Klaus Mann

Klaus Mann - Das literarische Werk


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während sie dies sagte; aber auf die klirrend exakte Aussprache konnte sie nicht verzichten.

      Zu der »Knorke«-Premiere wurde nicht nur Theophil Marder erwartet, sondern auch das Mädchen Barbara. »Ich bin neugierig, ob du sie mögen wirst«, sagte Nicoletta zu Hendrik. »Vielleicht liegt sie dir nicht besonders. Aber sei bitte nett zu ihr, mir zu Gefallen. – Sie ist etwas scheu«, stellte Nicoletta fest und schmetterte die Vokale.

      Am Tag der großen Premiere traf Barbara Bruckner ein; Marder kam erst gegen Abend, mit dem Berliner Schnellzug. Höfgen machte Barbaras Bekanntschaft, als er, unmittelbar vor Beginn der Vorstellung, einen Cognac in der Kantine trank. Nicoletta sprach mit musterhafter Deutlichkeit und greller Stimme: »Dieses ist meine liebste Freundin, Barbara Bruckner!« – wozu sie eine zeremonielle Geste unter dem schwarzen, steif plissierten Cape vollführte. Hendrik war zu aufgeregt, um sich das junge Mädchen genauer zu betrachten. Er stürzte seinen Cognac hinunter und verschwand. In der Garderobe fand er zwei große Blumensträuße: weißen Flieder von Angelika Siebert, und von der Herzfeld zart teegelb getönte Rosen. Um sich durch ein gutes Werk die Gunst des Himmels zu sichern, überreichte Höfgen dem kleinen Böck – der vor Premieren stets etwas weinerlich aussah – mit großer Geste fünf Mark, wodurch freilich die Sieben-Mark-fünfzig-Schuld noch immer nicht völlig getilgt war.

      Die Uraufführung der Komödie »Knorke« verlief glänzend: Marders beißende Pointen schlugen knallend ein, die steile Führung des Dialogs kitzelte das Publikum zu halb entsetzten, halb beglückten Gelächtern, vor allem aber begeisterte das exakte, schnoddrig-pathetische, in jeder Hinsicht blendende Zusammenspiel zwischen Höfgen und der neuen Kraft, Nicoletta von Niebuhr, die »auf Engagement gastierte«. Nach dem zweiten Akt mußten die beiden Hauptdarsteller sich dem animierten Saal häufig zeigen. In der Pause erschien Theophil Marder bei Höfgen, Nicoletta geleitete ihn.

      Marders unruhiger, aber durchdringender Blick musterte alle Gegenstände in der Garderobe, zuletzt Hendrik selbst, der erschöpft vorm Spiegel saß. Nicoletta war, respektvoll schweigend, an der Tür stehengeblieben. Nach langer Pause sagte Marder mit einer penetranten Kommandostimme: »Sie sind ja ’ne dolle Type!« Seine grausam fixierenden Augen wichen nicht von Hendriks schön geschminktem Gesicht.

      »Sind Sie zufrieden, Herr Marder?« Höfgen suchte den Satiriker durch Juwelenblicke und angegriffenes Lächeln zu bezaubern. Theophil aber sagte: »Naja …« und fügte unverschämt hinzu: »Naja, Herr – wie war doch der Name?« Nun war Hendrik doch etwas beleidigt; trotzdem nannte er seinen Namen mit der singend-werbenden Stimme. Daraufhin machte Marder: »Hendrik – Hendrik – ulkiger Name, muß ich schon sagen, sehr ulkig!« so höhnisch, daß es Höfgen eisig über den Rücken lief. Plötzlich aber rief der Dichter mit einer beängstigenden Fröhlichkeit: »Hendrik! Wieso Hendrik? Natürlich heißen Sie eigentlich Heinz! – Heißt eigentlich Heinz, nennt sich Hendrik! Hahaha, das ist aber mal gut!« Er lachte gellend, herzlich und ausführlich. Höfgen, aus Entsetzen über so viel böse Hellsicht, war bleich geworden unter seiner rosigen Maske und zitterte. Nicoletta, ohne einzugreifen, schaute mit blanken Katzenaugen amüsiert vom einen zum andern. Theophil war schon wieder ernst. Er schien nachzudenken; dabei bewegte er ununterbrochen den bläulichen Mund unter dem schwarzen Schnurrbart. Das erregte Spiel seiner Lippen erinnerte auf eine unheimliche Art an das gierige Saugen fleischfressender Pflanzen oder schnappender Fischmäuler. Abschließend sagte Marder: »Sind aber ’ne dolle Type. Starkes Talent – rieche das, habe verdammt feine Nase. Sprechen uns noch. Essen nachher zusammen. Komm, Kind!« Er nahm Nicoletta am Arm und verließ die Garderobe. Höfgen blieb im Zustand völliger Konsterniertheit zurück.

      Er gewann seine Fassung erst wieder, als er auf der Bühne und im Rampenlicht stand – dort freilich völlig. Im dritten Akt übertraf er alles, was er an bravourösem Elan bis dahin jemals öffentlich gezeigt hatte. Das Auditorium raste, nachdem der Vorhang gefallen war. Nicoletta, die Arme voll Blumen, fiel Höfgen um den Hals und sagte: »Theophil hat wieder mal das rechte Wort gefunden! Du bist wirklich eine tolle Type!« Kroge trat hinzu, um Anerkennendes zu murmeln. Er versicherte Fräulein von Niebuhr, daß es ihm ein Vergnügen sein werde, weiter mit ihr zu arbeiten; sie möchte sich morgen vormittag ins Büro bemühen, damit man die Bedingungen bespreche. Nicoletta machte sofort ihr hinterhältig korrektes Gesicht, verneigte sich feierlich und gab in scharfen Worten ihrer Befriedigung über diesen Entschluß des Direktors Ausdruck.

      Theophil Marder hatte die beiden jungen Damen und den Schauspieler Höfgen in ein sehr teures, mehr bürgerlich-solides als mondänes Lokal eingeladen. Hendrik war hier noch niemals gewesen, was Marder Anlaß gab, schneidend festzustellen, dies sei die einzige »Bude« in Hamburg, wo Genießbares auf den Tisch komme – solide Kost, guter alter Stil, wenn man dem Dramatiker glauben durfte; überall sonst gebe es ranziges Fett und stinkenden Braten, hier aber verkehrten feine alte Herren, die noch zu leben wüßten; auch sei der Weinkeller gepflegt.

      Wirklich saßen in der braungetäfelten Stube, an deren Wänden Jagdbilder und schöne Teppiche hingen, nur bejahrte Väter, die nach Millionenvermögen aussahen. Noch würdevoller freilich als sie alle wirkte der Oberkellner: in dem Respekt, mit dem er Theophils Bestellungen entgegennahm, ließ sich ein klein wenig Ironie vermuten. Marder schlug vor, man möge mit Langusten beginnen. »Was meinen Sie, bester Heinrich?« erkundigte er sich bei Höfgen mit jener hinterhältigen Korrektheit, die Nicoletta bei ihm gelernt haben mochte. Hendrik hatte nichts einzuwenden. Übrigens fühlte er sich etwas unsicher und befangen in dem herrschaftlichen Lokal. Ihm wollte es scheinen, als habe der Oberkellner mit Geringschätzung seinen Smoking gemustert, der fleckig war und an einigen Stellen speckig glänzte. Unter dem taxierenden Blick des feinen Kellners ward Hendrik sich, flüchtig, aber mit Heftigkeit, seiner umstürzlerischen Gesinnung bewußt. ›Ich gehöre nicht in dieses Lokal für kapitalistische Ausbeuter‹, dachte er zornig, während er sich Weißwein eingießen ließ. Nun bereute er es, die Eröffnung des Revolutionären Theaters immer wieder hinausgeschoben zu haben. Von Marder aber war er enttäuscht. Dieser unbarmherzige, hellsichtige und gefährliche Kritiker der bourgeoisen Gesellschaft zeigte sich, da man ihm nun von Mensch zu Mensch gegenübersaß, als ein Herr mit bedenklich reaktionären Neigungen. Er hatte eine schnarrende Kommandostimme, einen tückischen Blick, trug einen viel zu tadellos gearbeiteten dunklen Anzug mit sorgfältig gewählter Krawatte, und von den Langusten, die nun serviert wurden, suchte er mit einer fatalen Kennerschaft die schönsten aus. Hatte er nicht mit jenen Figuren, die er in seinen Stücken verhöhnte, viele Eigenschaften gemein? Nun lobte er die gute alte Zeit, in der er jung gewesen und mit der die neue, oberflächliche, verkommene in keinem Punkte sich messen könne. Dabei hielt er fortwährend die kalten, unruhigen und gierigen Augen auf Nicoletta gerichtet, die ihrerseits nicht nur den Mund schlängelte, sondern auch den Körper in einem metallisch glitzernden Abendkleid. Barbara saß still dabei. Hendrik, degoutiert durch Nicolettas provokant betonten Flirt mit Marder, vielleicht auch nur eifersüchtig, wandte seine Aufmerksamkeit endlich Barbara zu. Da bemerkte er: ihr Blick war forschend auf ihn gerichtet gewesen. Hendrik Höfgen erschrak.

      Mitten in seinem Herzen erschrak er darüber, daß er Barbara Bruckner begnadet fand mit einem Reiz, den er noch an keiner anderen Frau je wahrgenommen hatte. Ihm waren schon vielerlei Frauen begegnet, aber noch keine wie diese. Während er diese anschaute, erinnerte er sich, in geschwinder, aber genauer Zusammenfassung – so, als gälte es, einen Schlußstrich zu ziehen unter eine lange und beschmutzte Vergangenheit – aller jener weiblichen Geschöpfe, mit denen er je zu tun gehabt hatte. Er ließ sie Revue passieren, um sie alle zu verwerfen: die handfest munteren Rheinländerinnen, die ihn, ohne viel Umstände und ohne viel Raffinement, eingeführt hatten in die derbe Wirklichkeit der Liebe; reifere, aber noch stramme Damen, Freundinnen seiner Mutter Bella; junge, aber keineswegs sehr zarte Dinger, Freundinnen seiner Schwester Josy; die erfahrenen Berliner Straßenmädchen und die kaum weniger tüchtigen der deutschen Provinz, die ihm jene besonderen Dienste zu leisten pflegten, nach denen er verlangte, und ihn solcherart den Geschmack verlieren ließen an weniger scharfen, weniger speziellen Lustbarkeiten; die kunstvoll hergerichteten, routinierten und stets gefälligen Kolleginnen, denen er jedoch seine Huld nur in den seltensten Fällen gewährte, die sich vielmehr mit seiner launenhaften, manchmal zur Grausamkeit, manchmal zur verführerischen Koketterie aufgelegten Kameradschaft zufriedengeben mußten; die Schar der Verehrerinnen – schüchtern-mädchenhafte oder pathetisch-düstere oder