Klaus Mann

Klaus Mann - Das literarische Werk


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»Du bist doch der drolligste kleine Dreckhaufen, dem ich jemals begegnet bin.« Sie hatte, um ihn nur zum Schweigen zu bringen, ihre beiden Hände auf sein Gesicht gelegt; die breiten Armbänder klirrten an seinem Kinn; auf seinen Wangen ruhten die hellen Innenflächen ihrer Hände. Da endlich verstummte er. Er rückte seinen Kopf auf dem Kissen zurecht, als wollte er einschlafen. Gleichzeitig schlang er mit einer hilfesuchenden Gebärde seine beiden Arme um das schwarze Mädchen. Während sie ganz still in seiner Umarmung hielt, ließ sie die Hände auf seinem Gesicht liegen, als müßte sie ihn davor bewahren, das zärtlich-höhnische Lächeln zu sehen, mit dem sie jetzt auf ihn niederblickte.

      3

      Knorke

      Die Saison ging weiter, es war keine schlechte Saison für das Hamburger Künstlertheater. Oskar H. Kroge war entschieden ungerecht gewesen, als er gesagt hatte, Höfgen werde überzahlt mit tausend Mark Monatsgehalt. Ohne diesen Schauspieler und Regisseur hätte das Institut gar nicht auskommen können; er leistete Enormes, war so unermüdlich wie einfallsreich. Er spielte alles, jugendliche Rollen und alte: nicht nur Miklas hatte Anlaß, auf ihn eifersüchtig zu sein, sondern auch Petersen, und sogar Otto Ulrichs hätte ihn gehabt; aber der war mit wichtigeren Dingen beschäftigt und nahm den bürgerlichen Theaterbetrieb nicht ganz ernst. Höfgen gewann sich die Kinderherzen als witziger und schöner Prinz im Weihnachtsmärchen; die Damen fanden ihn unwiderstehlich in französischen Konversationsstücken und in den Komödien von Oscar Wilde; der literarisch interessierte Teil des Hamburger Publikums diskutierte seine Leistungen in »Frühlings Erwachen«, als Advokat in Strindbergs »Traumspiel«, als Léonce in Büchners »Léonce und Lena«. Er konnte elegant sein, aber auch tragisch. Er hatte das »aasige« Lächeln, aber auch den Leidenszug an den Schläfen. Er bezauberte mit übermütigem Esprit, er imponierte mit herrisch gerecktem Kinn, abgehacktem Kommandoton und stolz-nervösen Gebärden; er rührte durch Demut, hilflos irrenden Blick, weltfremd zarte Verstörtheit. Er war gütig oder gemein, hochfahrend oder zärtlich, schneidig oder gebrochen – ganz wie das Repertoire es verlangte. In Schillers »Kabale und Liebe« spielte er abwechselnd den Major Ferdinand und den Sekretarius Wurm – den überschwenglichen Liebhaber und den ruchlosen Intriganten – dabei hätte er es kaum nötig gehabt, seine Wandlungsfähigkeit, an der niemand zweifelte, solcherart kokett zu betonen. Vormittags hatte er Proben zum »Hamlet«, nachmittags zu einer Posse »Mieze macht alles«, Die Posse kam zum Silvesterabend heraus und wurde ein starker Erfolg, Schmitz konnte zufrieden sein; über den »Hamlet« raste Kroge, der noch auf der Generalprobe die Aufführung untersagen wollte. »Eine solche Schweinerei habe ich noch niemals geduldet in meinem Hause!« empörte sich der alte Vorkämpfer des literarischen Theaters. »Hamlet erledigt man nicht nebenbei wie einen Reißer!« Höfgen erledigte ihn; sah sehr eindrucksvoll aus in seiner hochgeschlossenen schwarzen Tracht, mit rätselhaft schielenden Augen und fahlem Leidensgesicht, und bekam am nächsten Vormittag von der Hamburger Presse versichert, daß es eine interessante Leistung gewesen sei, nicht ganz durchgearbeitet vielleicht, etwas improvisiert, aber doch voll packender Momente. Angelika Siebert hatte die Ophelia spielen dürfen und war auf jeder Probe schier zerflossen vor Tränen; bei der Premiere hatte sie wegen heftigen Weinens kaum auftreten können. Übrigens fanden dann einige Kenner, ihre Leistung sei eigentlich die beste gewesen in dieser bedenklichen Inszenierung.

      Höfgen arbeitete sechzehn Stunden am Tag und hatte jede Woche mindestens einen Nervenzusammenbruch. Diese Krisen traten stets sehr heftig und in abwechslungsreichen Formen auf. Einmal fiel Höfgen zur Erde und zuckte stumm; das nächste Mal hingegen blieb er zwar stehen, schrie aber grauenhaft, und dies fünf Minuten lang ohne jegliche Unterbrechung; dann wieder behauptete er auf der Probe zum Entsetzen aller, er bekomme plötzlich seine Kiefer nicht mehr auseinander, ein Krampf habe eingesetzt, es sei scheußlich, nun könne er nur noch murmeln, und das tat er dann auch. Vor der Abendvorstellung, in der Garderobe, ließ er sich von Böck – der seine sieben Mark fünfzig noch immer nicht wieder hatte – die untere Gesichtshälfte massieren, stöhnte und murmelte mit aufeinandergepreßten Zähnen. Eine Viertelstunde später, auf der Bühne, gehorchte ihm sein Mundwerk wie eh und je; er benutzte es mit Geschicklichkeit, strahlte und hatte Erfolg.

      An dem Tage, als Prinzessin Tebab ihn versetzt hatte, weinte, schrie und zuckte er gleichzeitig. Es war ein gräßliches Ereignis; scheu und eingeschüchtert umstand ihn das Ensemble, das doch manches von ihm gewohnt war; schließlich begoß Frau von Herzfeld den Tobenden mit Wasser. Übrigens gab Juliette ihrem Freund nur selten Anlaß zu so viel Verzweiflung; meistens erschien sie zur ausgemachten Stunde pünktlich in seiner Wohnung und leistete genau das, was er von ihr erwartete. Gestärkt und erfrischt, noch einfallsreicher, herrschsüchtiger und zäher, ging er hervor aus diesen anstrengenden Nachmittagsunterhaltungen. Er sagte zu Juliette, daß er sie liebe, daß sie das Zentrum seines Lebens sei. Manchmal glaubte er, was er sagte. Büßte er nicht bei der Schwarzen Venus seinen Ehrgeiz, erniedrigte er nicht vor ihr seine Eitelkeit? Liebte er sie nicht wirklich? – Es konnte geschehen, daß er darüber nachgrübelte, nachts auf dem Nachhauseweg vom H.K. Dann sagte er sich: ›Ja, ich liebe sie, es ist sicher.‹ Eine noch tiefere Stimme ließ sich vernehmen: ›Warum belügst du dich selber?‹ Aber es gelang ihm, sie verstummen zu lassen. Die tiefste der Stimmen schwieg. Hendrik durfte glauben, daß er fähig wäre zur Liebe.

      Die kleine Angelika litt; Höfgen kümmerte sich nicht darum. Frau von Herzfeld litt; er speiste sie ab mit intellektuellen Konversationen. Rolf Bonetti litt, um der kleinen Angelika willen, die spröde blieb, wie eigensinnig und eifrig er sich auch um sie bewarb; so mußte sich der schöne junge Liebhaber mit Rahel Mohrenwitz trösten: dieses tat er widerwillig und ohne daß darum die angeekelten Züge verschwunden wären aus seinem Gesicht. Hans Miklas haßte; hungerte – wenn die Efeu ihm nicht gerade Butterbrote schenkte – schimpfte mit seinen politischen Freunden auf Marxisten, Juden und Judenknechte; trainierte zäh, bekam kleine Rollen und unterhalb der Backenknochen immer schwärzere Löcher.

      Mit seinen politischen Freunden steckte auch Otto Ulrichs viel zusammen. Gerade vor ihnen war es ihm peinlich, daß die Eröffnung des Revolutionären Theaters immer wieder hinausgeschoben wurde. Jede Woche erfand Höfgen eine andere Ausrede. Es geschah häufig, daß Ulrichs nach der Probe den Freund beiseite nahm, um zu flehen: »Hendrik! Wann fangen wir an!« Dann redete Höfgen, schnell und leidenschaftlich, von der Verwerflichkeit des Kapitalismus, vom Theater als politischem Instrument, von der Notwendigkeit einer kraftvollen, durchgearbeiteten, künstlerisch-politischen Aktion, und versprach schließlich, unmittelbar nach der Premiere von »Mieze macht alles« mit den Proben für das Revolutionäre Theater zu beginnen.

      Jedoch ging die stimmungsvolle Silvesterpremiere vorüber; viele andere Premieren folgten, die Saison nahte sich ihrem Ende, sie war fast vorbei: vom Revolutionären Theater gab es noch immer nicht mehr als das schöne Briefpapier, auf dem Höfgen eine hochgestimmte und verzweigte Korrespondenz mit prominenten Autoren sozialistischer Gesinnung führte. Als Otto Ulrichs wieder einmal bat und drängte, erklärte Hendrik ihm, für diese Saison sei es, tief bedauerlicherweise und infolge eines Zusammenkommens von fatalsten Umständen, zu spät geworden: man müsse leider bis zum nächsten Herbst warten. Diesmal verfinsterte sich Ulrichs Miene; Hendrik aber legte dem Freund und Gesinnungsgenossen den Arm um die Schulter und redete auf ihn ein mit jener durchaus unwiderstehlichen Stimme, die erst sang und bebte, dann heftig und schneidend wurde; denn nun geißelte Höfgen die moralische Verkommenheit der Bourgeoisie und pries die internationale Solidarität des Proletariats. Ulrichs war zu versöhnen. Man trennte sich mit langem Händedruck.

      Damals wurde eben die letzte Novität für diese Spielzeit vorbereitet: in Theophil Marders Komödie »Knorke« sollte Hendrik Höfgen die Hauptrolle spielen. Das gesellschaftskritisch-dramatische Werk Marders hatte großen Ruhm; alle Kenner priesen seine höchst persönlich geprägte Form, seine unfehlbare Bühnenwirksamkeit und geistvoll unbarmherzige Bosheit. Zu der »Knorke«-Uraufführung würden die Kritiker aus Berlin herbeigereist kommen. Übrigens erwartete man auch den Autor – nicht ohne Herzklopfen; denn Marders unerbittlich hohe Meinung von sich selber war ebenso bekannt wie seine grimmige Schnoddrigkeit und seine Neigung zu jäh aus dem Nichts geholten heftigen und dauerhaften Streitigkeiten.

      Bei aller Angst aber freute sich Höfgen auch auf die Ankunft des berühmten Dramatikers; er zweifelte kaum daran, daß dem Hellsichtigen und