Edar Allan Poe

Seltsame Geschichten


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dir sag«. Hörst du mich?«

      »Ja, Massa.«

      »Also, gib acht. Suche das linke Auge des Schädels.«

      »Hm, ja! Aber er haben ja kein linkes Auge mehr.«

      »Verfluchter Dummkopf! Du weißt doch, was deine rechte und was deine linke Hand ist?«

      »Ja, ich das wissen – ich das alles wissen – mit linker Hand ich spalten Holz.«

      »Natürlich, denn du bist linkshändig! Und dein linkes Auge ist auf derselben Seite wie deine linke Hand. Jetzt, denke ich, kannst du das linke Auge von dem Schädel finden, oder vielmehr den Platz, wo es gesteckt hat. Hast du es gefunden?«

      Hier folgte eine lange Pause. Endlich fragte der Neger:

      »Sein das linke Auge von dem Schädel auf derselben Seite, wo die linke Handseite von dem Schädel gewesen? Denn der Schädel haben überhaupt keine Hand – aber das machen nichts! Ich nun das linke Auge gefunden – hier sein das linke Auge! Was sollen ich machen mit ihm?«

      »Laß den Käfer hindurchfallen, soweit die Schnur reicht. Aber nimm dich in acht, daß du die Schnur festhältst.«

      »Alles getan, Massa Will. Sehr leichte Sache, den Käfer durch das Loch zu lassen – sehen ihn jetzt unten hängen.«

      Während der ganzen Unterredung war von Jupiter nichts zu sehen gewesen. Aber der Käfer, den er herabgelassen hatte, wurde nun am Schnurende sichtbar und glitzerte wie eine Kugel von flammendem Gold in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne, die noch gerade mit einem Schimmer die Höhe traf, auf der wir standen. Der Käfer hing ganz frei von Zweigen und wäre, wenn man ihn losgelassen, gerade vor unsere Füße gefallen. Legrand nahm sofort die Sense und mähte damit gerade unter dem Insekt einen Kreis von drei oder vier Metern im Durchmesser ab. Dann befahl er Jupiter, den Käfer fallen zu lassen und herabzukommen.

      Nunmehr trieb mein Freund genau an der Stelle, wo der Käfer hingefallen war, einen Pflock in die Erde und nahm aus seiner Tasche ein Maßband. Indem er ein Ende davon an der Stelle des Baumes befestigte, die dem Pflock am nächsten war, rollte er es weiter ab und legte es in der Linie, die durch den Baum und den Pflock gegeben war, auf eine Entfernung von fünfzig Fuß hin, wobei Jupiter den Weg von Brombeeren freimachte. Auf dem nun erreichten Punkte wurde ein zweiter Pflock in den Boden getrieben und um ihn herum als Mittelpunkt ein Kreis von etwa vier Fuß im Durchmesser abgemäht. Legrand nahm nun einen Spaten, gab einen Jupiter und einen mir und bat uns, so schnell wie möglich zu graben.

      Um die Wahrheit zu sagen, ich habe noch nie an einer solchen Beschäftigung große Freude gehabt, und diesmal hätte ich sie sehr gerne verweigert. Die Nacht rückte auch heran, und ich fühlte mich schon sehr ermüdet von der durchgemachten Anstrengung. Aber ich sah keine Möglichkeit, der Sache zu entgehen, und fürchtete mich, durch eine Weigerung meinen armen Freund erst recht zu erregen. Wahrhaftig, hätte ich mich auf Jupiters Hilfe verlassen können, ich würde ohne Zögern versucht haben, den Verrückten mit Gewalt nach Hause zu bringen. Aber ich kannte die Verfassung des alten Negers zu gut, um bei einem Kampf mit seinem Meister irgendwie auf seinen Beistand zu rechnen. Ich zweifelte nicht, daß Legrand von einer der im Süden so häufigen abergläubischen Ideen über vergrabene Schätze befallen war, und daß seine Phantasie sich verstärkt hatte durch die Auffindung des Käfers und vielleicht auch durch den hartnäckigen Glauben Jupiters, der Käfer sei von purem Gold. Ein schon zum Wahnsinn geneigtes Gehirn konnte leicht durch solche Erlebnisse verführt werden – besonders wenn sie mit Lieblingsideen harmonierten – und dann rief ich mir auch wieder die Worte des armen Menschen zurück, der Käfer würde ihm den Weg zum Reichtum zeigen. Ich war durch alles das sehr traurig und verstört, beschloß aber schließlich, aus der Not eine Tugend zu machen und bereitwillig zu graben, um auf diese Weise den Phantasten so schnell wie möglich durch den Augenschein von der Torheit seiner Idee zu überzeugen.

      Die Laternen wurden angezündet, und wir gingen alle mit einem Eifer an die Arbeit, der einer vernünftigeren Sache würdig gewesen wäre. Wie der Schein auf uns und unsere Arbeit fiel, mußte ich unwillkürlich denken, wie malerisch doch unsere Gruppe war, und wie seltsam und unheimlich doch unsere Arbeit einem Wanderer erscheinen würde, der zufällig auf uns stieße.

      Das Graben dauerte ununterbrochen zwei Stunden. Wir sprachen wenig und machten uns nur Sorgen wegen des lauten Gebells des Hundes, der an unserm Unternehmen ein leidenschaftliches Interesse nahm. Er lärmte schließlich so sehr, daß wir fürchteten, er könnte in der Nähe befindliche Landstreicher herbeiziehen – oder vielmehr war das die Besorgnis Legrands, denn ich wäre über jede Unterbrechung froh gewesen, die mir Gelegenheit gegeben hätte, den Irren nach Hause zu bringen. Jupiter verstand es, dem Lärm sehr wirkungsvoll ein Ende zu machen, indem er entschlossen aus der Höhlung kletterte und dem Tier mit einem seiner Hosenträger das Maul verband, worauf er mit einem verhaltenen Kichern wieder an seine Arbeit ging.

      Als die zwei Stunden herum waren, hatten wir eine Tiefe von fünf Fuß erreicht, ohne aber irgend welche Anzeichen von einem Schatz zu finden. Eine allgemeine Pause folgte, und ich hoffte schon, die Posse sei zu Ende. Legrand aber, obgleich er offenbar sehr verwirrt war, wischte sich gedankenvoll die Stirne und begann von neuem. Wir hatten den ganzen Kreis von vier Fuß Durchmesser ausgehoben und vergrößerten ihn etwas, wobei wir noch zwei Fuß tiefer gingen. Aber auch jetzt stießen wir auf nichts. Der Goldsucher, der mir ernstlich leid tat, kletterte schließlich mit dem Ausdruck der bittersten Enttäuschung auf seinen Zügen aus der Grube und ging langsam und widerstrebend daran, seinen Rock wieder anzuziehen, den er beim Beginn der Arbeit abgeworfen hatte. Ich machte inzwischen keine Bemerkung. Jupiter begann, auf einen Wink seines Herrn, die Werkzeuge aufzunehmen. Nachdem das geschehen und der Hund wieder freigemacht war, wandten wir uns in tiefem Schweigen auf den Heimweg.

      Wir hatten vielleicht ein Dutzend Schritte in dieser Richtung getan, als sich Legrand mit einem lauten Fluch auf Jupiter stürzte und ihn beim Kragen faßte. Der erstaunte Neger öffnete Augen und Mund, soweit er konnte, ließ die Spaten fallen und fiel auf die Knie.

      »Du Schurke«, sagte Legrand, indem er die Silben zwischen den zusammengebissenen Zähnen herauszischte. »Du höllischer, schwarzer Schurke! – Sprich, sage ich! – Antworte mir sofort, ohne Umschweife! – welches ist dein linkes Auge?«

      »O, mein Gott, Massa Will! Sein das nicht richtig mein linkes Auge?« brüllte der erschrockene Jupiter, indem er seine Hand auf sein rechtes Sehorgan legte und es dort mit verzweifelter Hartnäckigkeit festhielt, als fürchtete er, sein Meister möchte es ihm aus der Höhlung herausreißen.

      »Ich habe es mir gedacht – ich wußte es! Hurra!« schrie Legrand laut und ließ den Neger gehen, worauf er eine Reihe von Kurven und Wendungen tanzte, sehr zum Erstaunen seines Dieners, der sich von den Knien erhob und stumm von seinem Meister nach mir und von mir nach seinem Meister blickte.

      »Kommt, wir müssen zurückgehen«, sagte Legrand. »Das Spiel ist noch nicht verloren.« Und er führte uns wieder zum Tulpenbaum.

      »Jupiter«, fragte er, als wir seinen Fuß erreichten, »komm her! War der Schädel mit dem Gesicht nach auswärts oder mit dem Gesicht nach einwärts an den Ast genagelt?«

      »Das Gesicht waren nach auswärts, Massa, so daß die Krähen gut und ohne Mühen an die Augen konnten.«

      »Gut, war es nun dieses Auge oder das, wodurch du den Käfer fallen ließest?« Damit berührte Legrand jedes von Jupiters Augen.

      »Es waren dies Auge, Massa – das linke Auge – wie Massa mir sagten«, und auch jetzt wieder berührte der Neger sein rechtes Auge.

      »Das genügt – wir müssen es noch einmal versuchen.«

      Mein Freund, in dessen Wahnsinn ich jetzt eine gewisse Methode sah, oder wenigstens zu sehen glaubte, versetzte nunmehr den Pflock von dem Punkt, wo der Käfer hingefallen war, nach einem Punkt, der drei Zoll mehr westwärts lag. Indem er jetzt das Maßband von dem nächstgelegenen Punkte des Baumes über den Pflock hinweg fünfzig Fuß in gerader Linie hinlegte, kam er zu einem Fleck, der mehrere Meter von dem entfernt war, wo wir gegraben hatten.

      Wieder wurde an dem neuen Ort ein Kreis gezogen,