Ivy Bell

Emmas Sommermärchen


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15. Juli 2006

       15. Juli 2006, am Abend

       16. Juli 2006

       Über die Autorin

      Hamburg

      Emma erwachte mit einem pelzigen Gefühl im Mund. Sehr unangenehm! Sie öffnete vorsichtig ihr linkes Auge und blinzelte zu ihrem Nachttisch, auf dem normalerweise eine kleine, gelbe Plüschente saß. Heute aber nicht. Emma räusperte sich. Sie wird doch wohl nicht ihre geliebte Ente..... Nein! Niemals würde sie sie entsorgen. Emma schaute sich vorsichtig um. Irgendetwas stimmte mit dem Zimmer nicht. Es wirkte viel kleiner. Da bemerkte Emma eine Bewegung neben sich und hörte ein Stöhnen. Langsam kehrten ihre Erinnerungen an den gestrigen Tag zurück.

      Als sie gestern am späten Nachmittag von einem Praktikum in England zurückgekehrt war, warteten am Bahnhof Carla, Simone und Sarah auf sie. Zwischen sich ein Plakat, auf dem in großen Buchstaben »Willkommen zu Hause, Emma« stand, umrahmt von vielen kleinen Herzchen und Blumen, die alle etwas windschief aussahen. Sie riefen, winkten und hüpften auf und ab. Emma mochte keinen Rummel um ihre Person und war natürlich sofort knallrot angelaufen. Sie hatte sich geduckt, obwohl das bei ihrer Größe von gerade mal 164 cm eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre, und war zu der kleinen Gruppe gelaufen, um ihnen als Erstes das Plakat zu entreißen. Das folgende Handgemenge zog natürlich wesentlich mehr Aufmerksamkeit auf sich, als Emma lieb war. Die anderen johlten und kreischten, Emma verknotete sich in dem Plakat, irgendjemand rief etwas, was sie aber nicht verstehen konnte, schließlich prallte sie gegen etwas weiches und landete unsanft auf dem Boden. Als sie verstohlen unter dem Plakat hervorlugte, sah sie in das Gesicht eines grinsenden, sehr rundlichen Mannes. Emma wollte etwas sagen, aber es kam nur ein hilfloses Fiepen aus ihrem Mund. Der Mann hielt ihr seine Hand hin, verbeugte sich, half ihr auf und ging dann lachend seiner Wege.

      Carla feixte: »Wie du an seinem Bauch abgeprallt bist, herrlich!«

      »Das hat man davon, wenn man seinen Freunden das mit viel Herzblut gemalte Willkommensplakat entreißt«, Sarah schüttelte ihre roten Locken und lachte.

      »Ihr wisst doch genau, dass ich es nicht mag, im Mittelpunkt zu stehen.« Emma versuchte, ein geknicktes Gesicht zu machen, konnte sich selber aber das Lachen nicht mehr verkneifen.

      Schließlich hatten die Vier Emmas Gepäck nach Hause gebracht und waren in ein nettes Restaurant gegangen, in dem Emma ihren Freunden erst einmal ausführlich von ihrem Praktikum erzählen musste. Während sie von den wunderschönen Gärten schwärmte, ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen. Das Lokal war brechend voll, auch auf der Terrasse war kein Platz mehr frei. Sowohl im Restaurant als auch im Außenbereich lief ein Fernseher, offenbar wurde Fußball übertragen. Emmas Interesse an Sport war noch nie besonders groß gewesen. Das hatte schon in der Grundschule angefangen, als sie als Kleinste der Klasse beim Bocksprung am Hindernis hängen geblieben war. Das Gelächter ihrer Klassenkameraden verfolgt sie noch heute in ihren Albträumen.

      »Wird heute irgendein wichtiges Spiel übertragen?«, wandte sich Emma an ihre Freundin Sarah, die sich sehr für Fußball interessierte. Am Tisch wurde es still. Schließlich prusteten die Anderen los.

      »Du lebst wirklich nur für Pflanzen und Gärten, oder? Heute ist das Eröffnungsspiel der Fußball WM in München. Deutschland spielt gegen Costa Rica«, erklärte Sarah.

      »Und warum bist du dann hier und sitzt nicht zu Hause, knabberst aufgeregt an deinen Fingernägeln und feuerst »Deine Jungs« an?«, fragte Emma etwas spitz. Sarah war nämlich ein ausgesprochener Fußballfan, hatte eine Zeit lang selber gespielt, sich aber inzwischen lieber aufs Zugucken beschränkt. Nach mehreren Verletzungen wollte sie nicht mehr auf dem Spielfeld herumrennen.

      »Weil ich dich heute wiedersehen wollte. Außerdem kann ich ja ab und zu mal gucken, wie der Stand ist. Die Spiele werden doch sowieso überall übertragen. Je weiter die deutsche Mannschaft kommt, desto öfter werde ich mich in meine eigenen vier Wände zurückziehen und mir alles in Ruhe ansehen. Also genießt heute noch mal meine Anwesenheit, es könnte sein, dass ihr mich in den nächsten Wochen nicht mehr zu Gesicht bekommt.« Sarah lehnte sich zufrieden in ihrem Stuhl zurück und Emma bemerkte amüsiert, dass sie versuchte, den Ausführungen im Fernseher zu lauschen. Sie beschloss, ihre Aufmerksamkeit mehr auf ihre Schwester Carla und ihre Freundin Simone zu lenken. Sarah würde spätestens in neunzig Minuten wieder ansprechbar sein.

      »Wie geht es Nina?«, wandte Emma sich an Simone.

      »Sie pubertiert vor sich hin. Gerade war sie noch kuschelig und lieb, im nächsten Moment findet sie alles öde und zieht sich zurück. Ich komme aber ganz gut damit klar, schließlich war ich auch mal zwölf und fand das Leben merkwürdig, die Schule doof und überhaupt alles so schwer. Ich bin froh, dass ich Barbara habe. Sie hilft mir sehr.«

      Emma schaute in Simones hübsches, schmales Gesicht mit den ausdrucksvollen, grünen Augen. Seit sechs Jahren war Simone nun mit Nina alleine, so lange war es schon her, dass ihr Mann Stefan, der Sohn von Barbara, von einem betrunkenen Autofahrer überfahren worden war. Emma fragte sich, warum Simone nicht schon längst einen neuen Freund hatte. Ob sie immer noch zu sehr an Stefan hing? Obwohl sie seit über drei Jahren mit Simone befreundet war, hatte sie sich noch nie getraut, ihr diese Frage zu stellen. Meistens gingen sie ins Kino und redeten danach über den Film. Oder sie kochten und aßen zusammen und machten Spieleabende mit Nina, aber im Beisein ihrer Tochter würde sie Simone solche Fragen erst recht nicht stellen.

      Simone streckte sich und zeigte feixend auf Sarah, die sich auf ihrem Stuhl umgedreht hatte und fast über dem Nachbartisch hing, um das Spiel besser verfolgen zu können. Die Frau am Nebentisch schaute sie böse an, sie fühlte sich offensichtlich beim Turteln mit ihrem Begleiter gestört, aber das bemerkte Sarah nicht. Jetzt griff sie sogar geistesabwesend in die Schale mit Nüssen, die auf dem Tisch stand.

      »Sarah bekommt gleich was auf die Finger, wenn sie weiter auf den Nachbartisch kriecht. Die Frau sieht nicht gerade begeistert aus.«

      »Solange sie nicht vor die Tür gehen um sich zu duellieren, können wir ganz entspannt sitzen bleiben.«, bemerkte Carla und gähnte.

      Sie sah müde aus und hatte dunkle Ringe unter den Augen, die man trotz der sorgfältig aufgetragenen Schminke sehen konnte. Emma griff besorgt nach der Hand ihrer Schwester.

      »Du siehst müde aus. Wir können auch nach Hause gehen. Nicht, dass du noch vom Stuhl kippst.«

      »Kommt nicht in Frage. Es war nur wieder etwas anstrengend in der Agentur. Frau Hagen hatte schlechte Laune, wir waren ihr alle zu langsam, also eigentlich wie immer«, Carla verdrehte die Augen. »Ich bestelle mir jetzt noch einen Kaffee, dann geht es schon wieder. Wir machen heute richtig einen drauf, ich freue mich doch so, dass meine kleine Schwester wieder da ist. Morgen ist Samstag, da können wir ausschlafen. Sarah und Simone freuen sich auch schon seit Wochen auf diesen Tag.«

      »Ich war doch aber nur sechs Wochen weg«, bemerkte Emma, fühlte sich aber trotzdem geschmeichelt.

      Emma räkelte sich unter der Bettdecke und dachte an den weiteren Verlauf des gestrigen Abends. Als das Fußballspiel zu Ende war, fingen alle an zu jubeln. Deutschland hatte gewonnen und das halbe Restaurant lag sich in den Armen, auch Sarah und die Dame vom Nebentisch, mit der sie im Verlauf des Spiels tatsächlich Brüderschaft getrunken hatte. Sie hatten nämlich festgestellt, dass sie beide eine Schwäche für Jens Lehmann hatten, so etwas verbindet offensichtlich.

      Anschließend statteten die Freundinnen ihrem Lieblingsclub einen Besuch ab und tanzten und feierten dort in fröhlicher Runde. Die ganze Stadt befand sich wegen des Siegs der deutschen Mannschaft in Feierlaune.