Klaus Mann

Klaus Mann - Das literarische Werk


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»Der Arzt in Zürich war sehr zufrieden mit mir – weißt du …« und neigte sein großes, schönes, bleiches, von der Lüge gleichsam verklärtes Antlitz geheimnisvoll lächelnd Marion entgegen. Die bekam Angst.

      Sie mahnte und tröstete. Wer aber war da, um sie zu ermuntern und aufzurichten? – Marcel war da, und er sagte ihr, daß er sie liebe. Sie indessen konstatierte vor dem Spiegel: »Abscheulich sehe ich aus. Ich gefalle mir nicht. So mager darf ein Mensch gar nicht sein. Mein Gesicht ist winzig – ganz zusammengeschrumpft; nur noch Augen. Und einen Hals habe ich – wie eine Sechzigjährige.« Marcel widersprach: »Tu es plus belle que jamais …« womit er übrigens recht hatte. In ihrem abgezehrten Gesicht, das dramatisch gerahmt war von der lockigen Purpurfülle des Haars, gab es beunruhigend schöne Farben. Er küßte sie. Er legte sein verwildertes Kinderantlitz mit den tragisch aufgerissenen Augen zärtlich an ihre Wange. Ach, es war gut, wenn sein Vogelruf – sein singendes, klagend-jubelndes »Uhu!« – durch das Treppenhaus tönte. Dann trat er ein, schleuderte den leichten Hut in die Ecke, ließ sich aufs Bett fallen und redete.

      Marcel redet. Worte schießen hervor, so wie das Blut stürzt aus dem Munde des Kranken. Worte, Worte, Worte – sie verwirren sich, steigern sich, überschlagen sich; sie jammern, prahlen, untersuchen; sie klagen an, spotten, verdammen; sie wollen nicht aufhören, können nicht verstummen: Marcel scheint verdammt zum Sprechen wie der Ewige Jude zum Wandern. Schließlich preßt er sich die Fäuste gegen die Schläfen und schreit auf: »Mich ekelt so vor den Worten! Ach Marion, wenn du ahnen könntest, wie widerlich mir die Worte sind! Es ist mir, als müßte ich schmutziges Wasser saufen und wieder ausspucken. Die großen Begriffe sind schal geworden, abgenutzt – und keine neuen in Sicht, an die wir uns halten, an denen wir uns aufrichten könnten! Alles ist schon gesagt, alles ist schon verbraucht. Das neunzehnte Jahrhundert war enorm redselig, durchaus rhetorisch, ins Wort verliebt, ihm vertrauend wie einem Fetisch. Nun ist alles entleert. Die Krise des zwanzigsten Jahrhunderts – die ich wie eine Krankheit in meinem Leibe spüre – ist die Krise der großen Worte. Die Demokratie ist fertig, weil sie sich an die verbrauchten großen Worte klammert. Der Faschismus, die neue Barbarei, hat leicht siegen: er köpft Leichen. Wir müssen eine neue Unschuld lernen. Zu der kommen wir nicht durch Worte; nur durch die Tat. Die großen Worte hängen an uns wie Schmutz, machen unsere Stirnen klebrig und unsere Hände. Nur eine Flüssigkeit wäscht dies ab: Blut. Soll es unser Blut sein? Dann müssen wir es vergießen! Besser, es strömt dahin, als daß es uns in den Adern erstarrt wie ein zäher Brei. Wir sollen töten und leiden; nicht mehr reden und schreiben. Genug geredet! Genug geschrieben! Genug gedacht! Vielleicht werden andere Generationen wieder Freude und Gewinn von den Worten und Gedanken haben. Nicht wir – nicht mehr wir! Wir sollen gegen die Raserei des Rückschrittes nicht mehr Argumente setzen, sondern ein anderes Rasen, eine neue Besessenheit. Wir müssen blind und stumm werden und bereit zum Untergang. Nur so sühnen wir die Schuld unserer Väter … O Marion – Marion, halte mir den Mund zu! Ich ersticke an meinen Worten …«

      Und Marion bedeckte ihm die Lippen mit der Innenseite ihrer mageren Hand.

      Im Frühling bekam Marion eine Einladung von Siegfried Bernheim: er sähe sie gerne in seinem Heim auf der Insel Mallorca; sie möge kommen, einige Abende bei ihm rezitieren und eine Weile sein Gast sein. Ein Scheck für die Reisespesen lag bei.

      Damals befand sie sich gerade in Nice. Sie ging zum spanischen Konsulat, wegen des Visums. Der Beamte blätterte lange in ihrem Paß, von vorne nach hinten und von hinten nach vorn. Mißtrauisch wog er ihn in der Hand. »Sind Sie Tschechoslowakin?« wollte er schließlich wissen. – »Nein«, sagte Marion. »Das ist ein Fremdenpaß – wie Sie sehen.« – »Also nicht.« Der Beamte machte ein Gesicht, als hätte man ihm die letzte Hoffnung geraubt. »Also nicht Tschechoslowakin. – Alors, Madame, je comprends: en somme, vous êtes sans patrie.« Es klang sowohl mitleidig als auch tadelnd. Marion war erschrocken. Sie versuchte zu lachen: »C’est juste, Monsieur, c’est exact …«

      Auf Mallorca hatte sie gute Tage. Der blaue Himmel und die blauen Fluten leuchteten um die Wette. Wunderbar waren die faulen Vormittage am Strand, die langen Spaziergänge am Nachmittag durch das hügelige Land. Bernheim – konziliant, munter und stattlich wie immer – war der aufmerksamste Wirt, eifrig darum bemüht, seinen Gästen von den Augen abzulesen, was für Wünsche sie etwa haben mochten. Mit würdig zurückhaltendem Stolz zeigte er seine neuen Erwerbungen: ein Mädchenbildnis von Renoir, das Samuel in Paris für ihn eingekauft hatte, und ein Männerporträt von Greco, das er durch einen Händler erworben hatte und an dessen Echtheit Samuel zweifelte. Man war gesellig und guter Dinge. Abends stellten Freunde sich ein: junge Engländer, die viel Whisky tranken und sich beim Kartenspiel zankten; deutsche Maler und Literaten. Samuel, schalkhaft und väterlich, teilte sich mit Bernheim in die Pflichten und Rechte des Hausherrn. Niemand schien hier Sorgen zu haben; jedenfalls entsprach es nicht den Sitten, sie zu zeigen. Die Frauen gingen auch abends in bunten Strandpyjamas herum; die jungen Leute trugen lustig gestreifte Trikots, wie die Matrosen sie haben. »Dies ist die Insel der Seligen!« proklamierte Bernheim. »Alle lieben sich, alle fühlen sich wohl.« Von Politik war möglichst wenig die Rede. Wenn man die Lage einmal diskutierte – etwa die bedrohliche englisch-italienische Spannung wegen des abessinischen Krieges oder die Unruhen auf dem spanischen Festland – zeigte man eher ein sportliches Interesse als echte Beteiligung. Über Mussolinis Chancen, das Schicksal des Negus, die Zukunft der spanischen Republik redete man kaum anders als über die Details eines Stierkampfes in Palma oder einer großen Kartenpartie. Man schien dies alles nicht ganz ernst zu nehmen. Das Schwimmen im Meer, das Bridgespielen, der Flirt, die Liebe waren wichtiger. Samuel erklärte Marion: »Man muß den Leutchen ihre Ferien gönnen. Viele von denen, die hier so leichtfertig scheinen, haben in London oder Paris oder sonst irgendwo ein recht schweres Leben. Darum ist ihre Lustigkeit auch oft etwas krampfhaft. Hören Sie, wie diese Dame dort drüben in der Ecke schrill lacht? Mir tut es weh in den Ohren … Kommen Sie mit mir in mein Atelier hinauf! Ich zeige Ihnen mein neues Bild. – Gefällt es Ihnen?« fragte er dann mit seiner Orgelstimme, während er die Leinwand ins rechte Licht rückte. »Ja, mir scheint, es ist ziemlich gut. Ich bin jetzt wohl so weit, daß ich alles, was ich empfinde und was wichtig ist, durch Farben ausdrücken kann … Menschen interessieren mich kaum noch«, behauptete der Meister. »Ihre Angelegenheiten und Probleme langweilen mich meistens. Mich berühren nur noch die Farben. Sie sind echt, da gibt es keine Tricks, sie enthalten das Leben, sie sind Leben …« Er prüfte, schräg gehaltenen Kopfes, aus zusammengekniffenen Augen sein Werk. Der Fischerknabe mit dem Korb auf den nackten Knien war mit so viel raffinierter Zärtlichkeit gemalt; die Formen seines Körpers und des braunen jungen Gesichtes schienen mit so viel liebevoller Sorgfalt ausgeführt, daß die Behauptung des Meisters, er interessiere sich nicht für Menschen, durch seine eigene Schöpfung dementiert wurde.

      Als Marion ihren Vortragsabend in Bernheims Villa gab, fand sich die ganze englische und deutsche Kolonie zusammen; der große Saal im Parterre, wo der echte Renoir und der zweifelhafte Greco hingen, war überfüllt. Sogar der berühmte englische Schriftsteller war erschienen, der seine Villa droben in den Bergen hatte und sich sonst niemals sehen ließ. Marion brachte ihre wirkungsvollsten Stücke. Sie war gut in Form. Von den Engländern freilich verstand fast keiner etwas; indessen waren alle entzückt von Marions Stimme und von ihren Augen. Nach dem Vortrag gab es kaltes Buffet mit Champagner. Bernheim hielt eine sowohl launige als auch ergriffene Rede auf »das schöne Kammermädchen« – wie er Marion mit eigensinniger Scherzhaftigkeit nannte. »Solange Menschen wie Sie unter uns sind, brauchen wir nicht zu verzweifeln!« rief er ihr zu, das Sektglas in der erhobenen Hand. Alle klatschten. Der berühmte Schriftsteller, dessen Augen hinter dicken, sehr scharf geschliffenen Brillengläsern verschwanden, streckte mit einer merkwürdig ungeschickten, rührend befangenen Bewegung die sehr langen, dürren Arme aus, um zu applaudieren. ›Wie Serenissimus in einem Witzblatt‹, mußte Marion denken. Übrigens liebte sie seine Bücher und war neugierig darauf, ihn kennenzulernen. Durch Samuel ließ sie sich mit ihm bekannt machen.

      Er war sehr groß und mager, und es schien, daß er nichts Rechtes mit seinen endlosen Armen und Beinen anzufangen wußte. Das merkwürdig kurze Gesicht, mit dem sehr weichen und großen Mund, wurde beherrscht von den runden, spiegelnden Brillengläsern. Er versuchte auf eine befangene, zugleich hochmütige und schüchterne Art, zunächst deutsch mit ihr zu reden. Später sprachen sie englisch. –