Sandra Kudernatsch

Pralinen unter Palmen


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verspeiste die süßen Leckereien auf einer Bank. Mein knurrender Magen gab augenblicklich Ruhe und ich fühlte mich besser. Gestärkt und beruhigt bahnte ich mir dann, durch die Menschenmassen hindurch, einen Weg in Richtung Sicherheitskontrolle. Es dauerte ewig, denn die Schlange war sehr lang und bis alle, die vor mir an der Reihe waren, ihre Klunker abgelegt und sämtliche Kosmetiktäschchen ausgeräumt hatten, verstrichen die Minuten. Warum behängte man sich für einen Flug so sehr? Man wusste doch, dass man den größten Teil bei der Kontrolle ablegen musste?

      Ich trat ungeduldig von einem Bein auf das andere und versuchte, ruhig zu bleiben. Ich war früh genug am Flughafen gewesen und würde meinen Flug auf keinen Fall verpassen.

      Irgendwann war ich endlich an der Reihe. Ich wurde in einen kurzen Schreckensmoment versetzt, als ich beim Durchqueren des Scanners piepte. Nach einer weiteren manuellen Kontrolle durch einen Sicherheitsbeamten sprach jedoch nichts für etwas Verdächtiges in meinen Taschen und demzufolge weiterhin nichts gegen den Antritt meiner Reise. Schritt zwei lag also auch hinter mir.

      Danach kam ich in den Einkaufsbereich, in dem sich die Menschenmassen lichteten. Sofort ging ich in den Schlendermodus über. Die verbleibende Zeit bis zum Boarding verbrachte ich damit, durch die Duty-free-Abteilung zu bummeln und an sämtlichen Parfümflacons zu schnuppern. Als ich die Düfte nicht mehr voneinander unterscheiden konnte, kaufte ich noch etwas Schokolade für den langen Flug. „Sie naschen wohl gern“, wurde ich gefragt.

      Ups, ich hatte wieder zu viel Süßkram erbeutet und antwortete beschämt mit einem kurzen Nicken.

      Schließlich suchte ich mein Gate auf. Ich war die erste Person weit und breit, stellte mich aber vorsichtshalber schon an. Wieder wartete ich geduldig, bis wir endlich einsteigen durften. Die Zeit verging rasch und bald wurde die Schlange hinter mir immer länger und länger. Als die Stewardess begann, die Bordkarten zu kontrollieren, wurde ich in meine Schulzeit zurückversetzt. Die Menschen hinter mir drängelten wie verrückt. Jeder wollte der erste beim Einsteigen sein. Genauso war das früher beim Schulbus. Zum Glück stand ich ganz vorne und konnte das Gedränge bald hinter mir lassen.

      Es war ein großes Flugzeug mit drei mal drei Sitzplätzen, die jeweils durch einen schmalen Gang voneinander getrennt waren.

      Plötzlich war ich über Mikes Abwesenheit ganz froh, denn ich eroberte den Fensterplatz und ließ den Sitz neben mir absichtlich frei. So hatte ich die Armlehne für mich und musste keine Rücksicht nehmen, um meinen Sitznachbarn nicht zu stören.

      Ich beobachtete gebannt, wie die kleinen Männchen in ihren neonfarbenen Warnwesten auf dem Rollfeld umherliefen und die unzähligen Koffer einluden. Das Flugzeug füllte sich zusehends, der Geräuschpegel stieg an und die Gepäckfächer wurden auf- und zugeklappt.

      Als so gut wie kein Platz mehr unbesetzt war (außer natürlich der neben mir), startete der Motor. Langsam wurde es ernst!

      Der Pilot meldete sich zu Wort. Er hieß Ben und klang viel zu jung, um schon Pilot zu sein, als er uns den Reiseverlauf zusammenfasste. Angst vor dem Fliegen hatte ich wahrlich keine, aber besonders vertrauenserweckend wirkte die jungenhafte Stimme nicht. Ich schickte ein kurzes Stoßgebet gen Himmel. Ich hoffte, dass wir heil am Ziel ankommen werden.

      Wenn wir abstürzen sollten, dachte ich, dann bitte nicht über dem Meer. Ich hatte höllische Angst vor Haien. Und sollte ich einen Flugzeugabsturz über dem Ozean überleben, wollte ich mit Sicherheit nicht von einem Meeresräuber gefressen werden.

      Die gefuchtelte Aufführung der Flugbegleiter zur Lage der Notausgänge und zum Verhalten im Notfall blendete ich irgendwann aus. So viel zum Thema Absturz.

      Als der Flieger langsam losrollte, steckte ich mir vorsorglich ein Kaugummi in den Mund. Druck auf den Ohren mochte bestimmt niemand. Wir fuhren zur Startbahn und als wir die richtige Position erreicht hatten, wurde die Fahrt immer schneller und schneller, bis wir schließlich abhoben. Ich vernahm das bekannte Kribbeln in meinem Bauch, das immer mit dem Start des Fluges einherging. Jetzt wurde mir erst richtig bewusst, worauf ich mich eingelassen hatte.

      Nämlich auf einen Traumurlaub am anderen Ende der Welt!

      Immer höher stiegen wir, bis ich durch die dichten Wolken unter mir kein Land mehr sehen konnte. Wenn alles glatt lief, würden wir in sechseinhalb Stunden in Abu Dhabi ankommen. Von dort ging es dann für mich noch weiter bis nach Mahé, der größten Seychellen-Insel im Indischen Ozean.

      Während der nächsten sechs Stunden bekam ich kein Auge zu, ganz im Gegensatz zu dem jungen Mann neben mir. Er war schon während des Starts eingenickt und schnarchte laut. Ich dagegen schaute drei Spielfilme am Stück, verputzte jeden Krümel meiner Schokoladenriegel und bestellte den obligatorischen Tomatensaft.

      Als ich mir nach der Hälfte der Strecke meine brennenden Augen rieb und ungeduldig auf meinem Sitz hin und her zappelte, kam die freundliche Stewardess zu mir.

      „Ist alles in Ordnung bei Ihnen“, erkundigte sie sich. „Kann ich Ihnen noch etwas anbieten?“

      Ich blickte zu der hübschen Frau mit dem strengen blonden Dutt auf und versicherte ihr leise, um meinen Nachbarn nicht zu wecken: „Alles okay. Ich kann nur nicht mehr sitzen“.

      Sie lachte kurz, weil sie das bestimmt nicht zum ersten Mal hörte und sagte dann verschwörerisch: „Dabei haben Sie Glück, dass Sie nicht allzu lang gewachsen sind.“ Sie nickte mir zu. „Wenn Sie etwas benötigen, lassen Sie es mich jederzeit wissen.“ Damit drehte sie sich um und kümmerte sich um den nächsten Reisegast.

      Die Mahlzeit, die auf dem Flug serviert wurde, rührte ich kaum an, weil ich vor dem Wechsel in das zweite Flugzeug zu nervös war. Zum Glück landeten wir beinahe pünktlich auf die Minute in Abu Dhabi und niemand klatschte. Das war wohl doch nur auf den Reisen nach Mallorca so.

      Als ich aus dem Flugzeug stieg, wehte mir sofort die kühle Wüstenluft um die Ohren. Trotzdem war es deutlich wärmer als zuhause. Wie herrlich es doch war, den Winter hinter sich zu lassen im kalten, weit entfernten Deutschland.

      Der Flughafen in Abu Dhabi haute mich noch mehr um als der Düsseldorfsche. Dieser hier war in meinen Augen so groß und hektisch wie eine Kleinstadt. Überall liefen Menschen in langen, fließenden Gewändern umher und jeder zweite Duty-free-Laden war ein Gold- und Klunkergeschäft. Ich war froh, als ich ganz außer Atem mein Gate erreichte. Natürlich war ich auch hier wieder viel zu früh dran, aber sicher war sicher.

      Das zweite Flugzeug, in das ich an diesem Tag stieg, war bedeutend kleiner als das, das mich hierhergebracht hatte. Das Szenario auf diesem Flug glich dem ersten. Ich verbrachte die nächsten vier bis fünf Stunden wieder damit, Filme zu schauen. Der einzige Unterschied war, dass der kleine Bildschirm, der in den Vordersitz eingelassen war, aufgrund mangelnder Auflösung völlig verpixelt war. Meine Augen brannten nach kurzer Zeit und waren rot unterlaufen. Als ich bei einem Toilettengang in den Spiegel sah, sehnte ich mich unglaublich danach, endlich anzukommen.

      Ich war eindeutig zu alt für durchwachte Nächte.

      Die ersten Blicke aus dem Fenster zeigten nur den rabenschwarzen Nachthimmel. Bald jedoch dämmerte es und ich erhaschte die Weite des endlosen Ozeans. Es sah traumhaft aus.

      Die stecknadelkopfgroßen Inselkleckse schwollen an, je näher wir dem Boden kamen. Der strahlend blaue Himmel spiegelte sich auf der türkisfarbenen Wasseroberfläche. Es sah aus wie in einem TV-Werbespot. In meinem Bauch starteten tausend Schmetterlinge ihren Flug, so verdammt aufgeregt war ich. Oder das Gefühl stammte von der Kombination aus Schlafmangel und Hunger. Wer wusste das schon so genau? In diesem Augenblick jedenfalls vergaß ich alle Sorgen.

      Das Flugzeug setzte mit einem Ruck auf und ich war froh, mich endlich wieder auf festem Boden zu befinden. Alle Passagiere stiegen wie Entenküken brav in Reih und Glied aus dem Flieger aus. Die Luft war angenehm warm und die Sonne war mittlerweile fast vollständig aufgegangen. Auf dem übersichtlichen Flughafen wurden wir keiner Sicherheitskontrolle unterzogen. Das Gebäude war aufgeheizt, weil keine Klimaanlage vorhanden war. Vor dem Eingang zur Toilette saß eine kleine runzelige Frau und gewährte Einlass. Zählte sie etwa für jeden das Toilettenpapier ab?

      In