der Kölner Gesellschaft in Zelten Erfrischungen, Blumen und Kunstgegenstände feilgeboten, es war nur ehrenvoll gewesen, da mitzumachen, und deshalb waren Frau Höfgen keinerlei Bedenken gekommen, den Champagnerausschank zu übernehmen: fünf Mark hatte sie für das Glas Sekt verlangt – das war etwas viel, doch man nahm es ja zum Wohle der armen Kleinen. Nachher aber hatte es den übelsten Klatsch gegeben: gemeine Menschen brachten die Frechheit auf, zu behaupten, Frau Bella habe nicht aus humanitären Gründen Schaumwein dargeboten, vielmehr habe sie es gegen Bezahlung getan, als Angestellte der Sektfirma, und obendrein habe sie sich küssen lassen – man stelle sich doch vor: küssen lassen, und zwar auf den Busen.
Mit ehrlicher Empörung berichtete dies Mutter Höfgen – man fuhr im offenen Wagen durch die sommerliche Stadt; sie bekam eine rote Miene vor Zorn, mußte sich den Schweiß von der Stirne wischen und rief aus: »So was ist doch eine bodenlose Gemeinheit! Dabei habe ich jeden Pfennig abgeliefert, und meine Einnahmen waren besser als die aller anderen Damen, das Waisenhaus hat sich eigens bei mir bedankt, und als mir ein Herr nur mal die Hand küssen wollte, da habe ich gleich gesagt, Sie dummer Kerl Sie, lassen Sie das! – und ich hätte ihm eine Ohrfeige versetzt, wenn er sich nicht gleich entschuldigt hätte. Die Menschen sind ja so boshaft – man kann sich noch so lady-like benehmen, sie sagen einem doch etwas Schlechtes nach. Aber jetzt werden ihnen die gemeinen Redensarten vergehen, jetzt stopfst du ihnen den Mund, Hendrik – was?« Dabei warf Frau Bella einen stolzen Blick, erst zu ihrem Sohne, dann auf Barbara. Hendrik litt unter den munteren Taktlosigkeiten der Mama. Er errötete, biß sich die Lippen und begann schließlich, in seiner Not, von der Schönheit der Straße, durch die man eben fuhr, zu sprechen.
Der Geheimrat empfing die Damen an der Gartentüre mit der gleichen heiteren Feierlichkeit, die er am Tage vorher für Hendrik gehabt hatte. Bella und Josy wurden von Barbara nach oben geleitet, wo sie sich geschwind die Hände waschen und die Nasen pudern wollten. Eine Stunde später fuhr man in zwei Automobilen zum Standesamt: im Brucknerschen Wagen nahmen, außer dem Brautpaar, Frau Höfgen und der Geheimrat Platz; in einem Taxi folgten Nicoletta, Josy, die alte Haushälterin und ein Jugendfreund Barbaras, der Sebastian hieß und über dessen Anwesenheit Hendrik etwas verwundert war.
Die amtliche Zeremonie war schnell erledigt. Nicoletta und der Geheimrat machten die Trauzeugen; alle waren ziemlich aufgeregt, Frau Bella und die kleine Haushälterin weinten, während Josy ein nervöses Lachen hören ließ. Hendrik beantwortete die Fragen des Standesbeamten mit einer belegten Stimme, wobei seine Augen starr wurden und etwas schielten; Barbara hielt ihren sanft forschenden Blick auf den Mann gerichtet, der da neben ihr stand und der nun, überraschenderweise, ihr Gatte sein sollte. – Es folgten Glückwünsche und Umarmungen. Zur allgemeinen Überraschung bat Nicoletta Frau Höfgen mit scharfer Stimme um die Erlaubnis, sie »Tante Bella« nennen zu dürfen, und da sie es gestattet bekam, küßte sie ihr mit diabolischer Korrektheit die Hand. Das imposante Mädchen war heute vormittag besonders blitzblank und von einer klirrenden Heiterkeit. In ihrem weißen, panzerartig harten Leinenkleid, zu dem sie einen breiten, grellroten Lackledergürtel um die Hüften trug, hielt sie sich sehr gerade. Zu Barbara sagte sie: »Ich bin froh, meine Liebe, daß alles so gut geklappt hat« – eine etwas sinnlose, jedoch mit schneidender Exaktheit vorgebrachte Bemerkung. Ihre schönen Katzenaugen funkelten. Sie nahm Fräulein Josy beiseite, um sie auf ein hervorragend gutes Mittel gegen Sommersprossen aufmerksam zu machen, das – wie sie plötzlich log – ihr Vater erfunden und im ganzen Fernen Osten eingeführt hatte. »Sie können es gebrauchen, liebes Fräulein!« sprach mit einem drohenden Gesichtsausdruck Nicoletta – die, höchst launischerweise, sich zwar mit Frau Bella, nicht aber mit Josy zu duzen wünschte. »Ihre kleine Nase ist ja ganz entstellt.« Dabei blickte sie mit Strenge auf den Sattel von rötlichen Flecken, der sich über Josys kecke Stupsnase breitete und auch noch einen Teil der Wangen und der Stirn bedeckte, wo die Pünktchen jedoch schon weniger massenhaft, in einer dünneren Verteilung lagen – so wie manche kosmische Spiralnebel oder Milchstraßensysteme an ihren Randgebieten dünner, sparsamer besetzt und gleichsam durchsichtiger werden. »Ja, ich weiß es«, sagte Josy beschämt. »Im Sommer ist das immer so arg bei mir. – Aber Konstantin mag es ganz gerne«, fügte sie, schon wieder getröstet, hinzu, um dann von der guten Stellung ihres Bräutigams beim Kölner Rundfunk zu erzählen.
Barbaras Großmutter, die Generalin, erschien erst zum Lunch. Es gehörte zu den Prinzipien der alten Dame, niemals ein Automobil zu benutzen; die zehn Kilometer, die ihr kleines Gut von der Brucknerschen Villa trennten, legte sie in einer altmodischen großen Kalesche zurück, und sie verspätete sich zu allen Familienfesten. Mit einer schönen, volltönenden Stimme, die sehr tief in den Baß hinunter und sehr hoch in den Diskant hinauf ging, beklagte sie es, daß sie das Schauspiel auf dem Standesamt versäumt habe. »Nun, und wie sehen Sie denn aus, mein neuester Enkelsohn?« sagte die aufgeräumte Großmama und fixierte Hendrik ausführlich durch die Lorgnette, die ihr an einer langen, mit bläulichen Juwelen verzierten Silberkette auf der Brust hing. Hendrik wurde rot und wußte nicht, wohin er schauen sollte. Die Musterung dauerte lange; übrigens schien sie nicht unvorteilhaft für ihn auszufallen. Als die Generalin die Lorgnette endlich sinken ließ, hatte sie ein Lachen, welches silbrig perlte. »Gar nicht übel!« stellte sie fest, wobei sie beide Arme in die Hüften stemmte. Sie nickte ihm munter zu. In ihrem weiß gepuderten Gesicht führten die schönen, dunkelklaren und beweglichen Augen eine noch eindringlichere, klügere und stärkere Sprache als der Mund, wenn er die große Stimme hören ließ.
Einer derartig wunderbaren alten Dame war Hendrik seiner Lebtag noch nicht begegnet. Die Generalin imponierte ihm ungeheuer. Sie hatte das Aussehen eines Aristokraten des achtzehnten Jahrhunderts: ihr hochmütiges, kluges, lustiges und strenges Gesicht war gerahmt von einer grauen Frisur, die über den Ohren zu steifen Röllchen gewickelte Locken zeigte. Im Nacken vermutete man einen Zopf: man war erstaunt und ein wenig enttäuscht, daß er fehlte. In ihrem perlgrauen Sommerkostüm, das am Hals und an den Manschetten mit Spitzenrüschen garniert war, hatte die Generalswitwe eine militärisch gerade Haltung. Das breite Halsband, das gleich oberhalb der Spitzenrüsche begann und dicht unterhalb des Kinns endigte – eine schöne antike Arbeit aus mattem Silber und blauen Steinen, die zu den Juwelen an der klappernden Lorgnettenkette paßten – wirkte an ihr wie ein hoher, steifer, bunt bestickter Uniformkragen.
In jeder Gesellschaft, die sie betrat, regierte die Generalin – sie war es nicht anders gewohnt. Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts hatte sie als eine der schönsten Frauen der deutschen Gesellschaft gegolten, und noch in den beiden ersten Jahrzehnten des zwanzigsten war sie gefeiert worden. Alle großen Maler der Epoche hatten sie porträtiert. In ihrem Salon hatten sich die Prinzen und Generale mit den Dichtern, Komponisten und Malern getroffen. Viele Jahre lang hatte man in München und in Berlin von der Klugheit und Originalität der Generalin beinah ebensoviel gesprochen wie von ihrer Schönheit. Da ihr Gatte – er war seit einigen Jahren tot – die Sympathie der allerhöchsten Stellen genossen hatte und übrigens reich gewesen war, verzieh man ihr Ansichten, Gesinnungen und Manieren, die man bei jeder anderen exzentrisch bis zur Anstößigkeit gefunden haben würde. Selbst dem Kaiser war ihre Schönheit aufgefallen; deshalb durfte sie, schon im Jahre 1900, für das Frauenstimmrecht plädieren. Sie konnte den »Zarathustra« auswendig und rezitierte zuweilen aus ihm, zur peinlichen Verwunderung ihrer aristokratischen Gäste, die dies für etwas Sozialistisches hielten. Sie hatte Franz Liszt und Richard Wagner gekannt; sie hatte Korrespondenzen mit Henrik Ibsen und Björnstjerne Björnson geführt. Wahrscheinlich war sie gegen die Todesstrafe. Ihrer großen Haltung, in der sich eine burschikose Sorglosigkeit mit unangreifbarer Würde verband, mußte man alles nachsehen.
Die Generalin machte auf Hendrik einen viel größeren Eindruck als der Geheimrat. Nun erst begriff er ganz, was für ein glänzendes Milieu es war, in das er eintreten durfte. Seine gute Mutter Bella hatte wohl recht gehabt – nur hätte sie nicht so taktlos darauf anspielen sollen – angesichts solcher Verwandtschaft würden den Spießern in Köln die frechen Redensarten vergehen über die angeblich heruntergekommene Familie Höfgen. Auch Barbara stieg noch einmal in Hendriks Achtung, da er feststellte, wie vertraut der Gesprächston zwischen ihr und dieser blendenden Großmama war. Barbara hatte ihre Schulferien und außerdem beinahe jeden Sonntag auf dem Gute der Generalin verbracht – Hendrik erinnerte sich nun, es gehört zu haben. Die unvergleichliche alte Dame hatte ihrem Enkelkinde Dickens oder Tolstoi vorgelesen – es war eine Leidenschaft