Daimon Legion

In die grüne Tiefe hinab


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verschränkte die Arme vor der Brust und wich weiterhin ihrem neugierigen Blick aus.

      „Vielleicht. Mehr oder weniger“, war seine ungenaue Schilderung.

      „Geht es auch deutlicher?“

      Seine Raubfischaugen erfasste sie endlich und er zeigte seine spitzen Zähne beim Sprechen: „Vielleicht wirst du eine Plötze. Oder eine Rotfeder. Irgendetwas, das ich zum Spaß durch den See jagen kann. Keine Ahnung, wann das passiert. Liegt ganz an dir.“

      „Wieso an mir?“

      „Je nachdem, ob und wann du bereit bist, dein Menschsein hinter dir zu lassen. Zurzeit aber siehst du aus wie ein Mensch und stinkst für mich auch so. Doch du bist kein Mensch mehr, also vergiss es!

      Lass dein altes Leben los und beeil dich damit! Denn solange du noch unerfahren und unvollkommen bist, kannst du keine Herrin eines Gewässers werden! Stattdessen wirst du mich nerven!“

      Nicht nur er war gereizt. Seine autoritäre Art ging Una gleichermaßen an die Substanz. Hätte sie eine andere Wahl, würde sie ihn links liegen lassen und einen anderen um Rat fragen, als diesen verbohrten, übellaunigen, feindseligen -

      „Ach, was soll’s“, seufzte er schwer, „ich werde dich sicherlich nicht vor Sommeranfang los sein. Die Frösche müssen erst mal wach werden, und wenn die Libellen fliegen, kann ich mich besser bei der Nachbarschaft umhören.

      Bis dahin wirst du bleiben müssen. Mach dich also nützlich und lerne.“

      Una stutzte.

      „Frösche und Libellen?“

      „Schlangen tun es auch. Am besten sind flinke Tiere, die im Wasser und an Land gleichermaßen zurechtkommen. Ich begebe mich nicht für eventuelle Wahrscheinlichkeiten nach oben. Dafür habe ich diese Boten.“

      Sie verstand es so, wie andere Brieftauben aussendeten. Offenbar wollte er auf diesem amphibischen Weg Informationen zum Verbleib oder Verdacht ihres Mörders finden. Doch …

      „Wieso so lange warten?“, wollte sie wissen. „Lorin ist ein Frosch. Ihn kannst du bereits jetzt losschicken und wir verlieren keine unnötige Zeit! Ich will auch, dass wir Fremde bleiben.“

      Una bemerkte, wie Lorin bekümmert den Kopf einzog. Hatte sie etwas Falsches gesagt?

      „Das Ganze ist nicht dermaßen einfach“, belehrte sie der Wassergeist stolz. „Lorin kann das Wasser nicht verlassen. Er ist kein normaler Frosch. Die schlafen noch im Schlamm des Sees, warten darauf, dass das Wasser wärmer wird.

      Ist es dir nicht seltsam vorgekommen, dass er schon wach ist? Er ist nicht nur vorschnell. Lorin, Penina und diese Muschel da … Es sind Seelen, die ich gefangen habe und an diesen See binde, um mir zu dienen. Seelen von Menschen, die ich getötet und gefressen habe. Darum sind sie jetzt hier, in einer Gestalt, die ich als angenehmer empfinde als die der Menschen.

      Und sie bleiben hier. Sie werden meine Grenzen nie wieder verlassen.“

      „Du hältst sie gefangen“, verstand Una mit Schrecken. „All die sprechenden Seebewohner waren Menschen und du lässt sie nicht gehen?“

      „Ich bin der Herr vom See.“

      Ein grausamer Herr, dachte sie. Und sie sollte auch eine so grausame Kreatur werden. Resigniert verlor sich Unas Starrsinn. Sie saß mit den anderen Seelen in diesem Gewässer fest.

      „Wie du siehst, müssen wir beide warten“, war er genauso wenig erfreut.

      Sharik schwamm ein paar kräftige Züge in Richtung Graben.

       Ob er sich wieder schlafen legen will?

      Doch sie lag anscheinend falsch, denn er erteilte den drei verlorenen Seelen direkte Befehle: „Sucht ihr einen Platz, wo sie mir nicht in die Quere kommt. Ich sehe noch kurz nach der Quelle, dann werde ich oben bleiben. Fangt schon mal mit den Arbeiten an. Trommelt alle zusammen. Es gibt immer viel zu tun.

      Die Göre soll mitmachen, solange sie hier gastiert. Vielleicht verliert sie dadurch ihre hässliche Menschengestalt.“

      „Wird gemacht, Herr“, sagte die Muschel.

      „Wer warst du gleich noch mal?“

      „Ich bin Arnold.“

      „Ah ja“, meinte Sharik gedehnt, „hatte dich vorhin vergessen.“

      „Hab ich gemerkt, Herr.“

      Eine Entschuldigung kam dem Wassermann nicht in den absolutistischen Sinn. Jählings verschwand er wieder in der Tiefe seines Lochs.

      Una atmete erleichtert durch.

      „Bist du in Ordnung?“, fragte Penina, die mit ihren Freunden auf sie zu schwamm.

      Es war seltsam, die drei Geschöpfe anzusehen und sich vorzustellen, dass sie eigentlich einmal menschlich gewesen waren. Sie und alle anderen sprechenden Tiere. Männer und Frauen. Er machte auch vor Kindern nicht Halt. Sie alle waren Sharik zum Opfer gefallen und musste ihm nun dienen. Als Blutegel und Wasserfloh.

      „Ich sagte ja, das wird keine große Romanze“, stichelte Lorin den Fisch. „Er ist nicht der Typ für solche Gefühlsgeschichten.“

      Da gab Una ihm voll und ganz recht. Sharik war keineswegs ein normal fühlendes Wesen. Natürlich nicht. Wie sollte etwas, das kein Mensch war, jemals wie einer fühlen? Sein Herz musste kalt und tot sein, wie das jeder Leiche in diesem verfluchten See.

      Er war eine Bestie.

      Seine Krallen strichen über den Schädel. Schwarz war dieser, von Torf gefärbt. Wie der Rest des Skelettes. Trotz der Finsternis fasste er zielsicher jede Rippe. Jeden Wirbel. Jeden gewaltsam gebrochenen Knochen.

      „Menschen“, knurrte Sharik hasserfüllt.

      4

       Ein neues Zuhause

      „Was zum Geier ist sein Problem?“

      Una war außer sich.

      Zwar hatte sie bereits mit ihren Begleitern das Gebiet des Grabens verlassen und war wieder in den belebten Algenwald, ins Licht, eingetaucht, dennoch kam sie noch immer nicht von Shariks permanenten Beleidigungen los. Wenn ein Junge – ein ganz normaler Junge – sie so angegangen wäre, hätte der sein blaues Wunder erlebt.

       Zu blöd, dass er ein Monster ist …

      „Was hab ich ihm getan? Der nörgelt in einer Tour! Und wenn er nicht nörgelt, ist er ein arrogantes, egoistisches, aufgeblasenes Ar-“

      „Na ja, er ist nur mürrisch nach dem Winterschlaf …“, versuchte Penina ihren Zorn zu schlichten. „Niemand wird gern von schlechten Nachrichten geweckt. Erst recht nicht, wenn es sich dabei um Einbruch handelt.

      Du hast ihn heute auf einem schlechten Stand erwischt. An und für sich ist er -“

      „Er kann schon ein Mistkerl sein“, sprach Lorin es aus, jedoch ohne Hintergedanken. „Bei ihm hilft kein Schönreden, Nina. In erster Linie hasst er Menschen und ihre Gesellschaft. Gesellschaft im Allgemeinen. Und in zweiter Linie hasst er alles, was nicht nach seinem Kopf geht.“

      „Er ist halt eben schon lang allein mit sich“, stimmte Arnold zu, „da wird jeder etwas … schrullig.“

      „Warum nehmt ihr ihn in Schutz?“, fragte Una patzig.

      „Tun wir doch gar nicht!“, antworteten die drei wie aus einem Mund.

      „Und ob!“, pfefferte sie zurück. „Ihr verteidigt ihn, obwohl er ein bösartiger Killer ist! Er hat euch alle getötet, oder? Ihr seid Menschen gewesen und er hat euch ertränkt! Warum? Mit Einsamkeit hat das bestimmt nichts zu tun. Dieser See ist voller Leben und doch bringt der reihenweise Leute um! Er hat eure Seelen versklavt! Lasst ihr euch das gefallen?“