Daimon Legion

In die grüne Tiefe hinab


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keinen Mist!“, blieb Frosch Lorin ungläubig.

      „Ein Menschenopfer, also ein von Menschen Ertränkter“, dachte Muschel Arnold für alle laut nach, „wird eigentlich wie jedes Opfer des Sees behandelt. Der Körper vergeht und der Herr erhält die Seele als Gewinn, ohne etwas dafür getan zu haben. Je mehr Seelen ein Herr vom See besitzt, umso stärker ist seine eigene Lebenskraft. Und dem See kommt das auch zugute.

      Wenn diese Dame aber sagt, sie wurde vom Herrn ertränkt … Obwohl wir wissen, dass das nicht sein kann … dann liegt hier irgendwo der Hund begraben.“

      „Was du nicht sagst, großer Lehrer!“ Lorin rollte die Glupschaugen. „Der Herr wird kaum in einem Anflug von Schlafwandel auf die Jagd nach Mädchen gegangen sein, oder?“

      „Das ist noch nie passiert“, meinte die Muschel entschlossen, „und wenn doch, wäre sie in dem Fall gewiss nicht in diesem Zustand.“

      „Es ist ja auch ein völlig absurder Gedanke!“, ereiferte sich Lorin. „Möglicherweise ist ihre Erinnerung durch das Sterben verwischt. Sie schützt sich selbst durch diese Ich-wurde-ertränkt-Theorie, um nicht mit ihren Schuldgefühlen konfrontiert zu werden. Sie hat sich ertränkt und nun hat der Herr sie als Mitesser an der Backe.“

      „Oh, hier spricht unser großer Psychologe!“, ironisierte Penina seinen strengen Verdacht. „Lorin, für Unterstellungen ist jetzt nicht die Zeit! Wir haben nur gesehen, wie das Mädchen gestorben ist, über weitere Umstände können wir nicht urteilen. Vielleicht ist es ein Trauma, vielleicht hat sie aber auch recht und wurde von einem ertränkt, wir wissen es nicht. Wenn wir sie eher gefunden hätte, ja, dann …“

      „Aber der Herr kann nicht -“, wollte Arnold diskutieren, jedoch schnitt ihm Penina das Wort ab.

      „Ich weiß, dass er es nicht gewesen sein kann! Ich verurteile ihn nicht. Doch was auch immer in dieser Nacht im See geschehen ist, er sollte so schnell wie möglich davon erfahren. Wenn jemand in seinem Gebiet wildert, wird er das nicht durchgehen lassen. Meint ihr nicht?“

      Arnold seufzte nachgiebig. „Schon. Doch das wird ein böser Start ins neue Jahr.“

      „Egal, es ist wichtig!“, sagte Penina ernst. Sie schwamm wieder vor Unas Gesicht. Das Mädchen war kreidebleich vor Verwirrung und Tod. Sie hielt sich selbst mit den Armen fest umschlungen und wäre sie nicht bereits vom Wasser umgeben, hätte sie Tränen geweint, groß wie Kastanien.

      „Oh, du Arme“, sprach Penina tröstend. „Ich kann durchaus verstehen, wie dir zumute ist. Das erscheint dir bestimmt alles wie ein böser Scherz. Doch du träumst nicht. Bitte hör mir zu.“

      Una schniefte und biss sich auf die Unterlippe. Wie sollte ein Fisch schon ihre Gefühle und das Chaos in ihr verstehen? Dennoch versuchte sie zaghaft, sich zusammenzureißen. Nach ein paar Versuchen schaffte sie es, sich etwas zu beruhigen und die Dinge sachlich zu sehen. Sie war tot, doch nicht verschwunden. Sie war ermordet worden, aber würde unter Umständen bald Hilfe bekommen. Es war mit ihr noch nicht ganz vorbei.

      Gefasst blickte sie den Fisch aufmerksam an.

      Penina lächelte, so weit sie das konnte, und sagte unter laufendem Nicken: „Gut so. Es ist alles gar nicht so schlimm. Zunächst einmal, wie ist dein Name?“

      „I-ich bin Una.“

      „Das ist ein sehr schöner Name“, gab Arnold dazu sanft ein Kommentar. Lorin schnaufte nur.

      „Una“, setzte Penina ihre Rede fort, „du bist tot, aber nicht so, wie du dir das vielleicht denken magst. Du bist in einem zweiten Leben, bloß nicht als Mensch. Derzeit magst du noch so aussehen, doch mit der Zeit wird aus dir ein Wassergeist werden. Du bist lebendig, keine Gefangene dieses Sees, aus Gründen, die wir nicht ganz verstehen.

      Darum halte ich es für das Klügste, wenn wir dich zum Herrn des Sees bringen. Er ist ein vollwertiger Wassergeist, sehr alt und mächtig. Er wird wissen, was zu tun ist. Und er kann dir sicherlich helfen.“

      Una nickte ebenfalls, lediglich zögerlicher. Da war jemand, der hier das Sagen hatte. Ein …

      „W-was genau meinst … du mit Wassergeist?“

      Lorin lachte hohl auf. „Das weißt du nicht? Noch nie etwas vom Nöck gehört? Oder dem Nicchus? Dem Hakemann oder Ichthyozentauren?“

      „Nein, nein“, verbesserte ihn Arnold rasch, „ich sage, er gehört zu den Vodyanoy. Unterart Utoplec.“

      „Ihr erzählt beide Stuss, und das wisst ihr!“, rügte Penina ihre Kameraden und wandte sich dann erneut Una zu, um langsam zu erklären: „Ein Wassergeist ist ein Naturwesen. Dichter und Romantiker haben viele Namen für Nixen, Undinen und Wassernymphen gefunden. Kann ja sein, dass du mal ein paar Geschichten gehört hast. Zum Beispiel Andersens kleine Meerjungfrau oder die Lorelei. Und es gibt sie nicht nur in weiblicher, sondern auch in männlicher Form.

      Ich kannte die Wassergeister einst aus der griechischen Mythologie als Najaden. Stell dir vor, alles in der Natur besäße eine Seele, dann wäre die Seele eines Baumes eine Dryade. Die Seele eines Berges hieße Oreade. Und die Seele eines Weihers, eines Flusses oder eben eines Sees hieße dann Najade.“

      Una überlegte kurz und schlussfolgerte daraus: „Ich bin jetzt also auch … eine Wasserseele – äh, ein Geist?“

      Penina schüttelte den Kopf.

      „Nein, noch nicht ganz jedenfalls. Bei dir gibt es da ein Problem.

      Normalerweise entspringt der Wassergeist einer neu erschlossenen Quelle. Oder eine Quelle entspringt aus einem Geist, beides ist möglich. Jedenfalls wird dieser Geist dann Herr seines Gewässers, hegt und pflegt es, sammelt Seelen für seine Kraft. Aber wie ein Baum nur eine Dryade beherbergt, so hat ein stilles Gewässer bloß eine Najade. Eine zweite im gleichen See wird nur auf Wohlwollen des Herrschers toleriert.

      Wenn also unser Herr damit einverstanden ist, dass du in seinem See leben kannst, dann wirst du nach und nach eine Najade werden.“

      „Und wenn nicht?“, bekam Una wieder aufsteigende Panik.

      „Dann wirst du dir wohl oder übel eine neue Heimat suchen müssen“, ulkte Lorin gemein. „Vielleicht eine Pfütze, einen Tümpel oder die Rohre einer Wasserleitung. Wir sind hier mitten in der Stadt – klare Quellen sind Mangelware. Sieh zu, wo du bleibst.“

      Penina zog ihm eins mit der Flosse über.

      „Gib nichts auf diesen Schwätzer, Una!“, zürnte ihm die Karausche. „Der Herr mag ja seine Ecken und Kanten haben, dennoch ist er weitaus intelligenter und charmanter als ein dummer Frosch.“

      „Charmant? Er? Pah! Gib nichts auf diese Träumerin!“, argumentierte Lorin gegen. „Wenn es denn nach ihr ginge, würdest du bald die Hochzeitsglocken läuten hören. Ich jedoch sage, der Herr wird keinesfalls begeistert sein, dass du zu ihm kommst, hübsches Mädchen hin oder her. Das ist kein Märchen hier!“

      „Realistisch betrachtet geht der Punkt an ihn“, schlug sich Arnold auf Lorins Seite.

      „Was soll das heißen?“, wollte Una wissen und sah auffordernd Penina an.

      Diese atmete durch und berichtete: „Es ist nur eine Legende, eigentlich. Ob sie sich bewahrheitet, wird sich zeigen.

      Es heißt in vielen Geschichten und Sagen, dass eine Jungfrau, die den Tod freiwillig im Wasser sucht, zur Braut des Wassermannes wird. Und vielleicht ist es ja so, dass der Herr dich leiden kann oder könnte. Es wäre wirklich zu schön! Dann müsstest du dir keine Sorgen mehr machen, ob er dich aus reiner Gnade im See duldet, oder weil er dich mag.

      Ich weiß, dass für die Liebe immer zwei dazugehören, doch warum nicht?“

      „Weil es romantisches Gewäsch ist“, winkte Lorin strikt ab. „Der Herr hat sich noch nie nach einer Menschenfrau umgesehen. Vor hundert Jahren schon nicht und heute auch nicht.“

      Una griff sich an die Stirn, als wollte sie Fieber prüfen, doch ihr fiel