Emmi Ruprecht

Drei Jahre später


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froh sie damals war, dem tristen Büroalltag zu entkommen. Sie weiß noch, wie sie auf der Fahrt nach Italien darüber nachdachte, dass sie kaum etwas in ihrer Heimatstadt hielt, wo sie jeden Tag von ihrer kleinen Wohnung in das Unternehmen fuhr, in dem sie arbeitete. Dabei erinnert sie sich sogar daran, wie sie damals davon träumte, dass ihr im Urlaub ein charmanter, am besten mit umfangreichen Gütern ausgestatteter Italiener begegnen möge, der sich unsterblich in sie verliebte!

      Sie muss über sich selbst schmunzeln. Ja, damals konnte sie ihrem Leben nicht viel abgewinnen; deshalb träumte sie von einem Wunder, das sie aus der Einöde, in der sie sich gefangen sah, befreien würde.

      Und wie ist es heute?

      Elli seufzt. „Wenn ich ehrlich bin: nicht viel besser“, schießt es ihr durch den Kopf.

      Doch schon im nächsten Moment will sie das so nicht stehen lassen. Natürlich hat sich etwas geändert! Es wäre ja furchtbar, wenn nicht! Schließlich sind seitdem drei Jahre vergangen und zumindest sie hat sich doch verändert! Sie ist selbstbewusster geworden und versteht viel besser als früher sich durchzusetzen und auf sich aufzupassen, damit sie nicht zu kurz kommt. Dieser persönliche Wandel hat ihr auch beruflich weitergeholfen und aus der Sachbearbeiterin eine Fachreferentin gemacht! Eine, die nun sogar in der beneidenswerten Situation steckt, sich zwischen zwei beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten entscheiden zu können. Das hätte sie damals nicht für möglich gehalten!

      An diesen Chancen, die sich ihr heute bieten, ist sie auch nicht ganz unschuldig. Weil Elli befürchtete, in dem Unternehmen, in dem sie arbeitet, bis ans Ende ihrer Tage beruflich auf der Stelle zu treten, hatte sie sich in den letzten Monaten mehrfach bei anderen Firmen beworben. Bei einer hatte sie Glück und wurde zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen, das sehr gut verlief. Sie verstand sich ausgezeichnet mit ihrem potenziellen Chef und der anwesenden Personalsachbearbeiterin. Auch beim fachlichen Teil des Gesprächs hatte sie den Eindruck, als würden ihre Qualifikationen und das, was die Stelle fordert, wunderbar zusammenpassen.

      Wie es der Zufall so will, wurde ihr kurze Zeit nach dem Gespräch völlig überraschend eine Teamleiterstelle bei ihrem aktuellen Arbeitgeber angeboten. Und jetzt hat sie gestern auch noch die Zusage für den Job, auf den sie sich extern bewarb, erhalten! So gut lief es in der Vergangenheit selten für Elli und sie weiß, dass sie allen Grund hat zu jubeln! Jahrelang ging es in ihrem Leben bestenfalls schleppend voran und nun kann sie sich zwischen zwei attraktiven Jobalternativen entscheiden!

      Doch genau diese Entscheidung fällt ihr überhaupt nicht leicht. Deshalb kam ihr der Urlaub gerade recht, der ihr eine einwöchige Bedenkzeit verschafft, ohne dass sie irgendwem ihre Gründe dafür erläutern muss. Nach dem Urlaub allerdings wird sie Farbe bekennen müssen und seltsamerweise tut sie sich damit viel schwerer, als sie es für möglich gehalten hätte. Natürlich ist so ein beruflicher Wechsel, und noch dazu einer, der sie möglicherweise in eine ihr unbekannte Firma führt, immer ein Risiko. Schließlich kann man nie wissen, was einen erwartet und ob man dem wirklich gewachsen ist! Doch viel irritierender ist die Tatsache, dass sich keine der beiden Optionen für sie so richtig gut anfühlt! Bislang hat sie geglaubt, sie würde in Begeisterungsstürme ausbrechen, sich vielleicht eine Kiste Champagner gönnen und mit ihren Freundinnen ein spontanes Fest feiern, wenn sie solche Chancen für einen beruflichen Aufstieg bekäme. Sie hatte geglaubt, dass sie vor Stolz platzen und alleine schon die lang vermisste Anerkennung ihrer Kompetenzen sie vor Glück fast zerspringen lassen würde. Doch nun muss sie sich beinahe zwingen, sich über ihren Erfolg zu freuen und in den gebotenen Perspektiven eine erstrebenswerte Zukunft zu sehen. Das kann Elli nicht verstehen! Was ist nur los mit ihr?

      Sie schüttelt den Kopf, um die bedrückenden Gedanken zu vertreiben. Sie will jetzt nicht darüber nachgrübeln. Später vielleicht!

      Außerdem gibt es ja auch noch ganz andere Dinge, die sich seit ihrem letzten Besuch hier in Italien getan haben, und die erfordern nun ihre ganze Konzentration!

      Elli muss erneut schmunzeln. Sofort tritt ein sehr viel vergnügterer Ausdruck in ihr Gesicht. Sie erinnert sich daran, wie sie damals, bei ihrer Anreise, nicht nur verwegene Träume von charmanten Italienern hegte, sondern auch mit der sehr viel wahrscheinlicheren Aussicht liebäugelte, es könnten sich vielleicht ansprechende männliche Singles unter den Teilnehmern des Musikkurses befinden.

      Aus dem Schmunzeln wird ein breites Grinsen.

      Zugegeben: Der reich begüterte Italiener lief ihr damals nicht über den Weg, aber interessante Männer gab es. Genauer gesagt gab es eigentlich nur einen, und der hieß Josh.

      Josh!

      Sie beißt sich auf die Lippen, um ihr Grinsen wieder einzufangen. Josh, der große, schlanke Neuseeländer mit den blonden, immer etwas zerzausten Haaren und den strahlend smaragdgrünen Augen! Ihn fand sie rasend interessant und hat sich Hals über Kopf verliebt. Allerdings hatte sie damals angenommen, dass ihr Interesse einseitig wäre, da Josh viel mehr an der selbstsicheren und bildschönen Carola interessiert zu sein schien. Doch als sie sich am Ende der Woche bei der Abreise voneinander verabschiedeten, hatte Josh sie, Elli, geküsst – ein Umstand, den sie erst nach ein paar Tagen einigermaßen verkraftet hatte, wenigstens soweit, dass sie das Dauergrinsen, was sich nun schon wieder in ihrem Gesicht breitzumachen droht, einigermaßen in den Griff bekam.

      Josh hatte im Anschluss an den Urlaub in Italien noch weitere Stätten in Europa besucht. Für eine einzige Woche in den italienischen Bergen hätte sich der Flug vom anderen Ende der Welt kaum gelohnt. Unter anderem war er auch nach Deutschland gereist, um seine Mutter zu besuchen, und bei der Gelegenheit hatten die beiden sich noch einmal gesehen.

      Schon wieder setzt sich das Schmunzeln auf Ellis Gesicht durch, wenn sie daran zurückdenkt. Es war eine großartige Zeit gewesen! Josh und sie hatten kostbare Tage zusammen verbracht. Doch irgendwann musste er zurück nach Neuseeland. Obwohl Elli sehr verliebt und auch Josh augenscheinlich nicht ganz unempfänglich für ihre Reize war, kam eine Beziehung über diese Distanz hinweg natürlich nicht infrage! Das war auch nie ein Thema zwischen ihnen beiden gewesen. Elli hatte sehr wohl gespürt, dass Josh seine Unabhängigkeit schätzte. Daran hatte er keinen Zweifel gelassen und sie hatte das akzeptiert.

      Umso mehr hat sie sich darüber gewundert, als er ihr vor drei Monaten schrieb, dass er wieder an diesem Ort in Italien sein würde, und zwar zur gleichen Zeit wie sie!

      Elli hatte kurz zuvor in ihrem, aus ihrer Sicht leider nur sehr unregelmäßigen, E-Mail-Verkehr erwähnt, dass sie plante, sich gemeinsam mit Julie und Monika, die sie auch vor drei Jahren in Italien kennengelernt hatte, auf dem italienischen Gut zu treffen. Als Josh antwortete, dass er daraufhin ebenfalls den Kurs gebucht hatte, blieb Elli fast das Herz stehen! Josh würde nach Europa kommen? Nach Italien? Dorthin, wo sie auch sein würde?

      Auch jetzt spürt Elli, wie ihr Herz schneller schlägt, als sie an den großen, blonden Mann denkt. In diesem Moment würde sie am liebsten sofort wieder ins Auto springen und die restliche Strecke über die Schotterpiste hinweg zum Gut jagen, um ihn endlich wiederzusehen, in seine unglaublich grünen Augen zu schauen und … ja was? Was würde sie tun?

      Am allerliebsten würde sie über ihn herfallen und ihn überhaupt nicht mehr loslassen! Ihre Gefühle für Josh haben sich in der ganzen Zeit nicht geändert. Sie ist verliebt wie damals und sie weiß ganz genau, was sie will, nämlich ihn!

      Bei diesem Gedanken spürt sie, wie ihr das Blut in den Kopf steigt und sie auf ihren Wangen, würde sie sich jetzt im Spiegel sehen können, bestimmt einen verräterischen Rosaton entdecken würde!

      Zwar hatte Josh vor drei Jahren keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass eine Beziehung für ihn nicht infrage kam, und auch ihrer beider Austausch per E-Mail hatte nicht wirklich Anlass zur Hoffnung gegeben, dass sich das über die Zeit und die Entfernung hinweg plötzlich geändert haben könnte. Doch warum reist ein Mann dann die weite Strecke nach Europa, und zwar genau an den Ort in Italien, von dem er weiß, dass sie dort sein wird? Was hat ihn dazu veranlasst, diese Reise zu buchen? Das macht man doch nicht einfach so! Er muss doch einen guten Grund dafür haben! Oder hat er einfach nur genauso viel Sehnsucht wie sie nach diesem wunderschönen Anwesen, das dem Paradies, so wie Elli es sich vorstellt, so sehr gleicht?

      Sie