Ivy Bell

Emmas Sommermärchen


Скачать книгу

habe Angst vor Frau Hagen. Wegen ihr habe ich keine Lust, zur Arbeit zu gehen. Das ist mir noch nie passiert, ich bin immer gerne arbeiten gegangen. Aber jetzt nicht mehr.« Carlas Stimme war leise und brüchig. Emma hatte ihre Schwester noch nie so gesehen, unglücklich, zerbrechlich und blass. Sie war immer stark gewesen, war unbeirrbar ihren Weg gegangen. Emma lehnte sich vor und strich Carla über den Rücken.

      »Und wenn du das Volontariat abbrichst? Du könntest woanders eins machen.«

      »Das will ich nicht!«, rief Carla. »Ich möchte es bei »Schiller & Tegenkamp« schaffen. Das ist eine der angesehensten Agenturen.«

      »Das stimmt wohl«, bestätigte Chris. »Frau Hagen ist schon sehr speziell. Ich bin froh, dass ich nicht in ihrer Abteilung gelandet bin. Aber du schlägst dich doch sehr gut.«

      »Wahrscheinlich hasst sie mich genau deswegen. Ich bin noch nie in ihrer Gegenwart in Tränen ausgebrochen, ich bin immer ruhig und gefasst, korrigiere meine Texte wieder und wieder, wenn sie es verlangt. Ich hatte eigentlich gedacht, es wird irgendwann besser. Aber es wird eher immer schlimmer. Deswegen lasse ich dich ja vorher schon immer Korrekturlesen. Welcher Redakteur macht denn so was?«

      »Deine Texte sind sehr gut. Daran liegt es nicht. Frau Hagen ist einfach eine verbitterte Frau, die gerne junge Volontäre piesackt.« Chris gähnte.

      »Lass uns nach Hause gehen«, meinte Carla zu Emma. »Ich muss morgen auch früh raus, mich von Frau Hagen zusammenstauchen lassen«. Sie grinste und Chris nahm sie in die Arme.

      »Du bist gut, das weißt du. Wenn sie dich ärgert, kommst du mich besuchen, okay?« Chris reichte Emma die Hand. »Es war sehr schön, dich endlich kennengelernt zu haben. So einen Abend müssen wir bald wiederholen, ich muss doch auch unbedingt erfahren, wie es mit dir und Marco weitergeht.« Er grinste und Carla giggelte los.

      »Macht euch nur lustig. Ihr seid ja bloß neidisch, dass ich mich morgen früh nochmal umdrehen kann, wenn ihr müde im Büro hockt.« Emma griff nach ihrer Tasche und schaute noch einmal in den Sommerhimmel, bevor sie sich mit Carla auf den Weg nach Hause machte.

      Hamburg

      Die Sonne schien ins Zimmer. Emma hatte lange geschlafen und saß jetzt an ihrem Laptop, um sich über ihren weiteren beruflichen Weg schlauzumachen. Sollte sie noch den Master machen oder sich bewerben? Es gab einige Stellen für Garten- und Landschaftsplanerinnen und Emma überlegte, einfach ein paar Bewerbungen abzuschicken. Das hieß ja noch lange nicht, dass sie die Stelle auch bekam. Oder annehmen musste. Emma lehnte sich in ihrem Schreibtischstuhl zurück und schaute auf das Bild ihrer Eltern, welches vor ihr an der Wand hing.

      »Ach Mama«, seufzte sie. »Wenn ich doch nur mit dir reden könnte.«

      In dem Moment klingelte das Telefon. Emma hüpfte in den Flur, nahm den Apparat aus der Station und meldete sich.

      »Hallo Emma, schön dich zu hören«, schallte ihr die Stimme ihrer Tante entgegen. Doris war die große Schwester ihres Vaters Michael. Im Gegensatz zu Michael hatte sie aber eine sehr laute Stimme. Emma hielt den Hörer ein wenig von ihrem Ohr weg.

      »Hallo Doris, schön dass du anrufst. Wie geht es dir?«

      »Mir geht es sehr gut. Wie war dein Praktikum? Hast du viele schöne Gärten gesehen? Ich gucke ja immer so gerne Rosamunde Pilcher Filme, da ist die Landschaft so schön.« Doris seufzte und Emma nutze die Gelegenheit, um ihrer Tante ein wenig von den schönen Gartenanlagen zu erzählen, die sie gesehen und in denen sie zum Teil sogar selber gearbeitet hatte.

      »Ich habe viele Bilder gemacht. Wenn wir uns treffen, dann zeige ich sie dir. Die gefallen dir bestimmt«, sagte Emma.

      »Vielleicht sehen wir uns früher, als du denkst. Es gibt ein Problem mit dem Haus eurer Eltern. Das Dach ist undicht. Und Familie Schuster möchte den Mietvertrag kündigen. Sie möchten nun doch zu seiner Mutter in das große Haus ziehen.«

      Emma, die während des Gesprächs in der Wohnung herumgelaufen war, musste sich erst einmal setzen.

      »Familie Schuster möchte ausziehen? Aber das ist ja .... schrecklich ......«, stotterte Emma in den Hörer.

      Nach dem Tod ihrer Eltern hatten Emma und Carla überlegt, was sie mit dem Haus machen sollten. Natürlich hätten sie es verkaufen können, aber sie hingen beide an ihrem Elternhaus. Die Lösung kam in Gestalt von Nele und Thomas Schuster, einem jungen Paar, welches bei Doris in der Nachbarschaft lebte. Nele hatte gerade erfahren, dass sie mit Zwillingen schwanger war, und die beiden wollten sich vergrößern. Emma und Carla boten den beiden ihr Elternhaus zur Miete an, so blieb es weiterhin in ihrem Besitz, stand aber nicht leer. Dass die beiden nun ausziehen wollten, betrübte Emma sehr.

      »Doris, ich muss das erst einmal verarbeiten und nachher mit Carla besprechen. Ich melde mich morgen noch mal bei dir, okay?« Dann kam ihr ein Gedanke. Sie hatte frei, es gab keinen Grund, warum sie nicht nach Hause fahren und sich das Ganze selber ansehen sollte. Sie hatte Doris schon lange nicht mehr gesehen und ihre Oma Käthe würde sich bestimmt auch über einen Besuch freuen. Ganz nebenbei könnte sie dann noch ein wenig über ihre Zukunft mit Marco nachdenken. Es war zwar etwas feige, sich nun einfach aus dem Staub zu machen, aber momentan erschien ihr die Idee sehr reizvoll. Außerdem vermisste sie ihre Heimat und das Meer. Ein wenig Urlaub könnte sie sich ruhig mal gönnen.

      »Doris, ich komme nach Möwenburg. Ich spreche aber noch mit Carla, vielleicht hat sie Zeit und begleitet mich für ein Wochenende. Ich melde mich noch und gebe dir meine Reisedaten durch.«

      »Das ist ja schön, ich freue mich sehr, euch mal wieder zu sehen. Dann sprich mit Carla und melde dich dann noch mal. Bis morgen.« Emma verabschiedete sich noch und legte dann auf.

      Sie saß noch eine Weile einfach nur da. Warum war sie nicht schon früher darauf gekommen? Nach dem Studium und dem Praktikum nach Möwenburg zu fahren, das war ihre erste gute Idee seit Langem.

      Währendessen saß Carla an ihrem Schreibtisch und schaute auf ihren Text, den Frau Hagen ihr, wie erwartet, mit vielen roten Anmerkungen zurückgemailt hatte. Die Änderungen kamen Carla ziemlich willkürlich vor. Sie druckte sich den korrigierten Text aus, schnappte sich die Blätter und rauschte aus dem Büro, verfolgt von den erstaunten Blicken von Frau Zeisler, Frau Hagens rechter Hand, mit der sie sich ein Büro teilte.

      Carla ignorierte den Fahrstuhl, der ihr immer zu lange brauchte, und sprang die Treppe hinauf. Chris hatte sein Büro zwei Etagen über ihr. Sie lief den Gang entlang, klopfte an seine Bürotür und trat ein, nachdem sie dazu aufgefordert wurde. Aber in dem Büro saßen nur zwei Kollegen von Chris, von ihm keine Spur.

      »Chris hat einen Termin außer Haus, der kommt heute nicht mehr rein«, klärte sie sein Kollege auf.

      »Oh, danke schön, dann komme ich morgen wieder«, sagte Carla und verließ das Büro. Und jetzt? Sie fühlte sich entsetzlich einsam. Sie wollte nicht wieder in ihr Büro, in dem sie mit niemandem reden konnte und nur gepiesackt wurde. Dort gab es nur Frau Hagen, Frau Zeisler und sie. In einem weiteren Raum saßen noch zwei Grafiker, aber zu denen hatte Carla kaum Kontakt. Und mit Frau Zeisler wurde sie auch nicht richtig warm, obwohl sie sich wirklich Mühe gab. Sie konnte sie einfach nicht einschätzen, wusste nicht, inwieweit sie ihr vertrauen konnte.

      Carla schaute auf ihre Uhr und beschloss, erst einmal Mittagspause zu machen. Schließlich war es gleich dreizehn Uhr und ihr Magen knurrte schon. Sie lief kurz in ihr Büro, legte den Artikel auf ihren Schreibtisch, nahm ihre Tasche und sagte Frau Zeisler Bescheid, das sie kurz etwas Essen gehen würde. Dann verließ sie das Büro. Dass Frau Zeisler hämisch hinter ihr her grinste, merkte sie nicht.

      Hamburg

      Emma stand in Barbaras Laden und fertigte ein Gesteck an, als Simone zur Tür hereinkam.

      »Hallo