Ханс Фаллада

Altes Herz geht auf die Reise


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Er war schon nahe seinem Ziele; es war nicht zu leugnen, daß sein Herz ein wenig rascher klopfte – da blieb er lauschend stehen: was hörte er? Noch ein paar Schritte tat er, hielt wieder an und fragte sachte ins Dunkle: »Weint hier jemand?«

      Es war ganz still, dann fing auf dem Hof ein Hund an zu bellen – und zerriß die Stille.

      »Komm, mein Mädchen. Komm, meine Rosemarie«, sagte der Professor sanft. »Ich bin es, dein Pate Kittguß, der Jugendfreund deines Vaters.«

      Zwischen den Büschen bewegte es sich, eine schlanke Gestalt trat an den Zaun, kaum unterschied er das weiß dämmernde Gesicht. Er tastete nach ihrer Hand, die kalt war.

      »Warum weinst du, Rosemarie?«

      Ihre helle Stimme, mit einem eigenwilligen spröden Klang kam überraschend böse zu ihm: »Und wo bist du so lange gewesen?! Vor drei Stunden hat der Hütefritz mir sagen lassen, daß er dich gesehen hat. Bist du auch wie die andern Männer, die sich erst Mut aus dem Krug holen?«

      »Kind! Kind!« rief der Professor erschrocken. »Was redest du?! Ich trinke nie, was trunken macht. Ich habe mich bei dem lustigen Bauern Tamm verweilt. Das war nicht recht – verzeih also.«

      Sie schwieg.

      »Und all diese Stunden hast du hier in der Kälte gestanden und auf mich gewartet?«

      »Ja!« rief sie böse. »Und ich habe meine Arbeit darüber versäumt, und die Schliekers haben nach mir gesucht und mich viele Male gerufen. Und wenn ich jetzt komme, wird er mich anbrüllen, und sie wird mich kneifen und an den Haaren ziehen. Das macht sie immer, wenn sie böse auf mich ist, und sie ist immer, immer böse auf mich!«

      »Keiner wird dich anbrüllen, und keine wird dich an den Haaren ziehen«, tröstete der Professor. »Denn ich werde mit dir gehen und zu ihnen sprechen.«

      »Nein, nein«, flüsterte sie hastig. »Du mußt erst viel später kommen, in einer viertel oder halben Stunde. Dann mußt du um ein Zimmer fragen und tun, als ob du mich gar nicht kennst. Sonst ist gleich alles verloren.«

      »Aber, Rosemarie, Kind«, sagte der Professor mahnend, »dann müßte ich ja lügen. Und das weißt du wohl noch von deinem lieben Vater, daß wir nicht lügen dürfen. Du lügst doch nicht?«

      »Die lügen und die betrügen!« rief sie. »Und wenn wir gegen sie aufkommen wollen, hilft uns allein die List.«

      »Die List ist bei den Bösen, Rosemarie«, warnte der Professor. »Bei uns aber muß die Wahrheit sein.«

      »Ach!« rief sie verzweifelt. »Warum habe ich dich nur gerufen?! Wenn du nicht auf mich hören und mir nicht so helfen willst, wie ich es dir sage, so machst du alles nur schlimmer. Die Kinder helfen mir schon und tun, was ich will. Vielleicht schaffe ich es mit ihnen allein. Es ist mein Haus, das dort«, rief sie leidenschaftlich. »Und es ist mein Hof und mein Vieh und mein Acker, und die Schliekers wollen es mir stehlen. Aber ich lasse es ihnen nicht! Der Philipp hat mir gesagt, wenn es ganz schlimm kommt, so zünden wir es lieber an und verderben alles, als daß …«

      »Still! Still!« rief der Professor erschüttert. »Du weißt ja nicht, was du sprichst, du armes, unseliges Kind du! Haben sie dich so gequält?!«

      Sie war still nach dem Ausbruch, nur ihr leises, jammervolles Weinen war zu hören.

      »Rosemarie«, sagte er sanft. »Es gibt einen hellen Weg und es gibt einen dunklen Weg. Möchtest du denn deine liebe Mutter und deinen guten Vater nie wiedersehen?«

      Sie weinte leiser.

      »Ich bin«, sprach er, »vielleicht ein weltunerfahrener Mann. Aber ich bin ein sehr alter Mann und weiß eines, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen. Liebst du Gott, Rosemarie?«

      Sie schwieg.

      »Siehst du«, sagte er. »Es geht nicht um die Schliekers und um das Kneifen auch nicht und nicht um Haus und Hof – es geht um dich, meine Rosemarie. – Und nun zeige mir den Weg in das Haus, Rosemarie, und ehe wir auf den Hof kommen, kette den Hund an – ich habe Furcht vor Hunden.«

      Und bezwungen von seiner Sanftheit, sagte sie leise: »So komm.«

      Sie gingen den Zaun entlang, und bei der Zauntür nahm sie ihn bei der Hand und sagte: »Fürchte dich nicht, mein Bello soll dir nichts tun.«

      3. KAPITEL

      Worin Professor Kittguß einen Besuch macht, der im Kohlenstall endet

      Der zottige Hofhund Bello hatte wirklich dem Professor nichts getan, sondern sich freundlich winselnd an Rosemarie gedrückt. Dann leitete den Paten die feste Hand seines Mädchens durch einen lichtlosen Raum, in dem es dumpf nach fauligen Kartoffeln und lau nach dem Spülstein roch, und nun stand er, plötzlich losgelassen, in einer häßlichen grünen, kleinen Küche, und der Rücken Rosemaries verschwand rasch durch eine Tür, hinter der Kindergeschrei laut wurde.

      »Rosemarie!« rief er ihr nach.

      »Marie, du Stromerin!« schalt eine herbe, böse Stimme vom Herdwinkel – und verstummte.

      Die Frau drehte sich scharf nach dem Besucher um. Der Schein der Küchenlampe fiel ihr ins Gesicht. Es war blaß, mit großen braunen Augen, vorspringenden Backenknochen; es war noch jung, aber der Mund, wie ein scharfer, schmaler Strich, war alt und böse, fast ohne Lippen, und das Kinn vorgebogen und stark.

      »He?!« fuhr die Frau mit ihrer harten Stimme den späten Besucher an und betrachtete ihn, ohne sich vom Fleck zu rühren.

      »Gott zum Gruß!« antwortete der Professor und ging einen Schritt näher. »Ich bin der Professor Kittguß und …«

      »Und«, setzte die Frau fort und überstürzte den armen Professor mit einem ganzen Schwall von bösen, schreienden Worten, »… und wenn Sie vom Amt kommen, so ist das keine Art, derart am späten Abend, und die Kinder zeige ich Ihnen heute nicht! Die Leute im Dorf mögen euch Briefe schreiben, soviel sie wollen, wegen Mißhandlung und schlechter Nahrung und keine Pflege, und ihr mögt mir jede Woche und jeden Tag und jede Stunde solch hochnasige Gemeindeschwester auf den Hals schicken, oder ihr mögt auch selber kommen, ihr großer Professor, ihr – ihr verdient euer Geld im Sitzen, wo ich mir um dreißig Mark im Monat für solch uneheliches Balg das Fleisch von den Händen mit den eingedreckten Windeln wasche! Aber heute zeige ich Ihnen die Kinder doch nicht, und wenn Sie da stehenbleiben bis Mitternacht, wo mir mein Mädchen auch noch weggelaufen ist und sich rumgetrieben hat. Der werde ich wieder einmal zeigen, wo das rechte Ende am Besen sitzt! Schlecht sind die Menschen alle, und darum möchten sie einen auch schlecht machen, und wenn Sie was wollen, so kommen Sie morgen früh um zehn, und da können Sie sich die ganze fünffache Sündenherrlichkeit frisch gewaschen und sauber angezogen betrachten dürfen – wenn sich nicht gerade wieder eines im letzten Augenblick vollmacht –!«

      Zuerst hatte der Professor noch versucht, die Frau Schlieker zu unterbrechen, dann aber hatte er still und geduldig unter diesem Wortschwall gestanden, und ein ganz ähnliches Gefühl von Trauer und Bestürzung war in ihm aufgestiegen wie vorhin bei dem Ausbruch Rosemaries am Zaun. Als sie aber geendet hatte, ging er auf die Frau zu, streckte ihr die Hand hin und sagte: »Gott zum Gruß, Frau Schlieker!«

      Sie sah die Hand verblüfft an, als habe sie einen Schlag bekommen, aber sie faßte sich und murmelte nur mürrisch: »Ja, ja, schon gut. Guten Abend also, und machen Sie, daß Sie jetzt weiterkommen.«

      »Nein«, beharrte er und bot ihr weiter die Hand. »Gott zum Gruß, habe ich gesagt. Das bedeutet etwas anderes.«

      Eine Weile war es still. Die weiße Männerhand zeigte immer weiter auf die Frau. Schließlich lachte die böse und doch verlegen auf: »Also, meinethalben: Gott zum Gruß.«

      Und sie berührte für eine Sekunde mit ihrer kühlen, feuchten Hand die des Professors.

      »Nun aber sehen Sie, daß Sie weiterkommen. Ich habe nicht so viel Zeit wie Sie. Ich habe fünf Gören zu versorgen.«

      »Und