen, was in seinem Kopf vorging, dass er sich, ohne ein Wort zu sagen, einfach verpisst hat.“
Leon lachte auf und wuschelte mir durch die Haare bevor er sich dann vom Brunnen abstieß und auf die Geschäfte zusteuerte. „Das kleine Hündchen kann ja durchaus bissig werden. Wie süß. Aber jetzt kommt endlich. Wir wollten ein wenig shoppen gehen. Filme für den Abend besorgen und Knabbersachen. Oder habt ihr schon Wurzeln geschlagen, sodass ich euch gewaltsam aus der Erde reißen muss?“
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen und wandte mich dann zu ihm um. Alex brauchte ein paar Sekunden länger, um uns zu folgen, doch auch er schloss mit einem leichten Lachen zu uns auf. „Dass du so grob wärst, uns einfach unsere wertvollen Wurzeln auszureißen, hätte ich jetzt nicht gedacht.“
„Scheinbar musst du auch noch das ein oder andere über mich lernen, Alex. Alleine einkaufen macht einfach keinen Spaß und erst Recht kein einsamer Filmeabend. Darum müsst ihr mitkommen, ob ihr nun wollt oder nicht. Ich könnte mir zwar neue Teilnehmer suchen, aber euch hab ich schon so gut erzogen. Das wäre einfach zu viel Aufwand.“
„Oh, wie gnädig, dass du uns bei dir wähnst nur der Faulheit wegen. Da können wir uns ja beruhigen. Ich wusste gar nicht, dass du so träge bist. Sieht man dir gar nicht an.“ Alex stupste Leon frech in die Seite und dieser grummelte dann dunkel.
„Erziehung ist lästig. Das hebe ich mir für meine Kinder auf und muss es definitiv nicht öfters als nötig machen. Bei euch zwei hat es mir schon gereicht und deswegen werde ich nun versuchen so viel Nutzen wie möglich daraus zuziehen.“
„Du hast uns erzogen?“ Alex lachte erneut auf und ich musste ebenfalls lächeln. Die Zwei waren einfach angenehm zusammen. Man merkte, dass sie einander wirklich schätzten. Das war etwas, was ich mit der Zeit richtig zu würdigen lernte.
„Ja, hab ich.“ „Nein, hast du nicht. Ich habe dich erzogen. Vor mir warst du ein kleines Weichei. Schon vergessen?“ „Ist gar nicht wahr! Ich war nur nicht so stark wie jetzt, aber ich habe mich gebessert. Du dagegen bist immer noch so schwach wie damals. Wer ist hier also das Weichei?“ „Ähm… du?“ „Alex!“ Der Genannte begann darauf lautstark zu lachen. Der Blick von Leon war auch gerade mehr als göttlich. Mit so einem Konter hatte er wohl nicht gerechnet.
Auch wenn er gerade ein wenig perplex drein sah, legte sich im nächsten Moment ein Lächeln auf seine Lippen und wir begannen schließlich unsere Einkaufstour. Am Abend wollten wir uns dann bei Leon treffen, weil seine Eltern gerade nicht da waren und wir dadurch in Ruhe ein paar Filme schauen konnten. Die Zwei hatten in den letzten zwei Wochen alles getan, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Meistens schafften sie es auch, doch in solchen Momenten, wo sie nur miteinander beschäftigt waren, kam sein Lächeln zurück. Wie es verschwand und mich beschlich das Gefühl, dass eine eiskalte, nasse Hand an meinem Bein empor glitt.
Robert war tot. In einer Woche würde man ihn beerdigen. Einen leeren Sarg. Lächerlich. Aber die Hinterbliebenen brauchten einen Ort, an dem sie sich ihm nahe fühlen konnten. Das Kreuz am Fluss wurde schon in der ersten Woche aufgestellt. Niemand glaubte daran, dass er noch lebte.
Ich schluckte trocken und starrte auf die Rücken der Beiden, wie sie vor mir durch die Reihen gingen. Sie sahen einander an und ich fühlte mich alleine. Ich wusste nicht einmal woher diese Empfindung kam, doch sie wirkten so perfekt. Ihre Leben wurden nicht getrübt und sie konnten lachen. Einfach nur aus tiefsten Herzen lachen.
Ich stoppte und spürte, wie meine Hände zu zittern begannen, worauf ich sie ineinander krallte. So gut wie es zumindest mit dem Verband ging. Sie waren mittlerweile bei den Filmen angekommen und ich verspürte kurz den Drang zu gehen, als ihre Unterhaltung stoppte und sich Alex zu mir wandte. Er sah mich fragend an, bevor er dann kurz lächelte und mich zu sich winkte. „Felix? Was stehst du da rum? Komm her und schau dich um. Wir haben sogar schon den ein oder anderen gefunden. Lies sie dir mal durch und sag uns, was du davon hältst.“
Ein Stein fiel von meinem Herzen, als auch Leon mir zulächelte und ich bewegte mich ruhig auf sie zu. Ja, vielleicht schienen sie zu zweit perfekt, doch auch wenn ich es gerne vergaß, hatten sie noch einen Platz für mich in ihrer Mitte, den sie mir bereitwillig zur Verfügung stellten. Ihr Lächeln galt auch mir und ihre