Lewis Wallace

Ben Hur


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      »Aber die Herden!«

      »Der Herr wird sie in seine Obhut nehmen. Beeilen wir uns!«

      Sie standen alle auf und verließen die Hürde. Sie gingen um den Berg herum und sodann durch die Stadt der Herberge zu. Am Tor angelangt, wurden sie vom Wächter angehalten.

      »Was wünschet ihr?« fragte er.

      »Wir haben heute nacht wunderbare Dinge gesehen und gehört,« antworteten sie.

      »Nun, auch wir haben etwas Merkwürdiges gesehen, gehört aber nichts. Was habt ihr gehört?«

      »Gehn wir zuerst zur Höhle in der Einfriedigung, um Gewißheit zu erlangen. Der Messias ist geboren!«

      »Der Messias! Woher wißt ihr das?«

      »Er wurde heute nacht geboren und liegt nun in einer Krippe; so wurde uns verkündet. Es gibt in Bethlehem nur einen Ort mit Krippen.«

      »Die Höhle?«

      »Ja! Komm mit!«

      Sie durchschritten den Hof, ohne beachtet zu werden, obgleich dort noch einige wach waren und über das wunderbare Licht sprachen.

      Die Tür der Höhle war offen, eine Laterne brannte im Innern. Sie traten ohne weiteres ein. »Friede sei mit dir!« grüßte der Torwächter Josef. »Es sind Leute hier, die ein Kind suchen, das diese Nacht geboren worden sei. Sie wollen es daran erkennen, daß es in Windeln eingewickelt ist und in einer Krippe liegt.«

      Josef war gerührt; er wandte sich um und sprach: »Das Kind ist hier.«

      Sie wurden zu einer der Krippen geführt, dort lag das Kind. Das Licht wurde herbeigebracht, sodann betrachteten die Hirten in stummer Andacht das Kind.

      »Es ist der Messias!« sagte endlich einer von ihnen.

      »Der Messias!« wiederholten alle und fielen anbetend auf die Knie.

      Die schlichten Männer küßten den Saum des Kleides der Mutter und entfernten sich dann mit freudestrahlendem Gesicht. In der Herberge weckten sie die Leute und erzählten ihnen, was sie gesehen und gehört hatten. Auf dem ganzen Wege durch die Stadt und bis zur Hürde zurück sangen sie das Loblied der Engel: »Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind!«

      Die Erzählung der Hirten verbreitete sich rasch und wurde durch das Licht, das weit und breit gesehen wurde, bestätigt. An den folgenden Tagen wurde die Höhle von einer Menge Neugieriger besucht, von denen manche glaubten, aber mehr noch lachten und spotteten.

      Viertes Kapitel

      Am elften Tage nach der Geburt des Kindes, um die Mitte des Nachmittags, näherten sich die drei Weisen von Sichem her der Stadt Jerusalem. Als sie den Bach Kidron überschritten hatten, wurde die Straße belebter. Alle, denen sie begegneten, blieben stehn und blickten ihnen neugierig nach. Obgleich große Verkehrsstraßen durch Jerusalem führten und viele Fremden hier waren, erregten die drei Weisen doch die Aufmerksamkeit aller durch die Größe und Schönheit ihrer weißen Kamele und durch die Pracht ihrer Ausstattung. Vor einer Menschengruppe, die an der Straße gegenüber den Königsgräbern saß, hielten die vornehmen Fremden.

      »Gute Leute,« sagte Balthasar und beugte sich dabei von seinem Sitz herab, »liegt nicht Jerusalem in der Nähe?«

      »Ja,« antwortete eine Frau, »wenn die Bäume dort auf dem Hügel etwas niedriger wären, könntet ihr die Türme auf dem Marktplatze sehen.«

      Balthasar warf dem Griechen und dem Inder einen Blick zu und fragte dann:

      »Wo ist der neugeborene König der Juden?«

      Die Gefragten blickten einander verständnislos an, ohne zu antworten.

      »Habt ihr nicht von ihm gehört?«

      »Nein.«

      »Nun, so erzählt allen, daß wir seinen Stern im Morgenlande gesehen haben und gekommen sind, ihn anzubeten.«

      Die Freunde ritten nun wieder weiter.

      Die gleiche Frage richteten sie auch an andere, aber mit demselben Erfolge. Eine Schar Menschen, die auf dem Wege zur Jeremiasgrotte war, geriet über die Frage und die Erscheinung der Männer in solches Staunen, daß sie umkehrte und ihnen in die Stadt folgte.

      Sie waren von dem Gedanken an ihre Sendung so sehr erfüllt, daß sie keinen Sinn hatten für den herrlichen Anblick, der sich ihnen jetzt bot. Sie ritten durch das Damaskustor, an dem ein römischer Soldat Wache hielt.

      »Friede sei mit dir!« grüßte der Ägypter mit klarer Stimme.

      Die Wache gab keine Antwort.

      »Wir kommen aus weiter Ferne, um den neugebornen König der Juden zu suchen. Kannst du uns sagen, wo wir ihn finden?«

      Der Soldat hob das Visier seines Helmes und rief mit lauter Stimme. Rechts vom Eingange erschien ein Offizier. »Was wollt Ihr?« fragte er Balthasar in der Sprache des Landes.

      Und Balthasar antwortete in derselben Sprache:

      »Wo ist der neugeborene König der Juden?«

      »Herodes?« fragte erstaunt der Offizier.

      »Herodes hat sein Königtum vom Kaiser. Nein, nicht Herodes.«

      »Einen andern König der Juden gibt es nicht!«

      »Aber wir haben seinen Stern gesehen und sind gekommen, ihn anzubeten.«

      Der Römer war erstaunt.

      »Geht weiter!« sagte er endlich. »Geht weiter! Ich bin kein Jude. Fragt die Gesetzeslehrer im Tempel, oder Annas, den Priester, oder noch besser Herodes selbst. Wenn es außer ihm noch einen andern König der Juden gibt, wird er ihn zu finden wissen.« Er machte nun den Fremden die Bahn frei und diese zogen durch das Tor.

      Bei Beginn der engen Straße hielt Balthasar sein Tier an und sagte zu seinen Freunden:

      »Der Zweck unseres Hierseins ist nun genügend bekannt. Bis Mitternacht wird die ganze Stadt von uns und unserer Sendung gehört haben. Suchen wir nun die Herberge auf.«

      An jenem Abend waren mehrere Frauen auf der oberen Stufe der Treppe, die zum Teiche Siloah hinabführt, mit Waschen beschäftigt. Eine jede kniete vor einer breiten, irdenen Schüssel. Ein Mädchen, das am unteren Ende der Treppe stand, versorgte sie mit Wasser und sang, während es den Krug füllte. Während sie fleißig die Hände regten, die Wäsche in den Schüsseln rieben und wandten, traten zwei andere Frauen, jede mit einem leeren Kruge auf der Schulter, zu ihnen.

      »Friede sei mit euch!« grüßte die eine von ihnen.

      Die anderen hielten in ihrer Arbeit inne, richteten sich auf, trockneten ihre Hände und erwiderten den Gruß.

      »Wißt ihr, was Neues geschehen ist?« »Was soll denn geschehen sein?«

      »Ihr habt also nichts gehört?«

      »Nein!«

      »Man sagt, der Messias sei geboren,« brach die Neuigkeitskrämerin mit ihrer Erzählung los.

      Lebhafte Neugierde spiegelte sich in den Gesichtern der Frauen. Schnell wurden die Krüge niedergestellt und in ebensoviele Sitze verwandelt.

      »Der Messias!« riefen alle.

      »So erzählt man.«

      »Wer?«

      »Alle; es ist das allgemeine Gespräch.«

      »Glaubt es denn auch jemand?«

      »Heute nachmittag kamen drei Männer über den Bach Kidron auf dem Wege von Sichem her,« erwiderte die Erzählerin mit umständlicher Genauigkeit, um jedem Zweifel zu begegnen.

      »Jeder ritt ein glänzend weißes Kamel von solcher Größe, wie man sie bisher in Jerusalem nicht gesehen hat.«

      Die