oben in den Felsen, dort waren sie auch vor den Kreaturen des Wassers geschützt, welche nachts mit dem Nebel ans Ufer kamen und erst im Morgengrauen mit dem Nebel wieder verschwanden, wenn am Ostufer des Flusses in Sonnland, die Abenddämmerung begann.
Das Sonnland auf der gegenüberliegenden Seite am Ostufer vom Fluss war hingegen ein Pflanzenreiches Land. Ihr Himmel am Tag strahlte in einer herrlichen blauen Farbe und die Sonne erwärmte tagsüber das Land. So bunt wie das Land, so bunt war auch ihr Volk. Ihre Körper waren von der Sonne gebräunt und ihre Haare glänzten in goldenem Glanz. So bunt wie sie selbst waren auch ihre Kleider und ihre Häuser. Sie waren ein lautes und lustiges Volk, nicht so still wie das Sternvolk.
Brach im Osten der Tag an, wurde im Westen Nacht, der Licht spendende Mond verschwand langsam und die Sterne regierten. Wurde es im Osten Nacht, ging der Mond als zunehmende Sichel im Westen auf und der Tag brach an. Diese Gehzeiten wiederholten sich bereits seit vielen Jahren. Die Sonnländer dachten nicht einmal mehr an die Existenz der Sternländer. Im Gegenzug, dachten die Sternländer aber sehr wohl an sie, denn Kasota, wie sie den damals ausgesetzten Säugling nannten, den Onur und zwei weitere Fischer gefunden hatten, war der lebende Beweis der Sonnländer.
Das Mädchen Kasota war ein ganz besonderes Mädchen. Sie war lebhaft und wissbegierig, außerdem unterschied sie sich im Aussehen von den Anderen. Inzwischen zu einer hübschen jungen Frau mit blonden langen Haaren geworden, stand sie auf einem kurzen Steg, der in den Fluss hinein führte. Jeden Tag stand sie dort und sah hinüber ans weit entfernte Ufer, mit den schemenhaften Bergen, wo der Tag anbrach, während über ihr und dem Fluss, der schwarze Sternenhimmel lag.
Voller Sehnsucht sah sie hinüber. Einmal wollte sie auch einen hellen Tag erleben, mit blauem Himmel und einer Sicht bis in die Unendlichkeit. Erst als gleißendes Licht auf der anderen Seite des Ufers und der damit verbundenen Wärme, sich dichte Nebelschwaden auf dem Fluss bildeten und die Sicht trübte, ging sie heim.
Sie ging erhobenen Hauptes den steinigen Weg aufwärts.
Kasota erreichte die Häuser, welche tief in die Felsen gebaut waren. Das Haus ihrer Eltern lag hoch über den anderen in Fels gemeißelten Häusern. Ihr Vater Onur und ihre Mutter Yepa warteten bereits vor ihrem Haus auf einem Felsvorsprung auf ihre Tochter.
»Kasota, wo bleibst du denn?«, rief ihre Mutter ihr entgegen.
»Ich bin doch schon da!«
»Wo treibst du dich denn den ganzen Tag herum?«, fragte Yepa. Onur sah zu seiner Tochter, die den Berg hochkam.
»Woher wird sie schon kommen, vom Flussufer oder?«
»Meine Güte, irgendwann wird noch ein Unglück geschehen. Kind, ich möchte nicht, dass du dich andauernd am Ufer herumtreibst.«
»Was soll denn schon passieren, Mutter? Ich gehe doch nicht in den Fluss hinein, sondern war nur auf dem Steg.«
»Kasota, du weißt, dass du nicht bis zum Aufsteigen des Nebels am Fluss bleiben sollst. Der Nebel könnte Gefahren mit sich bringen, denk an die Flussungeheuer, welche im dichten Nebel nicht zu sehen sind.«
»Ja Vater, aber es ist so schön, wenn am anderen Ufer der Tag anbricht. Warum können wir nicht hinüber?«
»Kasota, wie oft soll ich dir noch sagen, dass es keine Möglichkeit gibt und außerdem, sind wir für sie ein fremdes Volk und wahrscheinlich auch nicht willkommen. Vielleicht würden sie uns sogar angreifen. Jetzt komm herein, damit wir Essen und uns anschließend zur Ruhe begeben können.«
Ihre Tochter wusste seit ein paar Jahren, dass sie in Sonnland geboren wurde. Nachdem sie ihren Vater gefragt hatte, warum nur sie blondes Haar hatte. Wenn der Mond in voller Blüte stand, glänzte ihr Haar wie Gold. Ihr Vater wusste, dass es jetzt an der Zeit war, seine Tochter aufzuklären. Seither wusste Kasota, dass in Sonnland auch Menschen lebten. Der Drang einmal dorthin zu kommen, wuchs immer mehr.
Kasota lag auf ihrem Strohlager, zugedeckt mit einer Wolldecke aus Schafwolle und sah zu der Kerze, welche neben ihr auf einem Steinteller auf dem felsigen Boden stand.
»Morgen werde ich zu Dorian gehen und mit ihm reden, vielleicht weiß er einen Ausweg«, murmelte sie vor sich hin und löschte das Licht.
Dorian war der Sohn von Can einem der Dorfältesten und nur etwas älter als sie selbst. Dorian war ihr Freund, die anderen vier Jugendlichen waren bereits um einige Jahre älter und hatten andere Interessen als sie.
Ansonsten gab es nur noch vier Kleinkinder, zum Teil lagen sie noch in den aus Holz gezimmerten Wiegen, in der schon viele Generationen lagen. In Sternland durften nur bis zu zehn Kinder und Jugendliche leben. Wenn die Jugendlichen zu jungen Erwachsenen herangewachsen waren und in der Lage, das Volk mit ihrer Arbeit zu unterstützen, durften wieder Kinder gezeugt werden. Es herrschten strenge Richtlinien, welche auch strikt eingehalten wurden, schließlich hing davon die Chance jeden Einzelnen zum Überleben ab. In Gedanken an Sonnland und an Dorian schlief sie ein.
Kapitel 4
Bereits in den frühen Morgenstunden wurde Kasota wach. Aus dem Nebenraum hörte sie schon ihre Mutter arbeiten und das Knistern des Feuers, das jeden Morgen als Erstes entfacht wurde. Kasota sah auf das Strohlager ihrer Eltern, ihr Vater war auch schon aufgestanden. Sicherlich war er mit drei anderen Fischern schon am Fluss um Fische zu fangen. Der Duft von Kräutertee zog zu ihr ins Schlaflager. Gleich würde ihre Mutter nach ihr rufen.
»Kasota, mein Kind aufstehen, der Tag bricht gleich an!«
»Ja Mutter, ich komme gleich!«
»Ist gut Kind, vergiss dich aber nicht zu waschen!« Kasota verdrehte die Augen. »Natürlich nicht, ich wasche mich immer!«
»Das ist gut. Dann ist wenigstens etwas von unserer Erziehung hängen geblieben«, sagte Yepa und schmunzelte dabei.
Kasota ging im Nachthemd zum Küchendurchgang. Sie stemmte ihre Arme in die Seiten und sah zu ihrer Mutter.
»Was willst du damit sagen?«
»Dass du zu einer sehr eigenständigen jungen Frau geworden bist, die sich nicht immer an das hält, was man ihr sagt.«
»Das stimmt überhaupt nicht!«, prustete sich Kasota auf.
»Oh, doch meine Tochter. Zum Beispiel habe ich dir immer wieder gesagt, dass du nicht allein zum Flussufer gehen sollst?«
»Ja, das stimmt, aber «
»Halte jetzt keine Rede, denn ich könnte dir einiges darüber erzählen. Mach dich jetzt fertig, damit wir mit dem Frühstück fertig werden. Ich muss mit der Zubereitung des Mittagessens, für die Dorfältesten beginnen.«
Kasota verschwand hinter einer schmalen Holztür, welche vom Wohnraum in den Schlafraum führte.
Ihre Mutter deckte inzwischen den massiven Holztisch, um den sechs ebenso massive Holzstühle standen. Alles im Haus stammte aus Familien von Generationen vor ihnen. So wie es im ganzen Dorf üblich war und jede Generation es hegte und pflegte.
Yepa und ihre Tochter Kasota ließen sich das Frühstück munden, es gab frisches Fladenbrot und Kräutertee.
»Was wirst du heute machen, mein Kind?« Kasota zuckte mit den Schultern.
»Ich werde zu Dorian gehen.«
»Dorian hat deinen Vater abgeholt, sie sind beide zum Fischen gegangen. Du wirst mir beim Zubereiten der Speisen zur Hand gehen müssen. Nachdem ich heute für die Dorfältesten kochen muss, könntest du inzwischen unser Mittagsmahl zubereiten.«
»Ich kann nicht kochen.«
»Dann wirst du es lernen und du fängst heute damit an. Schließlich wirst du irgendwann Dorian ehelichen und ein Kind bekommen. Dann musst du für deinen Mann, seinen Vater und später auch für dein Kind kochen können.«
»Das liegt noch in weiter Ferne, jetzt habe ich noch keine Lust Dorian zu ehelichen und für ihn und Can den Haushalt zu führen.«
»Das