Edar Allan Poe

Seltsame Geschichten


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Legrand gehörte, stürzte herein, sprang mir auf die Schulter und überschüttete mich mit Liebkosungen, denn ich war bei meinen früheren Besuchen sehr freundlich gegen ihn gewesen. Als seine Freudensprünge vorbei waren, besah ich mir das Papier und war, um die Wahrheit zu sagen, nicht wenig erstaunt über das, was mein Freund gezeichnet hatte.

      »Nun ja«, sagte ich, nachdem ich es eine Weile betrachtet hatte, »das ist wirklich, wie ich gestehen muß, ein seltsamer Käfer. Er ist für mich ganz neu, und ich habe nie etwas Ähnliches gesehen – es sei denn bei einem Schädel oder Totenkopf, mit dem er mehr Ähnlichkeit hat als alles, was mir bisher vorgekommen ist.«

      »Ein Totenkopf«, wiederholte Legrand. »Jawohl, etwas Ähnlichkeit hat er ohne Zweifel in der Zeichnung damit. Die beiden oberen schwarzen Flecke sehen wie Augen aus – nicht wahr? Und unten der längere wie ein Mund – auch ist der Umriß oval.«

      »Vielleicht«, antwortete ich. »Übrigens, Legrand, ich fürchte, Sie sind kein großer Künstler, und ich muß warten, bis ich den Käfer selbst sehe, um mir von seinem wirklichen Aussehen ein Bild zu machen.«

       »Nun, ich weiß nicht«, sagte er etwas gereizt, »ich zeichne sonst ganz leidlich – ich sollte es wenigstens, denn ich habe eine gute Schule gehabt und schmeichle mir auch, daß ich nicht so unbegabt bin.«

      »Aber, mein lieber Freund, dann machen Sie sich einen Spaß mit mir«, sagte ich. »Dies ist ein ganz leidlicher Schädel – ich könnte sogar sagen, es ist ein ganz ausgezeichneter Schädel, wenigstens nach der gewöhnlichen Vorstellung, die man sich von einem solchen physiologischen Gegenstand macht. Und Ihr Käfer muß der eigentümlichste Käfer der Welt sein, wenn er ihm gleicht. Wahrhaftig, sein Anblick könnte einen zu einem abergläubischen Gruseln verführen. Ich schlage vor, wir nennen den Käfer Scarabaeus caput hominis oder so ähnlich – es gibt ja solche Namen in der Naturgeschichte. Aber wo sind die Fühler, von denen Sie sprachen?«

      »Die Fühler?« sagte Legrand, der sich bei dem Gespräch merkwürdig zu erregen schien. »Die müssen Sie doch sehen. Ich zeichnete sie genau so, wie sie bei dem wirklichen Insekt sind, und ich nehme an, das genügt.«

      »Nun ja«, antwortete ich, »vielleicht haben Sie das getan – nur sehe ich es nicht.« Damit überreichte ich ihm das Papier, ohne weiter eine Bemerkung zu machen, denn ich wollte seine Erregung nicht noch steigern. Aber ich war doch sehr erstaunt über die Wendung, die unsere Unterhaltung genommen hatte. Seine Verstimmung verblüffte mich, und was die Zeichnung des Käfers anging, so waren wirklich keine Fühler darauf zu sehen. Das Ganze glich vielmehr genau dem gewöhnlichen Umriß eines Totenschädels.

       Er nahm sehr verdrießlich das Papier und war gerade dabei, es zu zerknüllen, offenbar, um es ins Feuer zu werfen, als ein zufälliger Blick auf die Zeichnung plötzlich seine Aufmerksamkeit zu erregen schien. Sein Gesicht wurde einen Moment dunkelrot und gleich darauf ganz blaß. Ohne sich zu rühren, betrachtete er die Zeichnung minutenlang aufs genaueste. Dann erhob er sich, nahm eine Kerze vom Tisch und setzte sich auf eine Schiffstruhe im entferntesten Winkel des Zimmers. Hier begann er von neuem das Papier sorgfältig zu untersuchen, indem er es nach allen Richtungen umwandte. Er sprach aber kein Wort, und sein Benehmen versetzte mich in das größte Erstaunen. Trotzdem hielt ich es für das klügste, die wachsende Erregung seiner Stimmung durch keine Bemerkung zu vergrößern. Nach einer Weile nahm er aus seiner Rocktasche eine Briefmappe, legte das Papier sorgfältig hinein und verschloß beides in einem Schreibtisch. Sein Verhalten wurde jetzt etwas ruhiger, aber die ursprüngliche gehobene Stimmung war ganz verschwunden. Trotzdem schien er weniger verstimmt als zerstreut zu sein, und je mehr der Abend fortschritt, desto mehr versank er in Träumerei, aus der ich ihn durch keine lustige Bemerkung erwecken konnte. Es war meine Absicht gewesen, die Nacht in der Hütte zu verbringen, wie ich es schon oft getan hatte; aber da ich meinen Wirt in einer solchen Laune sah, hielt ich es doch für das beste, aufzubrechen. Er drängte mich nicht zu bleiben, schüttelte aber beim Abschied meine Hand mit fast größerer Herzlichkeit als sonst. Ungefähr einen Monat später (ich hatte inzwischen nichts von Legrand gesehen) besuchte mich Jupiter in Charleston. Noch nie war mir der gute alte Neger so niedergeschlagen vorgekommen, und ich fürchtete, meinem Freunde sei ein ernsthaftes Mißgeschick widerfahren.

      »Nun, Jup«, fragte ich, »was ist denn geschehen? Wie geht es deinem Herrn?«

      »Ach, Massa, um die Wahrheit zu sagen, es sein nicht ganz so wohl, wie sich gehört.«

      »Nicht wohl? Das tut mir aber leid! Worüber klagt er denn?«

      »Ja, das ist es! Er nie über etwas klagen – er aber wirklich sehr krank sein.«

      »Sehr krank, Jupiter? Warum sagtest du das nicht sofort? Liegt er zu Bett?«

      »Nein, das nicht! Er überhaupt nicht liegen – das ist gerade, warum mich der Schuh drücken. Mein Kopf sein sehr schwer wegen armen Massa Will.«

      »Jupiter, ich möchte nun endlich wissen, worüber du redest. Du sagst, der Herr ist krank. Hat er dir nicht mitgeteilt, was ihn quält?«

      »Ach, Massa, es sein nicht nötig, sich darüber aufzuregen – Massa Will sagen nie, was ihm fehlen – aber warum gehn er denn herum und sehen so aus, und lassen den Kopf hängen und regen sich auf, und sein so weiß wie eine Gans? Und halten immer Syphons in der Hand –«

      »Was hält er, Jupiter?«

      »Er halten ein Papier mit Schiffers und Zahlen in der Hand – die merkwürdigsten Syphons, die es geben. Muß mich um ihn kümmern, muß jetzt mächtig scharfes Auge auf ihn haben. Neulich rücken er aus bei Sonnenaufgang und sein den ganzen lieben Tag verschwunden. Ich hatten dickes Stock geschnitten, um ihm sehr gute Prügel bei Rückkehr zu geben – aber bin sich ein Narr, hatten nicht das Herz – er sich zu elend ausgesehen.«

      »Wie? Was? Na ja, aber du mußt nicht zu streng mit dem armen Kerl umgehen – du darfst ihn nicht prügeln, Jupiter, das hält er nicht aus. Aber hast du keine Idee, wodurch seine Krankheit oder, besser gesagt, sein verändertes Benehmen verursacht ist? Ist, seit ich dort war, etwas Unangenehmes vorgekommen?«

      »Nein, Massa, nichts Unangenehmes sein vorgekommen, seitdem – es sein gekommen vordem – es war am selben Tag, als Massa da waren.«

      »Wie? Was meinst du damit?«

      »Ja, Massa, ich meinen den Käfer von damals.«

      »Was?«

      »Den Käfer – ich sein sehr gewiß, daß Massa Will gebissen worden am Kopf von diesem Goldkäfer.«

      »Und welcher Grund bringt dich auf diese Annahme, Jupiter?«

      »Gründe genug, Massa. Ich nie einen solchen Teufelskäfer gesehn – er treten und beißen alles, was nahe kam. Massa Will ihn fest packen, aber ihn mächtig schnell wieder fahren lassen – das war Moment, wo er gebissen sein müssen. Mir selbst nicht gefallen das Maul von Käfer, darum ich ihn nicht packen mit Finger, sondern mit Stück Papier, das ich gefunden. Ich ihn wickeln in das Papier und ihm ein Stück Papier ins Maul stecken – so es gegangen.«

      »Und du glaubst also, daß dein Herr wirklich von dem Käfer gebissen wurde, und daß der Biß ihn krank gemacht hat?«

       »Ich nichts darüber glauben, ich es wissen. Warum träumen er so viel von Gold, wenn nicht wegen Goldkäfer? Ich haben schon früher von goldenen Käfer gehört.«

      »Aber woher weißt du, daß er von Gold träumt?«

      »Woher ich wissen? Nun, weil er davon im Schlaf sprechen – daher ich wissen.«

      »Gut, Jup, vielleicht hast du recht. Aber welche glücklichen Umstände verschaffen mir die Ehre deines heutigen Besuchs?«

      »Wie meinen Massa?«

      »Bringst du eine Botschaft von Mr. Legrand?«

      »Nein, Massa, ich bringen hier diesen Brief«, und damit reichte mir Jupiter ein Schreiben, das folgendermaßen lautete:

      »Lieber Freund, warum habe ich Sie so lange nicht gesehen? Sie sind doch hoffentlich nicht so töricht gewesen, mir irgendeine kleine Unhöflichkeit in