Susan Carner

Mallorquinische Leiche zum Frühstück


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ja, natürlich. Sie kam seit einigen Jahren regelmäßig im Herbst zu uns, um sich zu entspannen. Wir haben hin und wieder geplaudert.«

      Sie konnte seinen Gesichtszügen entnehmen, dass sie mehr als nur geplaudert hatten. Erneut sah sie Schmerz darin. Ja, sogar Erschütterung.

      »Können Sie uns etwas zum Umstand ihres Todes sagen oder gibt es irgendwelche Besonderheiten, die Sie bemerkt haben?«

      »Äh, nein, nicht das ich wüsste.«

      »Warum sind Sie so nervös?«

      »Ich … äh, bin nicht nervös.«

      »Doch, das sind Sie.« Mercédès war überrascht, denn er schien eher der Typ eines selbstsicheren Managers zu sein. Was war mit ihm los?

      »Ich … nein, ja …«

      »Also, was jetzt?«, fragte sie hart.

      »Sie sehen doch, was hier los ist. Die ersten Gäste beschweren sich bereits, dass sie nicht ins Hallenbad dürfen, obwohl normalerweise die wenigsten am Vormittag den Pool nutzen. Die anderen beklagen sich über den Lärm, den die Bauarbeiter vom Nachbarhotel veranstalten. Keiner hat uns informiert, dass dort Renovierungsarbeiten durchgeführt werden«, kam es genervt vom Manager. »Brauchen Sie mich noch? Ich habe alle Hände voll zu tun, um die Gäste zu beruhigen.«

      War es nur das?, überlegte die Kommissarin und meinte: »Vorerst nicht. Wo kann ich Sie finden, wenn ich noch Fragen habe?«

      »In meinem Büro an der Rezeption«, damit marschierte er in weit ausholenden Schritten davon, wie es großgewachsenen Männern eigen war. Mercédès schaute ihm fasziniert nach, fühlte Blicke auf sich gerichtet und drehte sich nach diesen um.

      Am Beckenrand standen zwei männliche Personen. Ein schlaksiger Mit-Zwanziger mit kurzen dunklen Haaren, die wie dichte Borsten in die Höhe ragten, und der sie interessiert musterte. Der andere war älter, Ende Fünfzig, Anfang Sechzig, mit einem beachtlichen Leibesumfang. Seine Augen wanderten gemächlich über Mercédès´ Gestalt. Es war unschwer zu erkennen, dass ihm gefiel, was er sah.

      Wahrscheinlich mein neuer Kollege und der Gerichtsmediziner, überlegte Mercédès und bekam sofort ein schlechtes Gewissen, weil sie sich zuerst mit den Zeugen unterhalten hatte, anstatt die Kollegen zu begrüßen. Dabei hatte sie sich geschworen, an ihrer neuen Dienststelle die Arbeitskollegen mehr in ihre Ermittlungen einzubinden. Sie schob ihre widerspenstigen Locken hinter die Ohren, wie sie es immer tat, wenn sie sich ertappt fühlte oder nervös war. Und ärgerte sich gleichzeitig darüber, dass es ihr nicht gelang, diese Gewohnheit abzulegen.

      Mercédès ging auf die beiden zu, die ihr erwartungsvoll entgegenblickten. Der ältere Kollege sagte leise etwas wie ›Una dona guapa‹ auf Mallorquinisch, was so viel bedeutete wie ›schöne Frau‹, und grinste breit.

      Ich sollte schnellsten den Dialekt dieser Inselsprache lernen, dachte Mercédès, sonst würde das hier nichts werden, denn die würden ständig versuchen, mich auszuspielen. Wo ihnen doch eine Frau vom Festland vor die Nase gesetzt worden war. Warum änderte sich die Einstellung der Männer einfach nicht? Immer noch Frauen gegenüber skeptisch.

      Aber sie war das gewohnt. Zierlich wie sie war, traute man ihr ohnedies nicht viel zu. Doch es gefiel ihr, unterschätzt zu werden. Da machten vor allem Mörder gerne Fehler. Trotzdem nervte es sie, dass attraktive Frauen es nach wie vor schwer hatten, für ihre Kompetenz anerkannt zu werden. Innerlich seufzend und mit einem Blick auf die bereits aus dem Wasser gezogene und mit einem Tuch bedeckte Leiche meinte sie zu dem jüngeren Kollegen: »Ich hab noch nicht gefrühstückt!«

      Der junge Mann lachte. »Leiche zum Frühstück. Kommt doch öfter vor, oder?«

      »Jetzt, wo Sie das sagen. Nein, eher selten. Meistens werden sie als Mitternachtssnack serviert«, fügte sie lakonisch an. »Sie sind wohl Miquel, der mich so unsanft aus meinen Träumen gerissen hat? Freut mich«, und sie schüttelte ihrem neuen Kollegen die Hand.

      »Miquel Coll, die Freude ist ganz meinerseits«, lächelte dieser sie entwaffnend an.

      Konnte sie ihm das glauben? Sie wusste, dass gegen sie interveniert worden war. Allerdings nicht von wem.

      »Wir haben uns ebenfalls noch nicht kennengelernt«, und sie reichte dem Gerichtsmediziner ihre Hand. »Mercédès Mayerhuber«, lächelte sie entschuldigend.

      Dieser lachte dröhnend auf. »José Munar. Nennen Sie mich José. Und sorry, wenn ich lachen muss. Aber Ihr Name ist mehr als bemerkenswert.«

      »Wem sagen Sie das ...«, stöhnte Mercédès. »Mein Vater war aus Bayern und ein riesengroßer Mercedes-Fan. Ich denke nicht, dass er zeit seines Lebens je ein anderes Auto gefahren ist«, und musste lächeln bei dem verständnisvollen Blick, den Munar ihr schenkte, deshalb rückte sie mit der Geschichte ihrer Namensgebung heraus. »Mein Vater eiferte dem österreichisch-ungarischen Geschäftsmann Emil Jellinek nach, dessen Tochter ebenfalls Mercédès geheißen hat und die Namensgeberin der Marke Mercedes ist. Jellinek hat 1899 an einem Autorennen in Nizza mit einem Rennwagen aus der Daimler-Motoren-Gesellschaft teilgenommen, den er zu Ehren seiner damals zehnjährigen Tochter Mercédès getauft hatte. Und hat das Rennen gewonnen. So wurde der Vorname von Jellineks Tochter bekannt. Als er Geschäftspartner Daimlers geworden ist und eine neuartige Fahrwerks- und Motorkonstruktion entwickelt hat, erhielt die den Namen ›Daimler-Mercedes‹. Später wurde der eingedeutschte Name ›Mercedes‹ als Warenzeichen angemeldet und gesetzlich geschützt. So bringt heute den Namen ›Mercedes‹ kaum noch einer mit einem Mädchennamen in Verbindung. Außer mein Vater.« Der Frust war ihr deutlich anzumerken, trotzdem fügte sie hinzu: »Dabei ist es ein typisch spanischer Vorname, auch wenn meiner nach der französischen Variante geschrieben wird. Was in Spanien immer wieder zur Verwirrung führt ...«

      »Das glaube ich gerne. Doch ich finde den Namen ausgesprochen hübsch, wie die Trägerin«, lächelte José.

      Dankbar lächelte sie zurück. »Aber jetzt zu dem eigentlichen Grund, der uns hier zusammengeführt hat. Was haben wir?«

      »Die Tote wurde um acht Uhr von dem Ehepaar, mit dem Sie sich vorhin unterhalten haben, mit dem Gesicht nach unten im Pool treibend gefunden. Der Bademeister hat sie herausgezogen und versucht, sie wieder zu beleben. Allerdings vergeblich.«

      »Todesursache?«

      »Vermutlich Ertrinken.«

      »Herbeigeführt wodurch?«, und Mercédès kniete sich neben die Leiche, schlug das dünne grüne Tuch zurück, blickte in das aufgequollene Gesicht einer einstmals wahrscheinlich attraktiven Frau, das von verfilzten, langen rotblonden Haaren eingerahmt war.

      »Kann ich noch nicht sagen. Aber es war höchstwahrscheinlich kein Unfall durch Herzinfarkt oder dergleichen, sondern Fremdverschulden. Zumindest lassen die Abdrücke an ihren Schultern darauf schließen, die auf den ersten Blick frisch aussehen. Deshalb sind Sie gerufen worden.«

      »Bis wann können Sie sagen, woran sie tatsächlich gestorben ist?«

      »Hängt davon ab, wie schnell ich sie auf meinem Tisch in der Pathologie habe. Dann mach ich mich gleich an die Arbeit. In der Nebensaison hat auch die Gerichtsmedizin ein bisschen Luft«, lächelte José.

      »Können Sie schon etwas zur Todeszeit sagen?«

      »Zwischen sieben und acht Uhr«, antwortete Miquel Coll statt des Gerichtsmediziners.

      Mercédès blickte erwartungsvoll zu ihm auf, denn sie kniete immer noch neben der Toten und untersuchte die Spuren an den Schultern.

      Also fuhr Miquel fort: »Der Bademeister hat sie kurz nach sieben Uhr das Bad betreten sehen, und wie bereits erwähnt, wurde sie um acht Uhr gefunden. Also ein klares Zeitfenster.«

      »Danke Herr Kollege«, lächelte Mercédès. »José, denken Sie, dass Sie das näher eingrenzen können?«, und erhob sich.

      »Ich werde mein Bestes geben«, antwortete dieser gut gelaunt. »Aber nur, wenn Sie mich in der Pathologie besuchen.«

      »Abgemacht!