Klaus Mann

Klaus Mann - Das literarische Werk


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– man langweilt sich wenigstens nicht mit ihnen. Freilich: an der Wiege ist es mir kaum gesungen worden, und ich habe es mir wohl auch nicht gewünscht, daß eine Figur deiner Art einmal als Schwiegersohn an meinem Tisch sitzen würde. Aber ich neige dazu, die Dinge zu akzeptieren, wie sie sind – man muß den Phänomenen ihre beste und drolligste Seite abgewinnen, und übrigens wird meine Barbara ja wohl ihre vernünftigen Gründe haben, wenn sie dich heiratet …

      Hendrik glaubte zu spüren, daß er Erfolgschancen hatte. Um so gefallsüchtiger wurde er. Nicht länger konnte er es sich versagen, die Augen auf bewährte Art schillern zu lassen. Den Kopf im Nacken, vieldeutig und bezwingend lächelnd, machte er die Juwelenblicke, für deren Zauber der Geheimrat durchaus nicht völlig unempfänglich schien. Der alte Herr blieb auch aufmerksam und behielt den schmunzelnden Gesichtsausdruck, als Schwiegersohn Höfgen dazu überging, in effektvoll studierter Rede seine Gesinnung auseinanderzusetzen, wobei er für den ausbeuterischen Zynismus der Bourgeoisie und den frevelhaften Irrsinn des Nationalismus die vernichtendsten Worte fand. Der Alte ließ ihn schwärmen und deklamieren; nur einmal hob er die hagere, schöne Hand, um einzuwerfen: »Sie sprechen so verächtlich von den Bürgern, mein lieber Herr Höfgen. Aber ich bin auch einer. – Freilich kein nationalistischer und hoffentlich auch kein ausbeuterischer«, fügte er freundlich hinzu. Hendrik – das Gesicht über dem rosa Hemd gerötet vom lebhaften Gespräch und vom Wein – stammelte etwas davon, daß es auch großbürgerlich-überbürgerliche Typen gebe, für die der kommunistisch gesinnte Mensch durchaus Wertschätzung habe; daß das große Erbe der bürgerlichen Revolutionen und des Liberalismus im bolschewistischen Pathos lebendig bleibe, und dergleichen versöhnliche Beteuerungen mehr.

      Diesem Wortschwall winkte der Geheimrat lächelnd ab. Aber dann erzählte er – als wäre ihm doch daran gelegen, Höfgen von seiner politischen Vorurteilslosigkeit zu überzeugen – auf seine bedächtig wägende, zugleich schnörkelhaft umständliche und eindringlich anschauliche Art von den bedeutenden Eindrücken, die seine Reise durch die Sowjetunion ihm gebracht hatte. »Jeder objektiv Beobachtende muß es feststellen, und wir alle sollten uns an den Gedanken gewöhnen, daß dort drüben eine neue Form des menschlichen Zusammenlebens im Entstehen ist«, sagte er langsam und schaute mit seinem blauen Blick in die Ferne, als sähe er dort die großen und erschütternden Dinge, die in jenem Land Ereignis wurden. Mit Strenge sagte er noch: »Diesen Tatbestand bestreiten nur noch Narren oder Lügner.« Dann plötzlich änderte er den Ton; bat, man möge ihm die Schüssel mit den Himbeeren reichen, und noch während er sich bediente, sagte er, das beinah schelmisch lächelnde Gesicht ein wenig schief gehalten – wie er es zuweilen tat: »Mißverstehen Sie mich nicht, lieber Herr Höfgen: Natürlich ist diese Welt mir fremd – nur gar zu fremd, wie ich fürchte. Aber muß das bedeuten, daß ich ohne Gefühl bin für ihre zukunftsträchtige Größe?« Während er dies aussprach, nickte er Barbara zu, die ihm die Sahne gereicht hatte. Hendrik war froh, sich seinerseits wieder hören lassen zu dürfen. Für die Einzelheiten aus dem Leben in Sowjetrußland schien er sich nicht sonderlich zu interessieren; hingegen begann er mit Temperament vom Revolutionären Theater zu reden und von den Verfolgungen, denen er in Hamburg seitens der Reaktion ausgesetzt war. Er wurde sehr heftig; bezeichnete die Faschisten abwechselnd als »Tiere«, »Teufel« und »Idioten« und erging sich in den zornigsten Redensarten über jene Intellektuellen, die aus gemeinem Opportunismus mit dem militanten Nationalismus sympathisierten. »Die sollten alle aufgehängt werden!« rief Hendrik, wobei er sogar auf den Tisch schlug. Der Geheimrat sagte, gleichsam beschwichtigend: »Ja, ja – auch ich habe Unannehmlichkeiten gehabt.« Mit dieser Bemerkung spielte er auf die berühmten und skandalösen Ereignisse an: auf die Lärmszenen, die ihm nationalistische Studenten bereitet hatten, und auf die ordinären Angriffe, deren Gegenstand er in der reaktionären Presse gewesen war.

      Nach der Mahlzeit bat der alte Herr den Schauspieler Höfgen darum, eine Probe seiner Kunst vorzuführen. Hendrik, der darauf keineswegs gefaßt gewesen war, wehrte sich lange. Der Geheimrat aber ließ sich gar zu gerne ein wenig unterhalten und amüsieren: wenn sein Kind sich schon einen Komödianten, der ein rosa Hemd und ein Monokel trug, zum Gatten nahm, dann wollte er, der Vater, wenigstens eine drollige Darbietung davon profitieren. Hendrik mußte auf der Diele Rilke-Verse deklamieren; selbst die alte Haushälterin und der große Hund kamen herbei, um zu lauschen. Zu dem kleinen Auditorium gesellte sich noch Nicoletta, die an der Mahlzeit nicht teilgenommen hatte und vom Geheimrat mit halbironischer Feierlichkeit begrüßt wurde. Hendrik gab sich außerordentliche Mühe, arbeitete mit den raffiniertesten Mitteln, machte seine Sache sehr gut und erntete reichlichen Beifall. Als er mit einem Bruchstück aus dem »Cornet« geendigt hatte, schüttelte der Geheimrat ihm nicht ohne Bewegtheit die Hand, und Nicoletta, ihrerseits musterhaft artikulierend, lobte seine »blendende Aussprache«.

      Am nächsten Tage mußten die beiden Damen Höfgen, Mutter und Tochter, in Empfang genommen werden. Hendrik sagte zu Barbara, mit der er auf dem Bahnsteig wartete: »Du wirst sehen: Josy fällt mir um den Hals und erzählt, daß sie sich wieder verlobt hat. Es ist schauerlich – sie verlobt sich mindestens jedes halbe Jahr einmal, und mit was für Burschen! Wir sind jedesmal froh, wenn die Verbindungen auseinandergehen. Das vorige Mal hätte es meinen armen Vater fast das Leben gekostet. Der Bräutigam war ein Rennfahrer, er nahm Papa in seinem Wagen mit, und der Ausflug endete im Straßengraben. Der Rennfahrer ist Gott sei Dank tot, Papa hat sich nur ein Bein gebrochen, aber natürlich ist er sehr betrübt darüber, daß er heute nicht mit uns allen hier sein kann …«

      Es geschah, wie Hendrik prophezeit hatte: Schwester Josy, in einem grellgelben Sommerkleid, das mit roten Blumen bestickt war, sprang leichtfüßig aus dem Zuge – während die Mama noch im Coupé mit den Handkoffern beschäftigt war – fiel ihrem Bruder um den Hals und verlangte stürmisch von ihm, er solle ihr gratulieren; diesmal handle es sich um einen Herrn, der eine gute Stellung am Kölner Rundfunk habe. »Ich werde am Mikrophon singen dürfen!« jubelte Josy. »Er findet mich sehr begabt, im Herbst heiraten wir, bist du glücklich, Heini? – Hendrik!« verbesserte sie sich schnell und schuldbewußt. »Bist du auch so glücklich?« Höfgen schüttelte sie ab, als wäre sie ein lästiges Hündchen, das ihn ansprang. Er eilte der Mutter zu Hilfe, die aus dem Coupéfenster nach einem Gepäckträger rief. Josy inzwischen küßte Barbara auf beide Wangen. »Fein, dich kennenzulernen«, plapperte sie. »Natürlich müssen wir uns ›du‹ sagen – ›Sie‹, das wäre doch viel zu steif unter Schwägerinnen. Ich bin so froh, daß Hendrik endlich mal heiratet, bis jetzt habe nur ich mich immerzu verlobt, Hendrik hat dir ja bestimmt erzählt, wie schief es das vorige Mal ausgegangen ist, Papas Bein steckt noch immer in Gips, aber Konstantin hat wirklich eine sehr gute Stellung am Rundfunk, wir wollen im Oktober heiraten, großartig siehst du aus, Barbara, wo ist denn dein Kleid her, sicher ein echt Pariser Modell.«

      Hendrik hatte die Mutter herbeigeführt, und sein Gesicht strahlte, als sie Barbara beide Hände reichte. »Mein liebes, liebes Kind«, sagte Frau Höfgen, wobei ihre Augen ein wenig feucht wurden. Hendrik lächelte, zärtlich und stolz. Er liebte seine Mutter – Barbara begriff es, und sie freute sich. Freilich, manchmal schämte er sich ihrer, sie war ihm nicht fein genug, ihre Kleinbürgerlichkeit schien ihm blamabel. Aber er liebte sie: es ließ sich erkennen an seinem freudig belebten Blick und an der Art, wie er ihren Arm an den seinen preßte.

      Wie ähnlich sie sich sahen, Mutter und Sohn! Von Frau Bella hatte Hendrik die lange, gerade, etwas zu fleischige Nase mit den beweglichen Nüstern; den breiten, weichen und sinnlichen Mund; das starke und edle Kinn mit der markanten Kerbe in der Mitte; die weiten, graugrünen Augen; die hochgewölbten blonden Brauen, von denen der empfindliche Zug zu den Schläfen ging. Nur zeigte diese Physiognomie bei der stattlichen und biederen Dame einen anspruchsloseren, bescheideneren Charakter als bei ihrem Sohn: es fehlten die tragischen wie die diabolischen Zeichen. Bei ihr gab es kein Schillern der Augen, und die Lippen hatten kein aasig verführerisches, auch kein rätselhaft um Mitleid werbendes Lächeln.

      Frau Bella war eine energische, gutmütige, famos konservierte Frau von Anfang Fünfzig, mit frischen Farben im sympathisch offenen Gesicht, freundlich gewölbtem Busen, einer blonden Dauerwellenfrisur unter einem blumengarnierten Strohhut und mit einem leichten Sattel von Sommersprossen auf der Nase. Noch hatte sie keinen Anlaß, sich ganz zu den Alten zu rechnen und auf die Freuden des Lebens völlig zu verzichten. »Man will sich doch auch mal ab und zu amüsieren«, erklärte sie