Daimon Legion

In die grüne Tiefe hinab


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und nicht nur Mist baust. Dann wird alles wieder gut.

       Er seufzte. Nickte. Ich kann es ja mal versuchen.

       Eben. Überrasche mich, wenn ich zurückkomme.

       Okay , sagte Kieran und drückte mich erneut. Diesmal war es ihm ernst.

       Tut mir leid, Brüderchen. Doch ich komme nicht zurück.

       Die Großstadt fanden schließlich doch alle aufregend. Die Menschenmassen, die vielen Autos, Straßenbahnen, U-Bahnen, Leuchtreklamen. Straßenkünstler an jeder Ecke. Und Bettler. Musik schien aus jedem Fenster zu tönen. Und Krach. Überfüllte Gehwege mit Fremden aller Art und Nation. Jeder hinterließ seine Spuren.

       Ich wusste nicht, ob ich diese Stadt hässlich oder schön nennen sollte. Ekel und Bewunderung auf beiden Seiten. Es gab so viel zu sehen. Genauso wie ich vieles nicht sehen wollte. Stress, Kreativität, Hektik, Humanität, Umweltaktionen, Schmutz, Gestank, Lärm, Gewimmel, Vogelgezwitscher.

       Auf einem großen Platz mit Wasserbecken und vielen wasserspeienden Pferden aus Kupfer machten wir eine Pause. Wir kauften Eis, Hotdogs, Burger und Döner. Weil die Papierkörbe überfüllt waren und Krähen zusätzlich den Müll verteilten, ließen viele Schüler ihren Dreck in der Gegend liegen.

       Das machen alle so in der Großstadt! , behauptete Jonas.

       Die Lehrerin erzählte unterdessen den wenigen zuhörenden Mitschülern die Geschichte des Brunnens. Welcher Architekt gewirkt hatte; wie viel Geld in den Bau eingeflossen war; wie der Platz früher aussah; wie die Stadt im späten Mittelalter als Zusammenschluss vieler kleiner Siedlungen gegründet wurde …

       Mir fiel die Vorstellung schwer, dass einst Wiesen und Hügel die Landschaft geprägt haben sollten, wo jetzt bloß noch Stahl, Beton und Teer das Bild beherrschten.

       Unweit von mir besah sich ein Obdachloser den liegen gelassenen Abfall.

       Großstadt. Große Träume. Doch für einige gingen sie niemals in Erfüllung, bis sie die Reste anderer aßen. Ein kalter Schauer erfasste mich beim Anblick dieses Mannes. Sein Gesicht war so schmutzig, dass ich es kaum erkennen konnte. Er musste versucht haben, sich im Brunnen zu waschen, er war tropfnass …

       Hier hast du was, Alter! , rief Sven und warf unerwartet seinen abgebissenen Burger dem Mann auf den gebeugten Rücken. Sofort keifte ihn die Lehrerin an. Sie drängte eilig zum Weitergehen – wohl, weil es ihr peinlich war, dass einer ihrer Schüler sich derart daneben benahm. An den Bettler richtete sie kein Wort der Entschuldigung. Sie schaute ihn nicht einmal an. Für sie war er kein Mensch, bei dem man sich entschuldigen müsste.

       Der Obdachlose sagte ebenfalls nichts. Er rührte sich nicht und sah nur zu, wie das Essen im Brunnen versank. Er machte ein trauriges Gesicht. Bestimmt hatte er Hunger. Da ich noch etwas von meinem Mittag übrig hatte, legte ich es beiseite, damit er es sich nehmen konnte. Zwar spürte ich, wie er mich anglotzte, doch ich traute mich nicht, den Blick zu erwidern und ging schnell meiner Klasse hinterher.

       Ob er mir leidtat? Jedenfalls hätte ich Sven gern eine dafür gelangt. Ich wünsche mir, dass er eines Tages genauso endet. Verspottet, verzweifelt und allein.

       Die Herberge war spartanisch eingerichtet. Die anderen Mädchen fanden die Betten zu grässlich oder zu hart, als dass sie sich je vorstellen konnten, darin zu schlafen.

       Es ist nur für vier Nächte, das wird ja wohl gehen, dachte ich mir.

       Florian sprach meinen Gedanken aus und setzt noch hinzu, dass keine von den Mädels die Prinzessin auf der Erbse war und daher niemand hofiert werden müsste.

       Die schnappten total ein!

       Ich musste lachen.

       Er war wirklich cool. Und geradeheraus. Ich hoffe, er wird es auch in Zukunft bleiben.

       Die nächsten zwei Tage waren wir in der Stadt unterwegs. Museen und Veranstaltungen wurden besucht, Denkmäler besichtigt, der Stadtpark mit seinen verschiedenen Freizeitangeboten und dem Stadion erkundet. Eine Führung über Brückenbau zeigte uns den breiten Fluss, der die Stadt zweiteilte. Ich sah einen bunten Schwan. Jemand hielt es für witzig, ihn mit Farbe zu besprühen. Er konnte noch so sehr untertauchen und sich waschen, der Lack ging nicht ab.

       Zum Ärger der anderen Schülerinnen, war Florian oft in meiner Nähe und wir sprachen über Belanglosigkeiten. Über die Familie, die Schule, die Prüfung. Er bot mir an, gemeinsam mit ihm zu lernen. Ich war sehr glücklich darüber.

       Am Donnerstag hatten wir nach dem Mittagessen Freizeit. Florian und ich gingen in der Nähe der Herberge spazieren. Wir hielten nicht Händchen oder so. Wir quatschten nur. Sahen uns die Grundstücke der Kleingartengemeinde an, die wie grüne Flecken in der Stadt wuchsen. Viele Sparten waren verwaist. In ihnen wucherte es dafür wild und gerade das gefiel Florian.

       Ist doch witzig , sagte er, „ selbst i n so einer Betonstadt wächst die Natur ungebunden und frei. Wenn wir Menschen mal nicht mehr sind, wird das alles hier mit Grün überzogen werden. Die Erde wird uns überleben.

       Florian besaß kein Handy oder Smartphone. Er war ein Naturmensch und hasste Konsum und Werbung. Diese Klassenfahrt in die Stadt war für ihn der blanke Horror. Ich vergaß mein Smartphone immer häufiger auf meinem Zimmer und bemerkte endlich mal, wie entspannend es war, nicht ständig online zu sein. Wir belächelten die Menschen, die uns entgegenkamen und am Bildschirm klebten.

       So wie ich früher.

       Die sehen nicht mal, was sie vor der Nase haben , spottete Florian.

       Hinter den Kleingärten gab es einen versteckten Sandpfad. Neugierig folgten wir ihm und waren erstaunt, dass er uns zu einem See führte. Ein grüner See inmitten der Großstadt, umzingelt von Hochbauten. Sogar ein kleiner Wald schloss sich fast ringförmig um das Ufer.

       Das muss mal ein angelegter Badestrand gewesen sein, meinte Florian und zeigte auf ein Schild, auf dem verwittert, kaum noch lesbar stand: Baden verboten! Lebensgefahr!

       Bestimmte Schilder sollte man beachten.

       Er setzte sich in den mit Grasbüscheln bewachsenen Sand und schaute auf das Wasser hinaus. Ich hätte mich fast in eine Glasscherbe gesetzt.

       Überall lag vergessener Müll herum. Bei einer Feuerstelle war es besonders schlimm mit Zigarettenstummeln, Plastikflaschen, Dosen und leeren Verpackungen. Graffitis zierten Steine und Sitzbänke.

       Sicher war das hier mal ein sehr schöner Ort , maulte Florian leise, „bevor all diese Trottel kamen. Auf alten Bildern sehen die Strände gepflegter aus. Da wurde der Schutzmann sauer, wenn du die Kippe einfach so fallen gelassen hast.

       Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich konnte schlecht alle Menschen als Trottel abstempeln, oder? War ich denn besser?

       Florian zog einen Schuh aus und ging zum Ufer. Das Wasser berührte seine nackten Zehen und er schüttelte sich.

       Schweinekalt!