Lewis Wallace

Ben Hur


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in die Sättel, ließen sich den Weg nach dem Joppe-Tore zeigen und ritten fort. Als sie auf die Ebene von Rephaim gelangten, erschien am Himmel ein Licht, zuerst unbestimmt und matt. Ihre Herzen pochten schneller. Das Licht nahm rasch an Stärke zu, und schließlich sahen sie wieder den Stern. Er stand ganz niedrig am Himmel und ging langsam vor ihnen her. Sie falteten die Hände und stießen im Übermaß der Freude einen Schrei aus.

      »Gott ist mit uns! Gott ist mit uns!« jubelten sie und folgten dem Stern, bis er über einem abgelegenen Stalle in der Nähe von Bethlehem stille stand.

      Eben begann die dritte Nachtwache. Im Osten dämmerte bereits über den Bergen der Morgen, aber so schwach, daß es im Tale noch Nacht war. Der Wächter auf dem Dache der Herberge lauschte, von Kälte durchschauert, sehnsüchtig den ersten vernehmbaren Lauten, womit das erwachende Leben den anbrechenden Tag begrüßt, als ein Licht den Berg heraufschimmerte und dem Hause sich näherte. Er hielt es erst für eine Fackel in der Hand eines nächtlichen Wanderers, dann meinte er, ein Meteor zu sehen. Der Glanz des Lichtes nahm aber immer zu, bis er sah, daß es ein Stern war. Aufs höchste erschreckt, schrie er auf und weckte dadurch alle Leute, die im Khan schliefen, sie eilten auf das Dach.

      Die Erscheinung kam immer näher. Die Felsen, die Bäume und die Straße waren hell erleuchtet, und das Licht wurde so blendend, daß man die Augen hinwegwenden mußte. Einige unter den Zuschauern fielen auf die Knie nieder, verhüllten ihr Angesicht und beteten. Wer nach dem Stern zu schauen wagte, sah ihn gerade über dem Hause vor der Höhle, wo das Kind geboren wurde, stillstehn.

      Als das Licht am stärksten strahlte, langten die Weisen bei der Herberge an. Vor dem Tore stiegen sie von den Kamelen und begehrten laut Einlaß. Erst nach einiger Zeit hatte der Wächter sich so weit von seinem Schrecken erholt, daß er ihrem Rufe Folge leisten konnte, er stieg hinab, schob den Riegel zurück und öffnete ihnen. Die Kamele erschienen in dem wunderbaren Lichte wie geisterhaft; das Fremdländische an den drei Besuchern, ihr ungestümer Eifer und ihre Begeisterung, die sich auf ihren Gesichtern wie an ihrem ganzen Wesen zeigten, mußten die Furcht und die Phantasie des Wächters noch mehr erregen. Er taumelte zurück und konnte eine Zeitlang die an ihn gestellten Fragen nicht beantworten.

      »Ist dies nicht Bethlehem in Judäa?«

      Es traten auch andere hinzu und ihre Gegenwart gab ihm wieder Mut.

      »Nein, dies ist nur die Herberge; die Stadt liegt weiter drüben.« »Befindet sich hier nicht ein neugebornes Kind?«

      Die Nebenstehenden blickten einander verwundert an, einige aber antworteten: »Ja, ja!«

      »Führt uns zu ihm!« rief Balthasar, »denn wir haben seinen Stern gesehen, den nämlichen, den ihr dort über dem Hause seht, und sind gekommen, ihn anzubeten.«

      Die Leute auf dem Dache stiegen herab und folgten den Fremden, als sie jetzt über den Hof und in die Einfriedung hinausgeführt wurden. Als die Fremden sich dem Hause näherten, erhob sich der Stern, als sie an der Tür waren, schwebte er erblassend hoch über ihnen, und als sie eintraten, entschwand er vollends dem Gesichtskreis. Alle Zuschauer begriffen, daß zwischen dem Sterne und den Fremden ein innerer Zusammenhang waltete, der sich auch auf die Bewohner der Höhle erstreckte. Als die Tür geöffnet ward, drängten sie sich hinein.

      Der Raum, den sie betraten, war so weit von einer Laterne erleuchtet, daß es den Fremden möglich war, die Mutter und das Kind, das wach in ihren Armen lag, zu sehen.

      »Ist das dein Kind?« fragte Balthasar Maria.

      Und sie, die alles, was irgendwie das Kind betraf, in ihrem Herzen bewahrte und erwog, hielt es gegen das Licht und sprach: »Dies ist mein Sohn!«

      Und sie fielen nieder und beteten ihn an.

      Wie sie sahen, glich das Kind anderen Kindern, sein Haupt schmückte weder ein Glorienschein noch eine irdische Krone. Seine Lippen öffneten sich nicht zur Rede, wenn es auch ihre Freudenrufe, ihre Lobpreisungen und Gebete hörte, es gab doch kein Zeichen davon, sondern blickte nach Kindesart länger nach dem Lichte als nach ihnen.

      Nach einiger Zeit erhoben sie sich und gingen zu den Kamelen. Dann kamen sie wieder mit Geschenken, Gold, Weihrauch und Myrrhen, und legten sie unter ehrfurchtsvollen Reden und Gebeten dem Kinde zu Füßen. Dies war also der Erlöser, den zu suchen sie aus weiter Ferne gekommen waren! Und sie beteten ihn an ohne irgendwelchen Zweifel im Herzen.

      Ihr Glaube gründete sich auf die Zeichen, die ihnen derjenige gesandt hatte, den auch wir als unsern Vater erkennen. Seine Verheißungen genügten ihnen so vollständig, daß sie nicht nach feinen Mitteln und Wegen fragten. Wenige waren es, welche die Zeichen gesehen und die Verheißungen gehört hatten: die Mutter und Josef, die Hirten und die drei Weisen, und sie alle glaubten in gleicher Weise.

      Sechstes Kapitel

      Wir übergehen nun die folgenden einundzwanzig Jahre und versetzen uns in den Beginn der Verwaltung des Valerius Gratus, des vierten kaiserlichen Statthalters oder Landpflegers von Judäa. Während dieser Zeit hatten in dem Lande große Veränderungen stattgefunden. Herodes der Große war innerhalb eines Jahres nach der Geburt des Kindes gestorben, und zwar in einer so elenden Weise, daß die christliche Welt nicht ganz mit Unrecht behauptet, er sei vom göttlichen Zorne getroffen worden. Wie alle Herrscher, die nur auf Verstärkung ihrer Macht bedacht sind, träumte er davon, Krone und Reich zu vererben, eine Dynastie zu gründen. In dieser Absicht verfügte er testamentarisch, daß sein Land unter seine drei Söhne Antipas, Philipp und Archelaus geteilt werden, der Königstitel aber auf letzteren übergehen sollte.

      Der Kaiser Augustus bestätigte auch dieses Testament, doch sollte der Königstitel dem Archelaus so lange vorenthalten bleiben, bis er Beweise seiner Befähigung und loyalen Gesinnung erbracht haben würde. Dafür aber wurde er zum Ethnarchen ernannt. Als solcher führte er neun Jahre hindurch die Regierung, wurde aber dann wegen schlechter Verwaltung und Unfähigkeit abgesetzt und in Gallien in die Verbannung geschickt.

      Judäa wurde nun eine römische Provinz und zur Präfektur Syrien geschlagen. Auch war nicht länger Jerusalem der Sitz der Regierung, sondern Cäsarea. Alles dies kränkte das Selbstgefühl der Juden sehr, und sie hatten nur den einen Trost, daß der Hohepriester im herodianischen Palast wohnte und dort wenigstens den Schein einer Herrschergewalt ausübte. Aber die Entscheidung über Leben und Tod war dem Landpfleger vorbehalten. Die gerichtlichen Verhandlungen wurden im Namen Roms und nach römischen Gesetzen geführt. Zudem war im königlichen Palast auch die kaiserliche Steuerbehörde mit ihrem Heer von Beamten, Unterbeamten, Schreibern, Einnehmern, Denunzianten und Spähern untergebracht. Und doch fanden die Juden in ihren Träumen von Freiheit und Selbständigkeit eine gewisse Genugtuung in dem Umstände, daß der oberste Beamte im Palast ein Jude war. Seine bloße tägliche Gegenwart daselbst erinnerte sie an die Verheißungen der Propheten, an den Bund Jehovahs mit seinem Volke und an die Zeiten, da er durch die Söhne Aarons die zwölf Stämme regierte. Es galt ihnen als sicheres Zeichen, daß Jehovah sie nicht verlassen habe.

      Auf diese Weise nährten sie ihre Hoffnung und warteten in Geduld, bis der Löwe aus dem Stamme Juda kommen und Israel regieren werde.

      Mehr als achtzig Jahre lang war Judäa eine römische Provinz gewesen, und die Römer waren zur Überzeugung gelangt, daß dieses Volk leicht zu regieren sei, wenn man nur seine Religion achte. Dementsprechend hatten sich die Vorgänger des Gratus jeder Einmengung in die religiösen Gebräuche ihrer Untertanen gewissenhaft enthalten. Dieser aber schlug einen andern Weg ein, und seine erste Regierungshandlung war die Absetzung des Hohenpriesters Annas, an dessen Stelle er den Ismael, den Sohn des Fabus, fetzte. Um diese Zeit gab es in Judäa eine Partei der Vornehmen und eine Volkspartei, die eine Zeitlang gemeinsam gegen Archelaus gekämpft hatten, dann sich aber immer mehr gegeneinander wandten. Die Vornehmen haßten den Hohenpriester Joazar, die Volkspartei hing ihm mit Eifer an. Als der von Herodes zum Thronfolger bestimmte Archelaus unterlag, teilte Joazar seinen Fall, an seine Stelle wurde von den Vornehmen Annas, der Sohn Seths, zum Hohenpriester erwählt. Dadurch wurde der Gegensatz zwischen beiden Parteien zu erbitterter Feindschaft verschärft. Die Vornehmen waren zwar nach Archelaus' Fall in der Minderheit, aber sie wußten sich doch fünfzehn Jahre, nämlich bis zur