Sandra Kudernatsch

Pralinen unter Palmen


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ich keinen Gedanken und ließ meiner Einkaufswut freien Lauf.

      „So eine Figur hätte ich auch gern nochmal“, zwinkerte mir die nette Verkäuferin zu, als wir das Geschäft verließen. Was hörte man lieber? Das war Balsam für die Seele.

      Als wir pünktlich zur Schließzeit aus dem Parkhaus düsten, waren unsere Bäuche voller Eis und unsere Taschen platzten fast vor lauter Klamotten. Ich war eingedeckt mit langen und kurzen Hosen, Kleidern, Röcken, einer Lederjacke, diversen Tops und Shirts in verschiedenen Formen und Farben (bloß kein rot, dass biss sich mit meinen Haaren). Sogar neonfarbene Flipflops hatte ich in einem Billigladen bekommen.

      Abgesehen davon, dass ich nach diesem Tag schlagalle war, stand der Reise morgen nun wirklich nichts mehr im Wege! Zum Glück hatte ich heute so viel geshoppt, dass ich für den Rest des Jahres keinen Fuß mehr in ein Einkaufscenter setzen musste.

      Bei meinen Eltern angekommen, mussten Mutter und ich jeweils drei Mal vom Auto zum Haus laufen, um unsere Ausbeute auszuräumen.

      „Uff“, machte sie, als sie sich mit ihren letzten prall gefüllten Einkaufstüten durch die Tür zwängte. „Bernd, hilfst du mir mal?“

      Vater sah von seinem Kreuzworträtsel auf, die Lesebrille auf der Nasenspitze. Er schmunzelte und ergab sich seinem Schicksal. „Habt ihr den anderen Leuten denn wenigstens etwas übriggelassen?“

      Er besah sich die Tüten, die sich im Flur stapelten und schob sie nacheinander mit dem Fuß vor sich her in die Küche. Sein Schmunzeln erstarb.

      „Angelika, was habt ihr denn bloß alles eingekauft?“ Hilflos blieb er in der Küche neben all dem angeschleppten Krempel stehen.

      Ich zog mich lieber zurück und beobachtete die Szene amüsiert aus einiger Entfernung. Ich wusste genau, was nun folgen würde.

      Mutter legte ihre Handtasche auf das aufgeschlagene Kreuzworträtselheft und begann, in den Tüten zu wühlen.

      „Krieg dich wieder ein, Bernd“, sagte sie, als sie eine dunkelblaue Bluse (wer hätte es geahnt) hervorzog und begutachtete. „Das war alles reduziert. Ich habe wahnsinnig viel gespart, ein Schnäppchen geschlagen sozusagen.“

      Papa griff seine Nasenwurzel und drückte. „So kann man es sich auch schönreden.“ Er nahm die Hand aus dem Gesicht, aber es blieben rote Punkte links und rechts der Nase zurück. „Richtig gespart hättest du, wenn du gar nichts gekauft hättest.“

      And here we go.

      Mutter ließ die Bluse fallen und ihr Kopf schnappte herum. „Es ist mein Geld und damit kann ich ja wohl machen, was ich möchte.“

      In diesem Moment hatten Papa und ich die gleiche Idee. Nämlich die Flucht zu ergreifen. Wir schlichen aus der Küche und ließen eine schnaubende Angelika zurück.

      „Wir sagen ihr besser nicht, dass die Bluse aussieht, wie die zwanzig anderen, die in ihrem Schrank hängen“, flüsterte er verschwörerisch hinter vorgehaltener Hand in meine Richtung.

      Nach einem gemeinsamen Abendessen in absoluter Stille zog ich mich zurück in mein altes Kinderzimmer und packte vor Britneys Augen meine neuen Schätze aus – nur um sie anschließend im Giraffenkoffer zu verstauen. Normalerweise würde ich alle Klamotten vor dem Tragen waschen, aber dies war eine Ausnahmesituation. Da nahm man zusätzlich zu dem erwarteten Sonnenbrand auch ein wenig Ausschlag in Kauf.

      Als die Nähte meines überquellenden Koffers beinahe platzten, war ich vollkommen zufrieden und überprüfte erneut, dass meine Reiseunterlagen, Zugtickets und der Reisepass vorhanden waren.

      Meine Nerven meldeten sich langsam zurück, wenn ich an die morgige lange Reise dachte. Und das ganz ohne moralische Unterstützung und Beruhigung durch eine Begleitperson. Ich hoffte, dass alles wie geplant funktionieren würde. Trotzdem überwog letztendlich die Freude darüber, dem Winter zu entfliehen und der Sonne entgegenzufliegen.

      Ich würde dieses einzigartige Erlebnis mitnehmen, auch ohne Mike! So konnte ich ihm – und vor allem mir – beweisen, was ich alles allein schaffte.

      Um mich abzulenken, ließ ich den restlichen Abend gemütlich mit meinen Eltern im Wohnzimmer bei einer Runde Mensch-ärgere-dich-nicht ausklingen. Wir mussten meinen Vater dazu überreden, weil er generell immer verlor, doch mir zuliebe gab er rasch nach und fügte sich seinem Schicksal. Das Spiel machte Spaß, obwohl Mutter noch sauer auf ihn war und möglichst wenig sagte.

      Ich verlor haushoch, das war neu. Nicht nur Pech in der Liebe, sondern jetzt auch im Spiel, dachte ich, als ich mich auf den Weg ins Bett machte. Hatte mich das Glück komplett verlassen?

      Im Bett ließ ich den heutigen Tag noch einmal Revue passieren.

      Ich hatte es genossen, unvernünftig zu sein und Geld auszugeben für Klamotten, die ich nach dem Urlaub vermutlich nie wieder aus dem Schrank holen würde. Sonst war ich die pflichtbewussteste Person weit und breit, denn a) ich konnte nicht ins Bett gehen, ohne mir vorher die Zähne zu putzen, b) ich holte beim Nachbarn abgegebene Pakete noch am selben Tag ab und überreichte als Dankeschön Pralinen, c) ich überwies meine Miete vorsichtshalber generell einen halben Monat zu früh, d) ich trank keinen Alkohol und e) ich entschuldigte mich bei jedem Käfer, den ich versehentlich mit dem Rad überrollte.

      Die Liste ließ sich endlos fortsetzen.

      Vielleicht sollte ich den Fokus in Zukunft mehr darauflegen, Spaß zu haben und mal auszubrechen? Ich hatte Mike bei seinen Männerabenden nie ausgebremst, aber ich hatte mich auch nicht wirklich beteiligt, wenn wir Besuch hatten. War ich ihm womöglich zu langweilig geworden? Tatsächlich war ich oft alleine zuhause geblieben, wenn er ausgegangen war. Ich musste ja schließlich fit sein am nächsten Morgen, um mein Sportprogramm durchzuziehen und für Mike gut und schlank auszusehen. Konnte es sein, dass es wichtiger gewesen wäre, gemeinsam etwas zu unternehmen, als dem Schönheitsideal hinterher zu laufen?

      Mit diesen tiefsinnigen Gedanken im Hinterkopf schlief ich irgendwann ein. Ich träumte von Heidi Klum, die im Gang eines Flugzeugs modelte. Immer wieder lief sie in einem anderen Outfit durch die Reihen…

      Shopping tat mir einfach nicht gut.

      2. März

      Ich erwachte um zehn Uhr ziemlich gerädert durch das schrille Klingeln meines Handyweckers.

      Sofort war die Nervosität wegen der bevorstehenden Reise wieder da. Mein Magen fühlte sich verquer und flau an – so als ob ich seit Tagen nichts gegessen hätte.

      Ich rieb mir die schläfrigen Augen und stand mit zerzaustem Haar auf. Barfuß tänzelte ich ins Badezimmer, wo ich mich mit Schlabberpulli und Leggings einigermaßen reisetauglich herrichtete, denn möglichst bequem musste es sein für den langen Flug.

      Als ich im Bad fertig war und zum ersten – aber sicher nicht zum letzten – Mal an diesem Tage meine Reisedokumente checkte, kam meine Mutter zur Tür herein. Sie unterbrach heute extra wieder ihre Arbeit, um mich zum Bahnhof zu fahren und war etwas früher dran, als wir verabredet hatten.

      „Guten Morgen, du hast wohl bis eben geschlafen“, stellte sie strahlend fest und hängte ihre Jacke an die Garderobe. Wie toll, sie freute sich für mich und mein bevorstehendes Abenteuer. „Ich weiß, dass ich viel zu früh bin. Willst du noch frühstücken?“

      Schnell ließ ich die Dokumente in meiner Tasche verschwinden. „Nein, ich bekomme jetzt nichts runter.“

      Sie bemerkte meine zitternden Hände. „Sei nicht so nervös. Was soll schon passieren? Du fliegst schließlich nicht zum ersten Mal“.

      Aber zum ersten Mal mutterseelenallein, fügte ich in Gedanken hinzu. Und schon hatte sie die soeben gesammelten Pluspunkte wieder vernichtet.

      „Du solltest wirklich etwas essen. Frühstücken ist wichtig.“

      Ich folgte ihr schlurfend in die Küche. „Ehrlich, ich möchte nichts. Mir bleibt nachher auf dem Flughafen massig Zeit, um mir etwas zu essen zu holen“, versicherte ich ihr leicht