Ivy Bell

Emmas Sommermärchen


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hatte, in das Behandlungszimmer. Ihre Hand schmerzte, aber dieser Arzt hatte sie bis jetzt kaum angesehen. »Hoffentlich schaut er sich meine Hand gleich richtig an und hat nicht nur Augen für Simone«, brummelte Emma vor sich hin.

      »So, da wären wir, bitte schön«, sagte Dr. Jäckel und öffnete eine Tür. »Sie können sich dort auf die Liege setzen, und Sie gerne auf den Stuhl daneben.«. Der Arzt rückte Simone einen Stuhl zurecht, aber diese lächelte nur.

      »Ich bleibe stehen, danke.«, erwiderte sie und lächelte Dr. Jäckel an. Dieser entfernte den Verband von Emmas Hand.

      »Haben Sie den Verband angelegt? Der ist richtig gut« Dr. Jäckel strahlte Simone an.

      »Den hat meine .... Freundin.... angelegt«, stotterte Simone und Emma schnaubte.

      Dr. Jäckel musterte die Schnittwunde.

      »Das ist ziemlich tief. Können Sie die Finger bewegen?« Er zeigte auf jeden einzelnen Finger und forderte Emma auf, abwechselnd damit zu wackeln.

      »Es ist gut, dass Sie ihre Finger bewegen können«, bemerkte Dr. Jäckel, während er Simone schon wieder anstrahlte. »Wir können die Wunde kleben, dann kommt noch ein Verband darum und Ende nächster Woche können Sie das von Ihrem Hausarzt nachuntersuchen lassen. Wenn Sie allerdings vorher Probleme haben, können Sie natürlich jederzeit hier vorbei kommen.«

      Bei diesen Worten schaute der Arzt schon wieder Simone an.

      »Warum nur habe ich das Gefühl, dass ich damit nicht gemeint bin?«, murmelte Emma. Dr. Jäckel verließ kurz das Zimmer, um eine Schwester und das nötige Verbandszeug zu holen.

      »Bin ich froh, dass er wenigstens kurz Augen für meine Hand hatte«, Emma grinste Simone an. »Den Verband hat also ein »Freundin« gemacht, aha!« Simone wurde prompt knallrot.

      »Es tut mir leid, ich weiß auch nicht,« stotterte sie. »Was hätte ich denn sagen sollen? Meine Schwiegermutter? Dann würde er mich doch nicht mehr anschauen! Was soll ich denn jetzt machen?«

      »Wenn du ihn sympathisch findest, dann frag ihn doch, ob er mal etwas mit dir trinken geht.« Emma musterte den Schnitt in ihrer Hand, der immer noch leicht blutete.

      »Das traue ich mich nicht«, zischte Simone und verstummte schnell, weil Dr. Jäckel zusammen mit einer Schwester wieder ins Zimmer kam. Er reinigte Emmas Hand und verklebte den Schnitt, dann verband die Schwester die Hand und Dr. Jäckel erzählte noch ein paar Dinge, auf die Emma die nächsten Tage achten sollte. Dabei ließ er Simone nicht aus den Augen.

      »Haben Sie eine Tetanusimpfung?«, fragte die Schwester Emma.

      »Ja, die wurde erst vor einem Jahr aufgefrischt.«

      »Gut, dann sind wir jetzt fertig. Ich wünsche Ihnen gute Besserung. Die Schwester lächelte Emma an und verließ das Zimmer. Kurz bevor sie durch die Tür verschwunden war, steckte sie noch einmal ihren Kopf ins Zimmer.

      »Dr. Jäckel? Kann ich Ihnen dann den nächsten Patienten bringen? Da ist ein Herr, der sehr aufgebracht ist wegen des Fußballspiels. Wenn wir ihn noch länger warten lassen, hyperventiliert er.«

      »Äh, ja, na gut«, bemerkte Dr. Jäckel zerstreut. Emma hüpfte von der Liege und sah Simone durchdringend an.

      »Ich warte dann draußen auf dich!«, sprach sie und beeilte sich, schnell durch die Tür zu kommen, um den beiden noch einen kurzen, ungestörten Moment zu lassen. Am Ende des Ganges sah sie schon den aufgebrachten Fußballfan nahen.

      »Hoffentlich tauschen sie wenigstens schnell noch ihre Handynummern aus«, war Emmas letzter Gedanke, bevor der Mann an ihr vorbei ins Behandlungszimmer rauschte. Im selben Moment kam eine selig grinsende Simone aus dem Raum, in der Hand eine Visitenkarte.

      »Er hat mich gefragt, ob wir morgen etwas trinken gehen wollen. Oh mein Gott, er sieht so gut aus, oder? Er sieht doch unwahrscheinlich gut aus, findest du nicht? Er hat sogar Grübchen, wenn er lächelt.« Simone war völlig aufgelöst.

      »Soll ich lieber fahren?«, bemerkte Emma trocken. Dann lächelte sie breit.

      »Ja, er sieht gut aus. Aber die Hauptsache ist, dass er nett zu dir ist.«, sprach sie, hakte Simone unter und fuhr mit ihr nach Hause.

      Möwenburg

      Carla und Emma saßen im Zug und waren aufgeregt. Seit über drei Jahren waren sie nicht mehr in Möwenburg gewesen. Damals hatten sie Doris besucht und waren bei Nele und Thomas Schuster eingeladen gewesen, um die Zwillinge anzusehen.

      »Ob sich viel verändert hat?«, fragte Emma ihre Schwester.

      »Glaube ich nicht«, bemerkte Carla. »Was soll sich in Möwenburg schon groß ändern? Es ist halt eine nette, gemütliche Kleinstadt.«

      »Jaja, dir war es da schon immer zu eng und provinziell. Ich freue mich, endlich mal wieder ein paar Tage dort zu verbringen. In ein paar Stunden können wir schon auf das Meer schauen.«, Emma seufzte und malte mit dem Finger ein Herzchen auf die Fensterscheibe des Zuges. Draußen zogen Wiesen und Felder vorbei.

      »Schau nur, Schafe!«, rief Emma aufgeregt und wedelte mit der Hand vor dem Fenster herum. »Kaum ist man aus Hamburg raus, wird es auch schon grün.«

      Carla zog ihren Laptop aus der Tasche.

      »Ich muss leider noch etwas für Frau Hagen fertig machen. Ich hoffe, das ist in Ordnung?«, sie sah Emma schuldbewusst an.

      »Klar, kein Problem, ich habe etwas zum Lesen dabei. Aber ich wäre froh, wenn du auch mal richtig abschalten würdest.«

      »Glaub mir, das wäre ich auch,« murmelte Carla, während sie ihre Datei öffnete und zu tippen begann.

      Knapp eineinhalb Stunden später stiegen Emma und Carla in Möwenburg aus dem Bus, der sie von Kiel aus in ihre alte Heimat gebracht hatte. Emma sah sich auf dem idyllischen Marktplatz um und hüpfte aufgeregt mal nach rechts, mal nach links.

      »Carla, schau, die Eisdiele. Sie ist immer noch da. Und der Blumenladen, der Bäcker, alles ist fast wie früher. Nein, es ist viel schöner. Schau nur, der Bäcker hat neue Markisen, weiß und grün. Und die Blumenkübel. Wie schön!«

      Carla stöhnte. »Emma, kannst du mal kurz ruhig sein? Mein Handy klingelt. Und ja, ich finde auch, dass die Markise hübsch ist.« Sie grinste und zog ihr Handy aus der Tasche. Als sie den Namen im Display erkannte, erstarb ihr Lächeln. Frau Hagen höchstpersönlich.

      In dem Moment bremste ein kleines, rotes Auto neben Emma und Carla und eine schicke Dame stieg aus. Sie trug eine schöne türkisfarbene Tunika zu einer weißen Hose, hatte eine große Sonnenbrille auf der Nase und trug einen flotten, blond gesträhnten Kurzhaarschnitt. Die Dame strahlte die beiden an und breitete ihre Arme aus. Emma fand ihre Sprache als Erste wieder.

      »Tante Doris? Wow, du siehst fantastisch aus!«

      Carla hatte vor Schreck ihre Chefin weggedrückt. Sie schaute zuerst auf ihr Handy, dann auf ihre Tante, dann schaltete sie das Handy aus und steckte es entschlossen in ihre Tasche.

      »Ich behaupte einfach, da war ein Funkloch«, bemerkte sie, bevor sie auf ihre Tante zuging.

      Beide umarmten Doris und schauten sie bewundernd an.

      »Du siehst fantastisch aus!« Carla zupfte an Doris Haarsträhnen. »Die Frisur steht dir richtig gut. Und die Farbe ist toll!«

      »Danke.« Doris strahlte. Vor etwas über einem Jahr war sie noch eine unscheinbar gekleidete Frau mit dunkelgrauen Haaren gewesen. Seit dem Tod ihres Bruders hatte sie immer mehr überlegt, ob sie ihr Leben wirklich so lebte, dass sie irgendwann einmal zufrieden zurückblicken konnte. Vor eineinhalb Jahren hatte ihre Mutter Käthe darauf bestanden, in ein Heim zu kommen. Sie wollte nicht von ihrer Tochter gepflegt werden.

      »Ich werde immer mehr vergessen