Edar Allan Poe

Seltsame Geschichten


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in meinen Gedanken erzeugt war, nicht mehr die große Abneigung gegen die mir auferlegte Arbeit. Ein ganz merkwürdiges Interesse war in mir erwacht, ich wurde sogar aufgeregt. Vielleicht steckte doch etwas hinter dem ganz sonderbaren Benehmen Legrands – eine gewisse Umsicht oder Überlegtheit, die auf mich Eindruck machte. Ich grub eifrig und ertappte mich ein paarmal tatsächlich dabei, daß ich mit einer gewissen Erwartung nach dem Schatz ausschaute, dessen Vision meinen unglücklichen Freund um seinen Verstand gebracht hatte. Ich war gerade wieder einmal dabei, solchen Gedankenbildern nachzuhängen, und wir hatten vielleicht anderthalb Stunden gearbeitet, als wir aufs neue durch ein lautes Gebell des Hundes unterbrochen wurden. Beim ersten Graben war seine Unruhe offenbar die Folge von Spiellust oder Laune gewesen, jetzt aber klang ein scharfer und ernsthafter Ton daraus. Als Jupiter wieder versuchte, ihm das Maul zu verbinden, leistete er wütenden Widerstand, sprang in die Höhlung und wühlte wie rasend mit seinen Pfoten die Erde auf. In wenigen Sekunden hatte er einen Haufen Menschenknochen freigelegt, die zwei vollständige Skelette bildeten und mit einigen Metallknöpfen und etwas, was wie verweste Wolle aussah, vermischt waren. Ein oder zwei Spatenstiche hoben die Klinge eines großen spanischen Messers empor, und als wir weitergruben, fanden wir drei oder vier einzelne Gold- und Silbermünzen.

      Bei ihrem Anblick konnte Jupiter kaum seine Freude bemeistern, während sich in dem Gesicht seines Herrn ein Zug tiefster Enttäuschung malte. Er trieb uns aber an, mit unseren Anstrengungen fortzufahren, und er hatte das kaum ausgesprochen, als ich strauchelte und hinfiel, weil meine Fußspitze sich in einem großen eisernen Ring verfangen hatte, der halb begraben in der aufgewühlten Erde lag.

      Wir arbeiteten jetzt erst recht voll Eifer, und nie habe ich zehn aufgeregtere Minuten verbracht. In dieser Zeit legten wir eine längliche Holztruhe frei, die, nach ihrem gut erhaltenen Zustand und ihrer wundervollen Härte zu urteilen, eine Art Versteinerungs-Prozeß – vielleicht durch Quecksilberdoppelchlorid – durchgemacht hatte. Die Truhe war drei und einen halben Fuß lang, drei Fuß breit und zwei und einen halben Fuß hoch. Sie war fest umschlossen von schmiedeeisernen, vernieteten Bändern, die wie ein Gitterwerk rings herum gingen. An jeder Seite der Kiste nahe am oberen Rand befanden sich drei eiserne Ringe – im ganzen also sechs – die sechs Personen einen guten Halt geben konnten. Trotz unserm gemeinsamen Bemühen gelang es nur, die Truhe ein wenig aus ihrer Lage zu bringen. Wir sahen bald die Unmöglichkeit ein, ein so schweres Gewicht fortzuschaffen. Zum Glück war der Deckel nur durch zwei Riegel geschlossen. Zitternd und keuchend vor Erwartung schoben wir sie zurück, und in einem Augenblick lag ein Schatz von unberechenbarem Wert vor uns. Als das Licht der Laternen in die Grube fiel, blitzte uns daraus ein leuchtender Glanz von einem wirren Haufen von Gold und Edelsteinen entgegen, so daß unsere Augen förmlich geblendet wurden.

      Ich will nicht versuchen, die Gefühle zu beschreiben, mit denen ich hineinstarrte. Ein grenzenloses Erstaunen hatte mich gefaßt. Legrand schien erschöpft von seiner Erregung zu sein und sprach sehr wenig. Jupiters Gesicht war für einige Augenblicke so totenblaß, wie das bei einem Neger nur möglich ist. Er schien verblüfft, vom Blitz getroffen zu sein. Dann fiel er in der Grube auf die Knie, vergrub seine nackten Arme bis zu den Ellenbogen in dem Gold und ließ sie dort ruhen, als ob er das Behagen eines Bades genösse. Schließlich stieß er einen tiefen Seufzer aus und rief wie in einem Selbstgespräch:

      »Und all dies kommen durch den Goldkäfer! den hübschen Goldkäfer! den armen, kleinen Goldkäfer, auf den ich so häßlich geschimpft haben! Schämst du dich über dich selbst, Nigger? – mir das antworten!«

      Es wurde schließlich notwendig, daß ich sowohl den Herrn wie den Diener auf die Notwendigkeit hinwies, den Schatz wegzuschaffen. Es wurde spät, und wir mußten uns anstrengen, um alles vor Tagesanbruch nach Hause zu schaffen. Dabei war es schwierig, zu sagen, auf welche Weise das getan werden sollte, und wir verbrachten eine lange Zeit zum Überlegen, so verwirrt waren alle unsere Gedanken. Schließlich erleichterten wir die Truhe, indem wir Zweidrittel ihres Inhaltes herausnahmen, und konnten sie dann, wenn auch mit Mühe, aus dem Loch herausschaffen. Das Herausgenommene wurde zwischen die Brombeersträucher gelegt, und der Hund als Wache zurückgelassen, wobei ihm Jupiter den strengen Befehl gab, nicht vom Fleck zu weichen, noch bis zu unserer Rückkehr einen Laut zu geben. Dann eilten wir mit der Truhe heim und erreichten sicher, aber nach unendlicher Mühe um ein Uhr morgens die Hütte. Es wäre über die menschliche Natur gegangen, bei unserer vollständigen Erschöpfung sofort wieder aufzubrechen. So blieben wir bis zwei Uhr und aßen zu Abend. Dann beluden wir uns mit drei festen Säcken, die wir zum Glück auf dem Grundstück fanden, und gingen wieder nach dem Bergland. Etwas vor vier Uhr kamen wir an der Grube an, verteilten den Rest unseres Fundes möglichst gleichförmig auf uns drei und traten dann wieder den Rückweg an, wobei wir die Grube offen ließen. Als wir in der Hütte zum zweiten Male unsere goldene Last absetzten, leuchteten im Osten über den Baumwipfeln gerade die ersten schwachen Strahlen der Morgendämmerung auf.

      Wir waren nun fast zusammengebrochen, aber die Erregung ließ uns nicht zur Ruhe kommen. Nach einem unruhigen Schlummer von drei oder vier Stunden erhoben wir uns, als hätten wir es vorher abgemacht, um unseren Schatz zu besichtigen.

      Die Truhe war bis zum Rand gefüllt gewesen, und wir verbrachten den ganzen Tag und den größeren Teil der nächsten Nacht, um ihren Inhalt abzuschätzen. Es war nichts darin geordnet gewesen, alles lag in wirrem Durcheinander aufgehäuft. Nachdem wir nun das Ganze sorgfältig geordnet hatten, fanden wir uns im Besitz eines noch größeren Reichtums, als wir es zuerst angenommen hatten. An Münzen gab es für mehr als vierhundertundfünfzigtausend Dollar – wobei wir die einzelnen Stücke so gut es ging nach den Tabellen ihrer Zeit schätzten. Auch nicht ein Silberstück war dabei. Alles war Gold von alter Prägung und in den verschiedensten Sorten – es gab französisches, spanisches und deutsches Geld, einige englische Guineen und ein paar Stücke, die wir gar nicht kannten. So fanden wir verschiedene sehr große und schwere Münzen, die so abgebraucht waren, daß wir von ihren Inschriften nichts mehr entziffern konnten. Es gab kein amerikanisches Geld. Schwieriger wurde die Schätzung der Juwelen. An Diamanten – einige waren außerordentlich groß und schön – zählten wir im ganzen hundertundzehn Stück, von denen keiner klein war. Wir fanden achtzehn Rubinen von ungewöhnlichem Glanz, dreihundertundzehn Smaragde – alle sehr schön – und einundzwanzig Saphire nebst einem Opal. Alle diese Steine hatte man aus ihren Fassungen herausgebrochen und lose in die Truhe geworfen. Die Fassungen selbst, die wir aus dem übrigen Gold herausfischten, schienen mit dem Hammer zusammengeschlagen zu sein, wie um die Feststellung ihrer Herkunft zu verhindern. Außerdem gab es eine große Menge an gediegenem Goldschmuck: ungefähr zweihundert schwere Finger- und Ohrringe: dreißig prächtige Ketten; dreiundachtzig sehr große und schwere Kruzifixe; fünf goldene Weihrauchfässer von hohem Wert; eine wundervolle goldene Punschbowle, reich geschmückt mit getriebenen Weinblättern und Figuren eines Bacchanals; zwei kunstvoll bossierte Schwertgriffe und eine Menge kleinerer Gegenstände, auf die ich mich jetzt nicht besinnen kann. Das Gewicht dieser Kostbarkeiten überstieg dreihundertundfünfzig Pfund, ohne daß ich dazu die hundertsiebenundneunzig herrlichen Uhren gerechnet habe. Von diesen waren drei, die mindestens jede einen Wert von fünfhundert Dollar hatte. Viele von ihnen waren sehr alt und als Zeitmesser wertlos; auch hatten die meisten Werke mehr oder weniger durch den Rost gelitten. Aber alle waren reich mit Edelsteinen geschmückt und steckten in Gehäusen von großem Wert. Wir schätzten in dieser Nacht den ganzen Inhalt der Truhe auf eineinhalb Millionen Dollar, aber bei dem späteren Verkauf der Schmucksachen und Juwelen (ein paar behielten wir zum eigenen Gebrauch) stellte es sich heraus, daß wir den Schatz gewaltig unterschätzt hatten.

      Als wir endlich unsere Untersuchung beendet hatten, und sich die tiefe Erregung dieses Tages etwas gelegt hatte, begann Legrand, der sah, wie ich fast vor Ungeduld starb, nun endlich die Lösung des außerordentlichen Rätsels zu erfahren, mir einen ausführlichen Bericht über alle damit verknüpften Einzelheiten zu geben.

      »Sie werden sich«, sagte er, »des Abends erinnern, als ich Ihnen die flüchtige Skizze überreichte, die ich von dem Käfer gemacht hatte. Sie erinnern sich auch, daß ich sehr verblüfft war, weil Sie darauf bestanden, meine Zeichnung gliche einem Totenkopf. Als Sie zuerst die Bemerkung machten, dachte ich, Sie scherzten; dann fielen mir aber die eigentümlichen Flecken auf dem Rücken des Insekts ein, und ich gestand mir, daß Ihre Ansicht in gewisser Beziehung begründet sei. Trotzdem ärgerte mich der