Daimon Legion

In die grüne Tiefe hinab


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erste Mal begegneten.

       Er war damals leider auch der Grund für einen wahren Zickenkrieg, der die ganze Schule erfasste. Die Mädchen glaubten, in jeder anderen eine Konkurrenz zu sehen. Ich musste mit manchem Getratsche zurechtkommen. Zerstritt mich mit Freundinnen, verlor Bindungen. Es war die tägliche Hölle. Alle krempelten sich um.

       Florian war das nicht entgangen.

       Nach der Schule kam er einmal auf mich zu.

       Irgendwie herrscht bei euch ein ganz schöner Stunk, wie?“, versuchte er ein lockeres Gespräch.

       In letzter Zeit schon . Bei einigen kochen gerade die Hormone über … , scherzte ich gespielt leichthin.

       Bei dir aber nicht, oder?

       Als ob er meinen schnellen Herzschlag spüren könnte. Meine feuchten Hände. Mein nervöses Blinzeln. Zum ersten Mal spürte ich diese wirren Schmetterlinge im Bauch, von denen die Verliebten sprachen. Er stand nah bei mir. Ich roch seinen Duft. Es war angenehm.

       War das die Liebe?

       Ich denke, das Theater ist bald vorbei , lächelte ich schüchtern.

       Er nickte ernst. „Hoffentlich . Die sollten mal erwachsen werden.

       Erwachsen. In meinem Kopf wurde endlich mal eine nützliche Lampe eingeschaltet! Florian mochte dieses kindische, gestellte Getue nicht. Er war so anziehend, weil er anders war als andere. Seinen eigenen Weg ging. Sich nicht verbiegen ließ. Das war erwachsen.

       Noch am selben Abend bat ich meine Mutter, mir die langen, mädchenhaften Haare abzuschneiden, hin zu einer modischeren, fraulicheren Frisur. Sie war sehr überrascht und lachte, ob ich denn verliebt wäre. Seitdem trug ich eine Art stacheligen Pagenschnitt und war begeistert, als man mich beim Einkaufen an der Kasse auf über achtzehn schätzte.

       Die Lästerschwestern hatten natürlich nichts dafür übrig. Ich sah für sie aus wie ein Vogelnest und so …

       Mir war das egal. Ich nahm mir vor, mich nicht mehr nach anderen zu richten. Und Florian grüßte mich mit einem Lächeln im Flur.

       Mein letztes Jahr. Unser letztes Jahr.

       Wir bereiteten uns alle auf die Abschlussprüfung vor. Der Leistungsdruck wurde durch die Reibereien untereinander natürlich nicht besser. Einige standen stark auf Kippe. Ich schlug mich so durch. Verbrachte mehr Zeit allein auf meinem Bett beim Lernen, denn nun wollte niemand mehr um die Häuser ziehen. Freunde kommen und gehen im langen, langen Leben …

       Kieran kam oft zu mir ins Zimmer und wir redeten viel. Er war lieber bei mir als bei unseren Eltern. Die waren von ihm ziemlich enttäuscht, weil er an einer Tankstelle Kaugummis und einen Energydrink geklaut hatte. Sein Glück, dass er minderjährig war. Hausverbot bei der Tanke und Stubenarrest gab es trotzdem. Er war froh, dass ich ihm nicht auch noch sauer war. Dummheiten machte schließlich jeder. Bei ihm sammelten die sich allerdings schon an.

       „Lern doch mal draus“ , hatte ich ihm gesagt.

       Ist doch eh bloß scheiße mit der ganzen Lernerei! , schimpfte er.

       Wann war aus meinem süßen kleinen Bruder dieser nörgelnde, fluchende, spuckende Freizeitdieb geworden? Ich hatte es nicht bemerkt. War ja mit mir genug beschäftigt. Ich hätte auf ihn aufpassen müssen. Ich war eine schreckliche, dumme Schwester gewesen.

       Bevor es wirklich ernst mit der Prüfung wurde, gönnte uns die Schulleitung noch ein letztes Mal Urlaub. Unsere Klassenfahrt sollte geplant werden und als Termin wurde uns eine Woche Anfang März genannt. Ich hatte von vornherein wenig Lust darauf, mit unserer zerstrittenen Gruppe ganze fünf Tage zu verbringen.

       Fünf Tage mit Florian zusammen erschienen mir dagegen sehr gelegen.

       Früher waren wir uns außerdem alle einig, wo es hingehen sollte. Heute hatte jeder einen anderen Vorschlag. Die einen wollten aufs Land, die anderen ans Meer, wieder andere in die Berge und noch mal andere hatten keinen Bock auf Natur. Sie wollten raus aus der Kleinstadt, hinein in die Metropole. Sie lockten die Mitschüler mit Events, Technik, Mode – halt alles, was cool, neu, angesagt war. Weil andere sagten, dass es cool, neu und angesagt war. Viele Menschen, viele Geschäfte, ein Haufen zu erleben.

       Nach wenigen Tagen Bedenkzeit hatten sie ihr Ziel erreicht. Wir würden eine Jugendherberge in der Großstadt beziehen, nah am Zentrum, dem Puls der Zeit. Und kaum, dass alles in die Wege geleitet war, fingen die, die diesen Vorschlag überhaupt erst gemacht hatten, an zu meckern. Zu teuer, zu leise, nicht die richtige angesagte Gegend …

       Hier konnte man es niemanden mehr recht machen. Ich war echt genervt von diesen Idioten.

       Wäre es fair, ihnen die Schuld an meinem Tod zu geben? An einem anderen Ort zu einer anderen Zeit wäre mir vielleicht nichts passiert. Aber jetzt ist es eh egal, wer Schuld hat.

       Am Abend vor der Abreise kam Kieran wieder in mein Zimmer. Ich packte gerade meinen Reisekoffer. Lud ihn voll mit den besten Klamotten, die ich besaß. Wollte ich zur Klassenfahrt oder auf den Laufsteg?

       Viel Spaß die Tage , sagte er mit einem gepressten Ausdruck in der Stimme und drückte mich kurz. Kieran hatte mit dem Knuddeln aufgehört, seit er in die Schule kam. Ich war total überrascht.

       Was ist los? , wollte ich wissen.

       Er zuckte die Schultern. Du bist lang weg.

       Und ich fehle dir jetzt schon?

       Wieder Schulterzucken. Wird scheiße ohne dich.

       Ach, Quatsch “, sagte ich und zerzauste ihm das Haar, das wird schon. Mom und Dad können dir ja nicht ewig sauer sein, oder? Das ist bald vergessen, lass den Kopf nicht hängen.

       Er sah nicht sehr überzeugt aus.

       Mach ihnen eine Freude, dann vergessen sie schneller , lächelte ich unbesorgt.

       Und was zum Beispiel?

       Zeitung austragen, ehrenamtliche Arbeit, klasse Noten … Es würde auch schon reichen, wenn du dich von diesem Luca fernhältst. Der macht dir nur Schwierigkeiten, wenn er dich zum Klauen überredet.

       Der letzte Satz traf ihn hart. Er schämte sich.

       Hör mal , sagte ich und zog ihn zu mir auf das Bett, du kennst doch die alte Frau Weißbach …

       Kieran schaute wieder skeptisch. Diese alte Hexe? Die ist doch fast hundert!

       Aber sie ist freundlich und hat einen süßen Hund. Du könntest ihr deine Hilfe